Rodorf.de
Polizeiliches Grundlagenwissen für Studium und Praxis 

Home Inhaltsverzeichnis : Umgang mit der Demokratie

Das Kanzler-JA zur Menschenwürde

Inhaltsverzeichnis:

01 Das Kanzler-JA
02 Der Stein des Anstoßes
03 Eklat im Deutschen Bundestag
04 Populismus kann teuer werden
05 Das populistische Kanzler-JA
06 Die Menschenwürde im Mittelalter
07 Die Menschenwürde des geborenen Menschen
08 Allgemeines zur Menschenwürde
09 Begriffsbestimmung Menschenwürde
10 Das Mysterium der Menschenwürde
11 Würde des ungeborenen Menschen
12 Der christliche Markenkern der CDU
13 Der Verlust der Tugend
14 Der Rechtsstaat darf nicht kapitulieren
15 Spätabtreibungen in England
16 Papst Franziskus zur Abtreibung
17 Ich bin Giorgia
18 Es reicht

19 Quellen

01 Das Kanzler-JA

TOP

Der 9. Juli 2025 lässt sich als eine Sternstunde des Deutschen Bundestages verstehen, denn an diesem Tag wurde deutlich, wie schnell ein unbedachtes JA eines Bundeskanzlers die Volksseele in Wallung zu bringen vermag. Wie dem auch immer sei: Das, was diesem JA folgte, hat es – in Verbindung mit weiteren Vorbehalten gegen eine Kandidatin, die als eine Richterin beim Bundesverfassungsgericht benannt werden sollte – möglich gemacht, die am 11.7.2025 durchzuführende Wahl von drei Verfassungsrichterinnen in einem parlamentarischen Desaster enden zu lassen.

Frage der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch (AfD) an den Bundeskanzler am 9. Juli 2024 im Deutschen Bundestag:

Ich frage Sie, ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist. Frau Brosius-Gersdorf hat gesagt, dass einem Kind, das neun Monate alt ist, zwei Minuten vor der Geburt keine Menschenwürde zukommt. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, diese Frau zu wählen, wissend, dass vermutlich diese Dame in Kürze über die Abschaffung des § 218 abstimmen wird?

Antwort des Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) auf diese Frage:

JA.

Mit diesem unmissverständlich formuliertem JA stellte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) das komplette Selbstverständnis der CDU in Frage. Anders ausgedrückt: Dieses Ja muss als eine unfassbare Zustimmung des Bundeskanzlers zur Würde und zum Lebensschutz des noch ungeborenen Menschen aus der Sicht einer christlichen Partei angesehen werden, deren Vorsitzender und Bundeskanzler Friedrich Merz ist.

Frage und Antwort im Video

Diese Zustimmung zur Rechtsauffassung einer Richterin, die mit Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur Verfassungsrichterin bestellt werden sollte, lässt sich weder durch Unwissenheit noch durch Uninformiertheit erklären, zumal bei der Auswahl der Richterinnen für eine 12 Jahre währende Verwendung im höchsten deutschen Gericht davon ausgegangen werden muss, dass im Vorfeld die dafür erforderliche Eignung sorgfältig geprüft wurde. Insoweit hätte dem Bundeskanzler bekannt sein müssen, dass die zu bestimmende Kandidatin einen wesentlichen Markenkern der CDU nicht vertritt: den Lebensschutz.

Ansage.Org vom 10. Juli 2025: Gerade beim Thema Abtreibung wird zudem deutlich, wie zynisch und materialistisch Brosius-Gersdorf tickt, die den Lebensschutzauftrag des Grundgesetzes mal eben eigenmächtig beseitigen oder zumindest neu interpretieren will: In einem Fachaufsatz aus dem vergangenen Jahr mit dem Titel: „Menschenwürdegarantie und Lebensrecht für das Ungeborene. Reformbedarf beim Schwangerschaftsabbruch“ hatte sie behauptet, es gebe „gute Gründe“ dafür, dass die Menschenwürde erst ab der Geburt gelte. „Menschenwürde und Lebensschutz sind rechtlich entkoppelt“, behauptete sie – und setzte sich damit in klaren Gegensatz zur eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das 1993 klargestellt hatte, dass bereits dem ungeborenen Leben Menschenwürde zukomme und der Staat daher verpflichtet sei, das ungeborene Kind zu schützen und „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein zu erhalten und zu beleben“ [En01].

Apollo-News.net: „Die Annahme, dass Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss.“ Das schreibt Frauke Brosius-Gersdorf, die von der SPD nominierte Verfassungsrichterkandidatin, in einem Fachaufsatz. In dem Aufsatz „Menschenwürdegarantie und Lebensrecht für das Ungeborene. Reformbedarf beim Schwangerschaftsabbruch“, der 2024 im Sammelband „Rechtskonflikte“ erschien, kommt sie zu dem Schluss, dass es „gute Gründe“ dafür gebe, dass die Menschenwürde erst ab der Geburt gelte [En02].

02 Der Stein des Anstoßes

TOP

Ja, welcher Stein wurde durch wen ins Rollen gebracht?, oder: Anders gefragt: Wie konnte es zu solch einem Eklat im Deutschen Bundestag überhaupt kommen?

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Rechtsauffassungen der ins Amt einer Verfassungsrichterin am Bundesverfassungsgericht vorgesehenen Staatsrechtlerin, Frau Prof. Borsius-Gersdorf, die Abtreibung, den Lebensschutz des ungeborenen Menschen und andere, den Bestand der Demokratie in Frage stellenden Ansichten, in der breiten Öffentlichkeit wohl kaum jemandem bekannt gewesen sein dürften.

Und was die Abtreibung und den Lebensschutz anbelangt? Über dieses Thema wurde schon, beginnend in den 1960er Jahren, gut 30 Jahre lang gestritten, bis durch das zweite Abtreibungsurteil des BVerfG aus dem Jahr 1993 dieser Streit befriedet werden konnte.

Seitdem existiert ein Mischmodell, das die Abtreibung nicht durchweg unter Strafe stellt, jedenfalls dann nicht, wenn sie relativ früh erfolgt und ihr eine Beratung vorausgegangen ist, was dann auch zur Straffreiheit eines Schwangerschaftsabbruchs führt.

Dieser Kompromiss war schwer zu finden, bzw. zu erringen. Und was die CDU/CSU anbelangt, gab es bis heute nicht den geringsten Versuch, an dieser Kompromisslösung etwas zu ändern, ganz anders die Bemühungen in der Ampelregierung, die dazu führten, dass im Juli 2022 der § 219a StGB, der ein Werbeverbot für Abtreibungen enthielt, gestrichen wurde.

KI-generierter Text: Bis zum 18. Juli 2022 war es in Deutschland strafbar, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Diese Regelung war in § 219a StGB festgeschrieben. Der Bundestag hat diese Vorschrift jedoch am 24. Juni 2022 aufgehoben. Die Aufhebung bedeutet, dass es nicht mehr grundsätzlich verboten ist, Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zu verbreiten. Es ist weiterhin erlaubt, sachlich über die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren, zum Beispiel über medizinische Aspekte, Beratungsangebote oder die Kosten. Es ist jedoch weiterhin nicht erlaubt, den Abbruch einer Schwangerschaft aktiv zu bewerben oder zu verherrlichen. Die Informationen müssen sachlich und berufsbezogen sein und dürfen nicht mit werbenden Elementen verbunden werden.

Darüber hinausgehend gab es sogar Bestrebungen, auch den § 218 StGB, also den Abtreibungsparagrafen selbst, grundsätzlich neu zu regeln, in links-liberalen Kreisen wurde sogar von einem Menschenrecht auf Abtreibung gesprochen.

Verfassungsblock.de 2025: Die Würde der Schwangeren ist unantastbar. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.

An anderer Stelle heißt es:

Mit der Entscheidung, eine Schwangerschaft fortzuführen oder abzubrechen, bestimmt eine schwangere Frau in Freiheit über ihr Schicksal. Legt der Staat ihr eine Rechtspflicht auf, den Embryo oder Fötus auszutragen, und sieht er einen Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht an, nimmt er einer schwangeren Frau die rechtliche Freiheit, über sich selbst zu bestimmen und ihr Schicksal eigenverantwortlich zu gestalten, die den eigentlichen Gehalt der Menschenwürde ausmacht [En03].

In diesem Umfeld wissenschaftlich begründbarer Reformen des Abtreibungsrechts vertritt Frau Prof. Brosius-Gersdorf eine Rechtsauffassung, die deutlich von der bisherigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts abweicht.

  • Eine Abtreibung in den ersten drei Monaten soll sozusagen tatbestandslos sein. Das bedeutet, in Ermangelung eines Tatbestandes ist es einer schwangeren Frau freigestellt, was sie tut oder unterlässt.

  • Allein diese Rechtsauffassung steht im krassen Widerspruch zu der des BVerfG, denn die Richter des Bundesverfassungsgerichts gehen bis heute davon aus, dass ab der Nidation, das ist die Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter, von einem Menschen auszugehen ist, der auch im Vollbesitz der Menschenwürde ist, und somit nicht objektiviert, also nicht wie eine Sache behandelt werden darf. Anders ausgedrückt: Er darf nicht zum Objekt gemacht werden und nach Belieben abgetrieben werden.

  • In der zweiten Schwangerschaftsphase, womit die Zeit vom 3. bis zum 6. Monat gemeint ist, hält es Frau Prof. Brosius-Gersdorf für geboten, dass der Staat dafür Sorge zu tragen hat, dass auch in dieser Zeit eine Abtreibung straffrei und somit auch rechtmäßig durchgeführt werden kann.

  • Und was die letzte Schwangerschaftsphase nach dem 6. Monat bis zur Geburt anbelangt, vertritt zumindest nach meiner Wahrnehmung Frau Prof. Brosius-Gersdorf nicht den Standpunkt, dass auch in diesem Stadium das Töten des Embryos rechtmäßig sei oder werden solle, andererseits sei der Staat aber auch in dieser Phase dazu berechtigt, die Abtreibung selbst in einer ganz späten Phase für straflos zu erklären.

Wie dem auch immer sei: Solche Vorstellungen dürften zumindest zurzeit noch in der CDU/CSU nicht mehrheitsfähig sein. Die Positionen, die Frau Brosius-Gersdorf zur Abtreibung vertritt, sind es für sich gesehen aber nicht allein, die ihrer Wählbarkeit entgegenstehen, obwohl die einer Wahl als Verfassungsrichterin entgegenstehenden Gründe schon weitaus früher in der Koalition hätte erörtert werden müssen.

Frau Prof. Brosius-Gersdorf hat vorgeschlagen:

  • Das Grundgesetz zu gendern, damit das weibliche Geschlecht besser sichtbar wird

  • Das Wahlrecht zu ändern, indem Kandidaten nur aus Listen gewählt werden können, die wiederum wie Reißverschlüsse funktionieren müssen, was dazu führt, dass nach einem männlichen Kandidaten zwangsläufig eine weibliche Kandidatin ein Abgeordnetenmandat erhält usw. Dass diese Änderung im Hinblick auf den Wählerzulauf bei der AfD dazu dienen sollte, deren Kandidaten zu beschränken, das vermag erst auf den zweiten Blick deutlich zu werden, denn der AfD mangelt es an weiblichen Kandidaten. Dass auch diese Überlegung offensichtlich verfassungswidrig ist, darauf soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden.

  • Frau Prof. Brosius-Gersdorf hat sich bei Markus Lanz auch für ein AfD-Verbot ausgesprochen. Dass sie sich durch diese Aussage in einer der populärsten politischen Talkshows damit auch in der Funktion einer zukünftigen Verfassungsrichterin, die im Antragsfall für ein Parteienverbot zuständig wäre, für befangen erklärt hat, macht deutlich, dass sie selbst an einem Verbotsverfahren gar nicht mehr beteiligt sein dürfte, denn sie hält bereits jetzt ein Parteienverbot für erforderlich.

Dass diese Vorstellungen von Frau Prof. Brosius-Gersdorf diese Kandidatin aus Sicht der linken Parteien besonders attraktiv macht, das sei an dieser Stelle nur festgestellt. Die Frage, die sich nunmehr stellt, lautet wie folgt: Wie konnte es zu solch einem Vorschlag kommen?

Hier der Versuch einer Antwort: Die Entscheidung wurde in Hinterzimmern getroffen, denn ein ernstzunehmendes Auswahlverfahren hat es wohl nicht gegeben. Und dass dort nicht immer Entscheidungen getroffen werden, die auch die Wählerinnen und Wähler überzeugen, das ist nunmehr deutlich geworden.

Sogar der Bundespräsident hat den Vorfall im Parlament als eine Beschädigung der Koalition bezeichnet. Ob das Aufgabe des Bundespräsidenten ist, darüber lässt sich ebenfalls trefflich streiten. Zumindest auf mich wirkte diese Äußerung des Bundespräsidenten wie die eines SPD-Politikers, der auf die CDU/CSU Druck auszuüben versucht.

Mit anderen Worten: Das, was im Deutschen Bundestag passiert ist, das ist unbestreitbar ein einmaliges, bisher noch nicht dagewesenes Ereignis, sozusagen ein Weckruf, der vielleicht doch noch so rechtzeitig kam, den drohenden Verlust der deutschen Demokratie in eine Scheindemokratie doch noch verhindern zu können.

Das große Verdienst zu diesem im Bundestag ausgelösten Eklat, ist weder ein Verdienst der CDU/CSU noch ein Verdienst der SPD. Wohl aber ein Verdienst von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der für diesen Eklat und die sich daran anschließende Empörung nur ein Wort benötigte: JA.

03 Eklat im Deutschen Bundestag

TOP

Das es zu diesem folgenschweren JA kommen konnte, ist sowohl als ein Verdienst der neuen Medien, als auch der Fragestellerin, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch (AfD) zu verdanken, denn diese Frau kann für sich in Anspruch nehmen, auf eine Art und Weise den Bundeskanzler zu seinem JA veranlasst zu haben, die jedem Staatsanwalt Ehre bereiten würde, der sich darum bemüht, den Angeklagten zu einem Geständnis zu bewegen.

Nur zur Erinnerung: Frage der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch (AfD) an den Bundeskanzler:

Ich frage Sie, ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist. Frau Brosius-Gersdorf hat gesagt, dass einem Kind, das neun Monate alt ist, zwei Minuten vor der Geburt keine Menschenwürde zukommt. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, diese Frau zu wählen, wissend, dass vermutlich diese Dame in Kürze über die Abschaffung des § 218 abstimmen wird?

Antwort des Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) auf diese Frage:

JA.

Dieses JA hat die Gesellschaft in Deutschland wachgerüttelt und dazu geführt, dass Tausende von CDU und CSU Wählern sich erbost mit der Forderung an ihre Partei wandten, diesem Ernennungsverfahren sofort ein Ende zu bereiten, weil nicht sein kann, dass die Würde des Menschen erst beginnt, wenn das Neugeborene den Mutterleib verlassen hat.

Mit solch einer Reaktion hatte die Parteiführung nicht gerechnet, wohl aber rechnen müssen, denn bei der überwiegenden Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen handelt es sich immer noch um Personen einer Wertegemeinschaft, die an christlichen Wertvorstellungen festhalten.

Anders ausgedrückt: Das was die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zurzeit erlebt, lässt es wohl nicht mehr zu, wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.

04 Populismus kann teuer werden

TOP

Das gilt auch für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der meint, mit Populismus überzeugen zu können.

Wenn durch ein zustimmendes JA des Bundeskanzlers deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass ein sich noch im Mutterleib befindlicher Mensch erst dann über Würde verfügt, wenn dieses Kind geboren ist, der muss der damit rechnen, dass auch noch im Deutschland von heute solch ein JA aus tiefster Überzeugung von der Mehrheit aller Wählerinnen und Wähler abgelehnt wird.

Und dass die Stimme des Volkes eine besondere Wirkung zu erzielen vermag, das wussten schon die alten Römer.

Mary Beards: Neben den formalen Vorrechten des Volkes, wie Polybios betonte, finden wir klare Indizien für eine weitverbreitete politische Kultur, in der des Volkes Stimme ein wichtiges Element darstellte. [...]. Die Armen zu ignorieren oder zu demütigen, das war riskant.

An anderer Stelle heißt es:

Der Erfolg der Reichen war, wie der junge Scipio Nasica scherzhaft erfahren musste, ein Geschenk der Armen. Daher mussten die Vermögenden lernen, dass sie vom Volk als Ganzem abhängig waren [En04].

05 Das populistische Kanzler-JA

TOP

Wer Populismus nur beim politischen Gegner ausmacht und beklagt, der sollte sich darüber im Klaren sein, was Populismus ist und wie er zur Anwendung kommt und wirkt, der betreibt Wunschdenken. Das aber ist ein Denken ohne Denken, denn dieses Denken sieht den Balken im eigenen Auge nicht.

Wie dem auch immer sei: Auch wenn sich das Wort Populismus schwer definieren lässt, lässt sich dennoch feststellen, dass sich Populisten zuerst einmal als Teil einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verstehen. Populisten behaupten auch, dass sie es sind, die als Einzige das „echte Volk“ gegenüber einer „Elite“ vertreten. Das gilt auch für diejenigen, die meinen, im Besitz der Wahrheit zu sein, und sich deshalb dazu berechtigt halten, Andersdenkenden die Denkfähigkeit absprechen.

Ein weiterer Ansatzpunkt für die Definition von Populismus lässt sich als das Selbstverständnis einer Führungselite verstehen, die allein darüber entscheidet, was gut für die Bevölkerung – oder für das Bundesverfassungsgericht, oder für was auch immer – ist. Eine andere Definition von Populismus sagt, dass es den nur dann geben kann, wenn die politischen Institutionen versagen, denn zufriedene Menschen flüchten sich nicht in populistische Politik.

Populisten existieren aber auch aus dem Grund, weil sie dem Teil der Bevölkerung, der sich abgehängt fühlt, viel versprechen, und wenn sie dann an der Macht sind, verstecken sie ihr Versagen, gemeint ist das Nichteinhalten von Versprechungen, hinter großem Getöse, unterdrücken Andersdenkende oder grenzen diese, zum Beispiel durch eine Brandmauer aus, oder weisen, wie im Deutschen Bundestag geschehen, mit dem Finger auf den politischen Gegner und sagen: Mit denen auf gar keinen Fall.

Harold James beschreibt den Populismus in seinem Buch „Der Krieg der Worte“ wie folgt:

[Populisten] entweihen die heiligen Hallen [in diesem Fall das Plenum des Deutschen Bundestages]. Sie werden siegen, denn sie haben die brutale Macht dazu [die Mehrheit]. Sie werden aber nicht überzeugen. Dafür würden sie zweierlei brauche, was sie nicht haben: Verstand und Recht.

Anders ausgedrückt: Das Bundeskanzler-JA zeugt im hier zu erörternden Sachzusammenhang von wenig Verstand und von mangelnder Kenntnis geltenden Rechts.

06 Die Menschenwürde im Mittelalter

TOP

Das Gestern und das Heute verbindet immer noch sehr viel. Das gilt insbesondere für das christliche Menschenbild im ehemaligen Europa. Bevor dieses Menschenbild - so wie es sich heute darstellt – vorgestellt wird, halte ich es für zielführend, bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass ohne die Menschenwürde alle dem Artikel 1 des Grundgesetzes folgenden Grundrechte unbedeutend wären, denn dieser erste Satz im Grundgesetz ist sozusagen das Fundament, auf dem die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes aufgebaut ist.

Artikel 1 Abs. 1 GG
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Wer diese Würde einem ungeborenen Menschen abspricht, begeht im Deutschland von heute immer noch einen Tabubruch, der die „Seelen des Volkes“, gemeint sind diejenigen, die immer noch dem christlichen Menschenbild nahestehen – aber nicht nur die – in Wallung zu setzen vermögen, denn auch heute noch erkennen auch Nichtchristen im Menschen immer noch das größte aller denkbaren Wunder.

Diese Vorstellung bewegte auch Giovanni Pico della Mirandola (1463 bis 1494), auch Pico genannt, einem italienischen Philosophen der Renaissance. Pico erkannte in dem Menschen zwar auch, wie das bei Frau Prof. Brosius-Gersdorf der Fall zu sein scheint, vorrangig als ein zur Entscheidungsfreiheit geborenes, nicht determiniertes (festgelegtes) geborenes Wesen. Dennoch: In dem 1992 erschienenen Buch von Giovanni Pico della Mirandola, das den Titel „Über die Würde des Menschen“ trägt, heißt es:

Pico: „Ein großes Wunder [...] ist der Mensch.“ Im Anschluss an diese Aussage eines alten griechischen Philosophen „erschienen mir die traditionell überlieferten Meinungen über die menschliche Natur demgegenüber etwas unzulänglich (Seite 7).

An anderer Stelle heißt es, den göttlichen Willen zitierend:

Wir haben dir keinen bestimmten Wohnsitz noch ein eigenes Gesicht, noch irgendeine besondere Gabe verliehen, o Adam, damit du jeden beliebigen Wohnsitz, jedes beliebige Gesicht und alle Gaben, die du dir sicher wünscht, auch nach deinem Willen und nach deiner eigenen Meinung haben und besitzen mögest. Den übrigen Wesen ist ihrer Natur durch die von uns vorgeschriebenen Gesetze bestimmt und wird dadurch in Schranken gehalten. Du bist durch keinerlei unüberwindliche Schranken gehemmt, sondern du sollst nach deinem eigenen freien Willen, in dessen Hand ich dein Geschick gelegt habe, sogar jene Natur dir selbst vorherbestimmen. Ich habe dich in die Mitte der Welt gesetzt, damit du von dort bequem um dich schaust, was es alles in dieser Welt gibt (Seite 10).

Es steht dir frei, in die Unterwelt des Viehes zu entarten. Es steht dir ebenso frei, in die höhere Welt des Göttlichen dich durch den Entschluss deines eigenen Geistes zu erheben (Seite 11).

In den Menschen aber hat der Vater gleich bei seiner Geburt die Samen aller Möglichkeiten und die Lebenskeime jeder Art hineingelegt. Welche er selbst davon pflegen wird, diejenigen werden heranwachsen und werden in ihm ihre Früchte bringen (Seite 11/12).

An anderer Stelle:

Der Mensch ist ein Wesen von abwechslungsreicher, vielfältiger und sprunghafter Natur. Aber warum dies? Damit wir einsehen, nachdem wir nun einmal unter solchen Bedingungen geboren sind, dass wir das sind, was wir sein wollen. Am meisten müssen wir darum sorgen, dass es nicht von uns heißt, während wir äußerlich noch geehrt waren, hätten wir nicht erkannt, dass wir dem Vieh und den unvernünftigen Tieren ähnlich geworden sind. Sondern von uns soll vielmehr das Wort des Propheten Asaph gelten: „Ihr alle seid Götter und Söhne des Allerhöchsten.“ Mögen wir daher nicht die huldvolle Güte unseres Vaters missbrauchen, durch die er uns jene freie Wahl gab, und mögen wir uns nicht aus unserem Heil selbst Schaden zufügen (Seite 14).

Ein paar Seiten weiter:

Empedokles lehrt uns, es gäbe in unserer Seele eine doppelte Natur, von denen die eine uns bis zum Himmel erhebt, die andere uns mit Macht zur Unterwelt hinunterstürzt, und zwischen ihnen sei Streit oder Freundschaft, Krieg oder Frieden, wie seine Lieder bezeugen (Seite 21).

Pico gilt als Vater der modernen Anthropologie. Sein Menschenbild, das dem Menschen eine Sonderstellung einräumt, entspricht auch heute noch dem vorherrschenden Menschenbild, obwohl dieses Menschenbild nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms Risse bekommen hat. Die Zitate von Pico wären dennoch, für sich allein gelesen, durchaus dazu in der Lage, die Position von Frau Prof. Brosius-Gersdorf zu tragen, denn vorrangig sah auch Pico nur im geborenen Menschen ein mit Würde behaftetes Wesen.

So aber dachte die katholische Kirche nicht – und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Übrigens: Papst Innozenz VIII. erkannte in den Lehren von Pico Häresie und forderte deshalb die Festnahme des italienischen Philosophen. Erst in der letzten Phase von Picos Lebens machte Papst Alexander VI. alle von seinem Vorgänger Innozenz VIII. gegen Pico verhängten Maßnahmen rückgängig.

KI-generierter Text von Google: Im Mittelalter betrachtete die katholische Kirche den Schwangerschaftsabbruch als Sünde, die mit Buße geahndet wurde. Die Schwere der Strafe hing davon ab, ob der Fötus als „beseelt“ galt, wobei es unterschiedliche Auffassungen darüber gab, wann dieser Zustand eintrat. Während einige Gelehrte eine spätere Beseelung annahmen und somit eine mildere Strafe bei einem frühen Abbruch befürworteten, sah die Kirche letztendlich die Beseelung ab der Zeugung vor, was eine striktere Haltung gegenüber Abtreibung zur Folge hatte.

Unter den Kirchenvätern und Gelehrten gab es unterschiedliche Ansichten darüber, wann genau die Beseelung eintrat. Einige vertraten die Meinung, dass dies erst nach einer gewissen Zeit nach der Empfängnis der Fall sei, was zu einer weniger strengen Bestrafung von frühen Abtreibungen führte. Entwicklung zur Simultanbeseelung:

Im Laufe der Zeit setzte sich jedoch die Auffassung einer „Simultanbeseelung“ durch, d.h. die Seele wird dem Körper bereits mit der Zeugung eingehaucht. Papst Innozenz XI. bestätigte diese Vorstellung im Jahr 1679, und sie wurde später auch ins Kirchenrecht übernommen.

07 Die Menschenwürde des geborenen Menschen

TOP

Es entspricht der erlebbaren Wirklichkeit, dass in den meisten Fällen geborene Menschen von Würdeverletzungen betroffen sind. Diesbezüglich lässt sich sarkastisch feststellen, dass die Menschenwürde zwar unantastbar, aber tastbar ist.

Wer diese Erfahrung in seinem Leben nicht selbst schon mehrfach gemacht hat, der dürfte nicht von dieser Welt sein.

Wie dem auch immer sei: Unbestritten ist, dass geborene Menschen, sogar über ihren Tod hinausgehend, über Würde verfügen.

Artikel 1 Abs. 1 GG
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Umstritten ist jedoch, ob Art 1 Abs. 1 GG als eigenständiges Grundrecht qualifiziert werden kann. Zum einen wird die Auffassung vertreten, dass Art 1 Abs. 1 GG bei formaler Auslegung, wegen der Regelung in Art 1 Abs. 3 GG, kein selbstständiges Grundrecht sein könne, denn dort ist von „nachfolgenden Grundrechten“ die Rede.

Das Bundesverfassungsgericht bewertet Art 1 GG jedoch als ein tragendes Konstruktionsprinzip und bezeichnet die Menschenwürde als einen Wert, der rechtlich gesehen als ein selbstständiges Grundrecht anzusehen ist, das die allgemeine menschliche Handlungsfreiheit gewährleist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört Art 1 GG zu den „tragenden Konstruktionsprinzipien“, die alle Bestimmungen des Grundgesetzes durchdringen.

BVerfG 2006: Die Menschenwürde stellt den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar (...). Achtung und Schutz der Menschenwürde gehören zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes (...). Jedem Menschen kommt danach ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.

BVerfG, Beschluss vom 08. 11.2006 - 2 BvR 578/02

Auch die wohl hM in der Literatur geht davon aus, dass Art 1 Abs. 1 GG als ein echtes Grundrecht anzusehen ist.

Zutreffend ist, dass viele Grundrechte Menschenwürde voraussetzen, so dass die aus Art 1 Abs. 1 GG abzuleitenden Rechtspositionen über andere Grundrechte erfassbar sind und gegebenenfalls im Wege der Verfassungsbeschwerde eingefordert werden können.

An einer inhaltlichen Konkretisierung von Art 1 Abs. 1 GG kommt jedoch auch die formale Auslegung nicht vorbei. Weil die Menschenwürde als „Leitprinzip der Verfassung“ gilt, ist es deshalb sachgerechter, Art 1 Abs. 1 GG jedenfalls dann als ein eigenständiges Grundrecht zu qualifizieren, wenn neben der zu schützenden Menschenwürde andere Grundrechte keine selbstständige Bedeutung haben.

Ansonsten fügt sich die Menschenwürde, nahtlos in das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Menschenbild des Grundgesetzes ein, weil es sich bei der Menschenwürde um „den“ verfassungsrechtlichen Höchstwert handelt.

BVerfG 1954: Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. Das ergibt sich insbesondere aus einer Gesamtsicht der Art 1, 2, 12, 14, 15, 19 und 20 GG. Dies heißt aber: Der Einzelne muss sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, dass dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt.

BVerfG, Urteil vom 20.07.1954 - 1 BvR 459

08 Allgemeines zur Menschenwürde

TOP

Die Menschenwürde ist der höchste Verfassungswert. Sie ist untrennbar mit dem Menschsein selbst verbunden. Schwierigkeiten bereitet es jedoch, den unbestimmten Rechtsbegriff der Menschenwürde zu definieren. Es reicht nicht aus, den Würdebegriff lediglich als ein Merkmal zu verstehen, durch das sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Anerkannt ist, dass zum Würdebegriff alles gehört, was den Menschen von anderen Menschen unterscheidet und was ihm als einem „Subjekt individueller Einmaligkeit“ Menschenwürde verleiht.

Mensch in diesem Sinne ist zuerst einmal jedes Wesen, das von Menschen abstammt und geboren wurde. Die Menschenwürde ist somit untrennbar mit dem menschlichen Leben verbunden, denn, so die Sichtweise der Richter des Bundesverfassungsgerichts, die Menschenwürde schützt die Individualität des Einzelnen so, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift. Das aber ist ein Vermögen, das ein gewisses Lebensalter voraussetzt, denn das Individualitätsbewusstsein von Menschen beginnt erst mit der Vollendung des 3. Lebensjahres. Die Würde des Menschen muss folglich früher beginnen, will man sie mit dem Menschsein verknüpfen.

Inwieweit Abtreibungen die Menschenwürde des ungeborenen Lebens verletzen, ist somit eine Frage, die eine überzeugende Antwort einfordert, zumal geltendes Recht unter gewissen Voraussetzungen ja bekanntermaßen Abtreibungen zulässt. Damit ist aber die Frage: Was ist Recht, und wo beginnt die Menschenwürde, noch längst nicht beantwortet. Dazu mehr in der folgenden Randnummer.

In Bezug auf den bereits geborenen Menschen heißt es in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006 wie folgt:

BVerfG 2006: Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem Verfassungswert (...). Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt (...). Das gilt unabhängig auch von der voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens.

BVerfG, Urteil vom 15. 02.2006 - 1 BvR 357/05

Hinweis: In Anlehnung an die Rechtssprechung des BVerfG endet die Würde des Menschen nicht mit seinem Tod. Sie besteht darüber hinaus.

BVerfG 1971: Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode.

BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68

09 Begriffsbestimmung Menschenwürde

TOP

Menschenwürde, dieses Wort entzieht sich jeglicher Definition, denn es handelt sich dabei um eine Idee, eine Vorstellung darüber, worin der Kern des Menschseins besteht, der alle Menschen eint. Im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Vereinbarkeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit der Würde des Menschen, haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts die Menschenwürde wie folgt beschrieben.

BVerfG 1977: Dies bedeutet, dass auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muss. Es widerspricht daher der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen (...). Der Satz, „der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben“, gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, dass er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.

BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 – 1 BvL 14/76

Der Mensch hat Würde, weil er als vernunftbegabtes Wesen die Fähigkeit besitzt, sein eigenes Handeln zu reflektieren und an bestimmten Wertvorstellungen auszurichten.

Übrigens: Der Mensch ist das einzige Wesen, das lachen, weinen, singen und sprechen kann. Bereits im Mutterleib ist der Nasziturus dazu in der Lage, nicht nur auf die Stimmung der werdenden Mutter, sondern auch auf andere von außen kommende Reize zu reagieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass bereits der ungeborene Mensch im Mutterleib lernt.

10 Das Mysterium der Menschenwürde

TOP

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ein einfacher Satz, in einfacher kategorischer Allgemeinheit formuliert. Aber das Besondere, das alle Wirklichkeit ausmacht, ist bekanntermaßen der Feind des Allgemeinen. Die Würde von Adolf Hitler ist unantastbar. Ein Zögern, ein kurzes Stocken beim Lesen dieses Satzes? Ein Fragezeichen, das vor Ihrem inneren Auge erscheint?

Nein. Rein logisch ist die Subsumtion korrekt, denn das allgemeine Menschsein ist nicht der Ort der Würde. Es reicht nicht aus, die Würde des wirklichen, konkreten und einzelnen Menschen zu begründen, denn diese muss das Individuum selbst, durch eigenes Tun und Verhalten kultivieren, fördern oder vernachlässigen.

Die Menschenwürde, um die es hier geht, setzt zuerst einmal voraus, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich der Gott aus dem allgemeinen Leben zurückgezogen und den Menschen als ein indifferentes Allgemeines, also als den „Menschen überhaupt“ zurückgelassen hat, der nunmehr sich selbst in seiner Subjektivität zu entdecken beginnt und der seine, des Menschen Unverletzlichkeit, an der Unveräußerlichkeit seines eigenen Gewissens auszurichten beginnt. Dieses Entdecken der Menschenwürde ist sozusagen der Quellcode, ohne den Menschenrechte gar nicht gedacht werden können.

Anders ausgedrückt: Da Gott tot ist, um mit Friedrich Nietzsche zu sprechen, bedarf es eines Ersatzwortes, dem Schöpferkraft zuerkannt wird, und dieses Wort heißt Menschenwürde.

Schon in einer der frühesten Entscheidungen, dem SRP-Urteil aus dem Jahr 1952 des Bundesverfassungsgerichtes, ist Folgendes zu lesen:

BVerfG 1952: Dieser Grundordnung liegt letztlich nach der im Grundgesetz getroffenen verfassungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zugrunde, dass der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die Grundordnung eine wertegebundene Ordnung. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt.

BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51

In einer freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der oberste Wert. Sie ist unantastbar und vom Staat und seinen Organen zu achten und zu schützen.

Der Würdebegriff, der heute verwendet wird, wurde aber nicht von den Richtern des Bundesverfassungsgerichts erfunden. Diese Sprachfigur geht auf Immanuel Kant (1724 bis 1804) zurück. In seinen moralphilosophischen Ausführungen zum Sittengesetz nimmt die Würde den zentralen Stellenwert in seinen Ausführungen ein. Kants Würdekonzeption ist von metaphysischen (übernatürlichen bzw. spirituellen) Vorannahmen geprägt, denn in jedem Menschen, so heißt es bei Kant, haben wir die Menschheit zu achten, das Menschsein, das als solches mit Würde und Selbstbestimmung verbunden ist.

Der Begriff der Menschenwürde aber bleibt auch bei Kant unbestimmt und konkretisierungsbedürftig. Das liegt daran, dass die Menschenwürde schwierig zu präzisieren ist und sich letztendlich auch im abstrakten Sinne nicht definieren lässt.

Auch der amerikanische Rechtswissenschaftler und Philosoph Ronald Myles Dworkin (1931 bis 2013) erkennt in der Würde und im besonderen Wert des menschlichen Lebens einen Wert, der das einzelne Leben überschreitet. Das Gewordene soll aus seiner Sicht nicht zerstört werden, weil es Teil eines umfassenden evolutionären Prozesses ist. In seinem Buch „Religion ohne Gott“ vergleicht er die Würde des Menschen mit dem Erlebnis von Touristen, die erstmalig in ihrem Leben den Grand Canyon sehen und von diesem Anblick so überwältigt sind, dass es ihnen die Sprache verschlägt, um dann festzustellen, dass es nicht nur in der Natur Dinge gibt, die inhärent schön sind, sondern auch der Menschen Dinge hervorgebracht hat und auch weiterhin hervorbringen wird, die seinen Zauber ausmachen.

Wer heute in einer sternklaren Nacht - aber wo gibt es die noch in Deutschland - zum Nachthimel hinaufschaut, sieht dort Sterne, Planeten und Galaxien. In früheren Zeiten sahen die Menschen eher Risse in einer Kugel, durch die das Licht dahinter sozusagen durchschimmerte. Vergleichbar lässt sich auch heute noch die Menschenwürde beschreiben, denn dieses Wort, so wie wir es heute verstehen, hat seinen Ursprung in der Zeit der Aufklärung, in einer Zeit, in der man noch an das Naturrecht glaubte.

Ein solches Recht aber gibt es nicht.

Wahrnehmende Menschen ohne Begriffe aber sind, wie das bereits Kant herausgefunden hat, blind.

Wie dem auch immer sei: Die Menschenwürde ist auf jeden Fall kein empirischer Begriff, sondern eine Rechtskonstruktion, die die Lücke zwischen Schein und Sein schließen soll, denn die Menschenwürde lässt sich weder erfahren noch ist sie der systematischen Beobachtung zugänglich, auch lässt sie sich nicht wissenschaftlich beobachten oder experimentell ermitteln. Das was man von ihr weiß, das lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Menschenwürde ist zwar unantatbar, aber tastbar..

Mit anderen Worten: Aus philosophischer Sicht handelt es sich bei der Sprachfigur der Menschenwürde um ein Zauberwort, oder, wissenschaftlicher formuliert, um eine moralische Fiktion, die darin besteht, etwas zu einem Rechtsanspruch zu erklären, weil das für eine Gesellschaft nützlich ist, was dann aber, bei näherem Hinsehen auf die gesellschaftlichen Realitäten, sich dann doch in einem besorgniserregenden Ausmaß als ein Theater der Illusionen erweist.

Man denke nur an die Ausgrenzung von Menschen und deren Stigmatisierung als Nazis, Faschisten und Rassisten, nur weil sie anders denken. Die Liste der Ausgegrenzten ließe sich erweitern.

Kurzum: Wenn Menschenwürde darin besteht, naturgegebenes Anderssein zu respektieren, dann hat diese Gesellschaft noch viel zu lernen.

11 Würde des ungeborenen Menschen

TOP

Alles, was dazu zu sagen ist, kann im 2. Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahr 1993 nachgelesen werden. Die nachfolgend zitierten Stellen wurden diesem Urteil entnommen.

BVerfG 1993:
Leitsatz 1. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Diese Schutzpflicht hat ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 GG; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung muss die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet.

Leitsatz 5. Die Reichweite der Schutzpflicht für das ungeborene menschliche Leben ist im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts einerseits und damit kollidierender Rechtsgüter andererseits zu bestimmen. Als vom Lebensrecht des Ungeborenen berührte Rechtsgüter kommen dabei - ausgehend vom Anspruch der schwangeren Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) - vor allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) in Betracht. Dagegen kann die Frau für die mit dem Schwangerschaftsabbruch einhergehende Tötung des Ungeborenen nicht eine grundrechtlich in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition in Anspruch nehmen.

Rn. 150: Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gebührt der Schutz des Staates. Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen vonseiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1 [42]). Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und - von ihm her -ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt.

Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität (vgl. bereits § 10 I 1 ALR: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängnis.“).

Rn. 151: Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu.

Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen. Es zu achten und zu schützen bedingt, dass die Rechtsordnung die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleistet (vgl. auch BVerfGE 39, 1 [37]). Dieses Lebensrecht, das nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet wird, sondern dem Ungeborenen schon aufgrund seiner Existenz zusteht, ist das elementare und unveräußerliche Recht, das von der Würde des Menschen ausgeht; es gilt unabhängig von bestimmten religiösen oder philosophischen Überzeugungen, über die der Rechtsordnung eines religiös-weltanschaulich neutralen Staates kein Urteil zusteht.

Rn, 152: Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist bezogen auf das einzelne Leben, nicht nur auf menschliches Leben allgemein. Ihre Erfüllung ist eine Grundbedingung geordneten Zusammenlebens im Staat. Sie obliegt aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), d.h. dem Staat in allen seinen Funktionen, auch und gerade der gesetzgebenden Gewalt. Die Schutzpflicht bezieht sich zumal auf Gefahren, die von anderen Menschen ausgehen. Sie umfaßt Schutzmaßnahmen mit dem Ziel, Notlagen im Gefolge einer Schwangerschaft zu vermeiden oder ihnen abzuhelfen, ebenso wie rechtliche Verhaltensanforderungen; beides ergänzt sich.

Rn. 161: Hierzu zählt, dass der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist (...). Bestünde ein solches Verbot nicht, würde also die Verfügung über das Lebensrecht des Nasziturus, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet, wäre rechtlicher Schutz dieses Lebens im Sinne der oben genannten Verhaltensanforderungen nicht mehr gewährleistet. Eine solche Preisgabe des ungeborenen Lebens lässt sich auch unter Hinweis auf die Menschenwürde der Frau und ihre Fähigkeit zu verantwortlicher Entscheidung nicht einfordern. Rechtlicher Schutz bedingt, dass das Recht selbst Umfang und Grenzen zulässigen Einwirkens des einen auf den anderen normativ festlegt und nicht dem Belieben eines der Beteiligten überlässt.

BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 und 4, 5/92

Hinweis: Als studierter Jurist hätte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wissen müssen, dass sein JA in eine Welt gehört, die sich die CDU nicht wünschen sollte, wohl aber in die Vorstellungswelt der Parteien zu wachsen beginnt, die meinen, den Zeitgeist zu verkörpern, dessen Ziel es im Zusammenhang mit Abtreibungen ist, die Abtreibung selbst sozusagen zu einem Menschenrecht zu erklären, das von Frauen immer dann in Anspruch genommen werden kann, wenn ihnen im Falle einer Schwangerschaft danach ist.

12 Der christliche Markenkern der CDU

TOP

An diese Möglichkeit hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) offenbar nicht gedacht, als er am 9.7.2025 im Deutschen Bundestag sein JA formulierte, denn wenn das der Fall gewesen wäre, dann hätte er weniger unüberlegt emotional (ehrlich), sondern eher staatspolitisch (erträglicher) geantwortet, was für einen redegewandten Politiker eigentlich kein Problem sein dürfte, zumal auch keine Antwort auf die gestellte Frage eine Antwort gewesen wäre.

Vielleicht wäre es auch besser gewesen, wenn Bundeskanzler Friedrich Merz sich vor seinem JA an einen Satz von Hannah Arendt erinnert hätte, der folgenden Wortlaut hat:

Verstehen heißt immer verstehen, was auf dem Spiel steht.“

Und wer als Bundeskanzler kein Gespür dafür hat, wann Grenzen überschreiten werden, die Heiliges beziehungsweise Sakrosanktes vor Zugriffen des Staates schützen sollen, der darf sich nicht wundern, mit seinem JA in ein Wespennest gestochen zu haben, denn mit diesem JA stimmte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) der Aussage zu, dass nur geborene Menschen über Menschenwürde verfügen.

Auch hätte dem Bundeskanzler bekannt sein müssen, dass der Parlamentarische Rat, der im Grundgesetz ausdrücklich dem christlichen Menschenbild folgte, ein solches JA als eine Zumutung empfunden hätte.

Bundeskanzler Friedrich Merz hätte auch wissen müssen, dass der Gründer der CDU, Konrad Adenauer, die Union zwar als eine überkonfessionelle Partei von Christen verstand, was Adenauer aber nicht daran hinderte, den christlichen Markenkern der CDU vor den Teilnehmern des CDU-Bundesparteitags in Hannover am 15.3.1964 wie folgt zu beschreiben:

Konrad Adenauer: Jedes menschliche Zusammenleben setzt bestimmte Normen voraus. Unsere, die christliche Weltanschauung geht davon aus, dass jeder einzelne Mensch von Gott stammende, im Naturrecht begründete Rechte gegenüber jedem, auch gegenüber dem Staate und seinem Volke hat. Wir sind des Glaubens, dass die Würde und die Freiheit des Einzelmenschen geachtet werden müssen und von niemandem verletzt werden darf.

Die Weltanschauung über Freiheit und Würde des Menschen hat sich im Laufe der Jahrhunderte auf christlichem Boden entwickelt, sie ist gemeinsames Gut beider christlicher Konfessionen. Wenn man das Bestehen solcher Normen nicht anerkennt, dann gleitet ein Volk abwärts in Diktatur und Gewalt. In einer Zeit wie der unsrigen, die Veränderungen und Entwicklungen jeder Art - zum Guten und zum Schlechten - in rasendem Tempo bringt, braucht jeder einzelne feste, unabdingbare Normen für sein Leben, damit er Herr seiner selbst bleibt [En05].

Und auch im Grundsatzprogramm der CDU aus dem Jahr 2024 heißt es immer noch:

Grundsatzprogramm CDU 2024: Wir sind für Lebensschutz. Der Schutz des Lebens in allen Lebenslagen hat für uns Christdemokraten eine überragende Bedeutung. Das ungeborene Leben bedarf unseres besonderen Schutzes. Die geltende Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch bildet einen mühsam gefundenen gesellschaftlichen Kompromiss ab, der das Selbstbestimmungsrecht der Frau und den Schutz des ungeborenen Kindes berücksichtigt. Zu dieser Rechtslage stehen wir [En06].

Dem Parteivorsitzenden und dem Bundeskanzler der CDU, der sogar das von ihm mitgestaltete Grundlagenprogramm der CDU aus dem Jahr 2024 durch ein laut und energisch vorgetragenes JA in Frage stellt, dem kann nur noch empfohlen werden, den Gang nach Canossa anzutreten oder sich dazu zu bekennen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht erst seit heute in einer moralischen Krise befindet, die Alasdair MacIntryre in seinem Buch „Der Verlust der Tugend“ wie folgt beschreibt:

13 Der Verlust der Tugend

TOP

Was im Hinblick auf die hier zu erörternde Thematik der Würde von noch nicht Geborenen und Neugeborenen zu bedenken ist, das drückt Alasdair MacIntryre wie folgt aus:

Alasdair MacIntryre: Jeder Mensch hat bestimmte Rechte hinsichtlich der eigenen Person und des eigenen Körpers. Aus dem Wesen dieser Rechte folgt, dass in der Phase, in der der Embryo wesentlicher Bestandteil des Körpers der Mutter ist, diese ein Recht darauf hat, frei zu entscheiden, ob sie abtreiben lassen will oder nicht. Die Abtreibung ist somit moralisch zulässig und sollte gesetzlich gestattet sein.

Ich kann nicht wollen, dass meine Mutter abgetrieben hätte, als sie mit mir schwanger war, ausgenommen vielleicht, wenn sicher gewesen wäre, dass der Embryo tot oder schwer geschädigt ist. Aber wenn ich das in meinem eigenen Fall nicht wollen kann, wie kann ich dann anderen das Recht auf Leben absprechen, das ich für mich selbst beanspruche? Ich würde gegen die Goldene Regel handeln, würde ich einer Mutter ein generelles Recht auf Abtreibung zugestehen. Ich bin dadurch selbstverständlich nicht zu der Ansicht verpflichtet, dass Abtreiben gesetzlich verboten werden sollte.

Mord ist Unrecht. Mord tötet unschuldiges Leben. Ein Embryo ist ein bestimmbares Individuum, das sich von einem Neugeborenen nur dadurch unterscheidet, dass es sich in einer früheren Phase des langen Weges zu den Fähigkeiten eines Erwachsenen befindet; wenn überhaupt ein Leben unschuldig ist, dann das eines Embryos. Wenn Kindestötung Mord ist, was der Fall ist, dann ist Abtreibung Mord. Abtreiben ist damit nicht nur moralisch verwerflich, sondern sollte auch gesetzlich verboten werden [En07].

14 Der Rechtsstaat darf nicht kapitulieren

TOP

Die folgenden Zitate stammen aus einem Aufsatz von Manfred Spieker „Das Grauen der Spätabtreibung“ der in der Februarausgabe der „Politischen Meinung“ der Konrad Adenauer Stiftung veröffentlicht wurde:

Manfred Spieker: „Grauenvoll“ nannte die Justizministerin der ersten rot-grünen Bundesregierung, Däubler-Gmelin, Spätabtreibungen im März 1999. Man müsse sie „unterbinden, schlichtweg unterbinden, wenn die Gesundheit der Mutter nicht gefährdet ist“.

An anderer Stelle heißt es:

Die umstrittenste Methode einer Spätabtreibung ist die Partial Birth Abortion, die Teilgeburtsabtreibung, bei der das Kind mit einer Zange aus dem geweiteten Gebärmutterhalskanal gezogen wird, bis der Nacken sichtbar wird. Mittels eines chirurgischen Instrumentes wird dann ein Loch in den Hinterkopf gestoßen, um durch einen Katheter das Hirn abzusaugen. Ist das Kind auf diese Weise während des Geburtsvorganges, bei dem es bereits mit Armen und Beinen strampeln kann, wenn es nicht zuvor narkotisiert wurde, gezielt umgebracht worden, wird die Abtreibung vollendet. Die Methode wurde Anfang der neunziger Jahre von zwei amerikanischen Ärzten, James McMahon und Martin Haskell, unabhängig voneinander entwickelt.

An anderer Stelle:

Die Partial Birth Abortion brachte ans Tageslicht, was bei allen anderen Abtreibungsmethoden im Verborgenen geschieht: dass Abtreibung die gezielte Tötung eines Kindes, mithin Mord ist [En08].

Wenn aber die Würde des Menschen voraussetzt, geboren zu sein, dann vermag diese fehlende Würde, aus der sich alle anderen Menschenrechte ableiten, alles zu rechtfertigen, was beim Vorhandensein eines Restgewissens gesetzlich geregelt und somit für zulässig erklärt werden kann.

15 Spätabtreibungen in England

TOP

Im Juni 2025 hat das britische Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, die Frauen nicht mehr für Abtreibungen strafrechtlich verfolgt, unabhängig von der Schwangerschaftswoche.

Das bedeutet, dass auch Spätabtreibungen straffrei bleiben werden.

 Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Änderung dazu beitragen wird, dass Frauen in Zukunft leichter Zugang zu Abtreibungen haben, und dass sie sich nicht mehr vor strafrechtlichen Konsequenzen fürchten müssen.

16 Papst Franziskus zur Abtreibung

TOP

Am Sonntag, den 29. September 2024, äußerte sich der zwischenzeitlich verstorbene Papst Franziskus anlässlich einer Pressekonferenz zur Abtreibung wie folgt:

Papst Franziskus: Frauen haben ein Recht auf Leben: auf ihr eigenes Leben, auf das Leben der Kinder. Vergessen wir nicht, dies zu sagen: Eine Abtreibung ist eine vorsätzliche Tötung. Die Wissenschaft sagt, dass bereits einen Monat nach der Empfängnis alle Organe vorhanden sind. Man bringt ein menschliches Wesen um, man tötet ein menschliches Wesen. Und Ärzte, die sich dazu hergeben, sind – erlauben Sie mir das Wort – Auftragskiller. Sie sind Auftragskiller. Und da gibt es nichts zu diskutieren. Man tötet ein menschliches Leben. Und die Frauen haben das Recht, das Leben zu schützen. Eine andere Sache sind Verhütungsmethoden, dies ist eine andere Angelegenheit. Das darf man nicht verwechseln. Ich spreche jetzt nur von der Abtreibung. Und da gibt es nichts zu diskutieren. Entschuldige, aber das ist die Wahrheit! Danke [En09].

17 Ich bin Giorgia

TOP

In ihrem autobiografischen Buch beschreibt die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ihren inneren Konflikt, als ihre Mutter zu ihr sagte, dass sie bereits vor der Abtreibungsklinik gestanden habe, als sie sich dennoch dazu entschloss, ihre Leibesfrucht nicht abzutreiben.

Giorgia Meloni: Am Morgen der klinischen Tests, die der Schwangerschaftsunterbrechung vorausgehen, steht sie auf, bleibt nüchtern und macht sich auf den Weg ins Labor. Dann, so hat sie mir immer wieder erzählt, bleibt sie genau vor dem großen Tor stehen, zögert, schwankt. Sie geht nicht hinein. Sie fragt sich: Ist das wirklich meine Entscheidung – darauf zu verzichten, noch einmal Mutter zu werden? Ihre rein instinktive Antwort ist: Nein, ich will nicht darauf verzichten, ich will nicht abtreiben. Meine Tochter wird eine Schwester haben [En10].

Wie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Melone, die römisch-katholisch ist, auf das JA von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Deutschen Bundestag reagiert hat bzw. hätte, wenn sie dieses JA wider die Menschenwürde von ungeborenen Menschen zu bewerten gehabt hätte, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ich gehe davon aus, dass es sich bei den Wählerinnen und Wählern der CDU immer noch mehrheitlich um Christen handelt, die sich nach diesem JA des Bundeskanzlers im Deutschen Bundestag irritiert an den Kopf fassen und sich fragen:

Ist das noch die CDU?

Und dass es die SPD der CDU und auch der CSU nach der Sommerpause nicht leicht machen wird, an ihren Grundsätzen festzuhalten, darauf sei bereits an dieser Stelle hingewiesen.

Nicht einmal die Sommerpause sollte ungenutzt bleiben.

18 Es reicht

TOP

Am Dienstag, den 29. Juli 2025, startete die SPD eine Pedition auf ihrer Website mit der Überschrift: Es reicht!

Diese Pedition kann (noch) über den folgenden Link aufgerufen werden, denn am 31. Juli 2025 wurde diese Pedition "zur Verteidigung unserer Demokratie" dahingehend korrigiert, dass die CDU/CSU nicht mehr dem rechten Lager zugeordnet wurde.

SPD löscht Angriff auf die CDU

Heute hat die Petition der SPD folgenden Wortlaut:

Es reicht!

Wie dem auch immer sei: Die Demokratie von heute - egal wer sie für sich in Anspruch nimmt und sie sozusagen als einen Alleinvertretungsanspruch für sich in Anspruch nimmt, besser gesagt, als "unsere Demokratie" bezeichnet - befindet sich in einem bedauernswerten Zustand.

Was damit gemeint ist, das wird Thema des folgenden Aufsatzes sein, der am 15. August 2025 zur Verfügung stehen und folgende Überschrift tragen wird:

Der Verlust der Tugend - Zur moralischen Krise von heute

19 Quellen

TOP

Endnote_01
Ansage.Org vom 10. Juli 2025: Merz hat das Ende der CDU als christliche und wertebasierte Partei besiegelt.
https://ansage.org/merz-hat-das-ende-der-cdu-als-
christliche-und-wertebasierte-partei-besiegelt/
Zurück

Endnote_02
Apollo-News.net vom 8. Juli 2025: Menschenwürde gelte nicht für alles „menschliche Leben“ – Brosius-Gersdorf irritiert mit Aufsatz zu Abtreibungen.
https://apollo-news.net/menschenwuerde-gelte-nicht-fuer-alles-menschliche-
leben-brosius-gersdorf-irritiert-mit-aufsatz-zu-abtreibungen/
Zurück

Endnote_03
Verfassungsblog.de vom 04.07.2025: Die Würde der Schwangeren ist unantastbar.
https://verfassungsblog.de/entkriminalisierung-
schwangerschaftsabbruch-wuerde/
Zurück

Endnote_04
Mary Beard. SPQR - Die tausendjährige Geschichte Roms. Fischer-Verlag 2015, Seite 202
Zurück

Endnote_05
Vor dem CDU-Bundesparteitag in Hannover, 15.3.1964, Protokoll.
https://www.konrad-adenauer.de/zitate/geistige-grundhaltung/
Zurück

Endnote_06
CDU-Grundsatzprogramm: In Freiheit leben. Deutschland sicher in die Zukunft führen. Seite 35 und 36
Zurück

Endnote_07
Alasdair MacIntryre: Der Verlust der Tugend – zur moralischen Krise der Gegenwart, Campus Verlag 2006, Seite 20
Zurück

Endnote_08
Konrad Adenauer Stiftung: Der Rechtsstaat darf nicht kapitulieren. Das Grauen der Spätabtreibung von Manfred Spieker.
https://www.kas.de/de/web/die-politische-meinung/artikel/
detail/-/content/das-grauen-der-spaetabtreibung
Zurück

Endnote_09
Pressekonferenz mit dem Heiligen Vater auf dem Rückflug nach ROM am Sonntag, 29. September 2024.
https://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2024/
september/documents/20240929-belgio-voloritorno.html
Zurück

Endnote_10
Giorgia Meloni: Ich bin Giorgia. Europa Verlag München 2025, Seite 16
Zurück

Fehler, Verbesserungsvorschläge und Fragen richten Sie bitte an:

info@rodorf.de

--------------------------------------------------------------

Die Pflege und der Unterhalt dieser Webseite sind mit Kosten
verbunden. Aus diesem Grunde können die anderen Kurse, die das polizeiliche Grundlagenwissen betreffen, nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

Polizeiliches Grundlagenwissen
Printausgaben und E-Books
www.polizeikurse.de