§
323c StGB
§ 138 StGB
§ 123 StGB
§ 111
OWiG
02 Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB)
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Gem. § 323c StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe
bestraft, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet,
obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne eigene
Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist.
Jede Person ist zur Hilfeleistung verpflichtet, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt
sind:
- Notsituation (Unglücksfall, gemeine Gefahr, Not)
- Hilfeleistung ist erforderlich
- Hilfeleistung ist zumutbar
Aus § 323c StGB folgt also die gesetzliche Pflicht, in einer Notsituation
erforderliche und zumutbare Hilfe leisten zu müssen. Die Verpflichtung betrifft
jedermann!
§
323c StGB
Sind die Voraussetzungen von § 323c StGB erfüllt, muss auch dann Hilfe geleistet
werden, wenn der sich in Not Befindende Hilfe ablehnt.
Unterlassene Hilfeleistung ist ein echtes Unterlassungsdelikt. Sind die Voraussetzungen
eines unechten Unterlassungsdelikts erfüllt (§ 13 StGB), ist der Anwendungsbereich von
§ 323c StGB nicht gegeben.
03 Notsituation
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§ 323c StGB setzt voraus, dass ein Unglücksfall, eine gemeine Gefahr oder Not gegeben
ist.
Unglücksfall
Unglücksfälle sind plötzlich eintretende Ereignisse, durch die erhebliche Gefahren
für Personen oder Sachen entstanden sind. Sie können durch menschliches Verhalten
(Handeln, Unterlassen, Zustände), durch technische Fehler oder durch Naturereignisse
verursacht sein, z.B.:
- Zusammengebrochene Personen (Alkohol, Rauschgift, Kreislaufzusammenbrüche, Epilepsie)
- Bewusstlose Personen.
- Schwer verletzte Personen (Gewalt oder Unfall).
- Brand, Explosion.
- Ausübung von Gewalt.
- Selbstmordversuche.
Dass Ausübung von Gewalt als Unglücksfall i.S.v. § 323c StGB zu bewerten ist, hat
z.B. das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 27.02.2002 anerkannt.
Dass Selbstmordversuche als Unglücksfälle zu bewerten sind, entspricht der
Rechtsprechung des BGH. Danach ist nicht nur ein auf rechtlich bedeutsamen Willensmängeln
beruhender Selbstmord als Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB anzusehen, sondern jeder
Selbstmordversuch. Die allgemeine Hilfeleistungspflicht nach § 323 c StGB beginnt schon
dann, wenn durch die erkannte Selbsttötungsabsicht eine unmittelbare als Unglücksfall zu
wertende Gefahrenlage für den Selbstmörder entstanden ist und die weiteren in § 323c
StGB genannten Voraussetzungen erfüllt sind (BGH 3 StR 96/84).
Beispiel
A hat seinem Nachbarn B auf dem Flur erklärt, dass er seit dem Tod von Frau A nicht mehr
klar komme. Er wolle sich das Leben nehmen und niemand solle sich um ihn kümmern. Er gehe
jetzt in seine Wohnung und mache Schluss. Muss B Hilfe leisten ?
Eine Hilfeleistungspflicht aus § 13 StGB scheidet aus, weil
B gegenüber A keine Garantenstellung hat. Eine Pflicht zur Hilfeleistung könnte sich
jedoch aus § 323c StGB ergeben. Voraussetzung ist zunächst, dass eine Notsituation
i.S.v. § 323c StGB gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine erkannte
Selbsttötungsabsicht dann als Unglücksfall zu bewerten, wenn eine unmittelbare als
Unglücksfall zu wertende Gefahrenlage für den Selbstmörder entstanden ist. Da ein
verständiger Beobachter auf Grund des konkreten Verhaltens des A damit rechnen musste,
dass A sich sofort nach Hineingehen in seine Wohnung das Leben nehmen werde, ist somit von
einem Unglücksfall i.S.v. § 323c StGB auszugehen. B muss folglich erforderliche und
zumutbare Hilfe leisten. Im Beispielsfall ist dieser Pflicht wohl Genüge geleistet, wenn
sofort Rettungsdienste (z.B. Polizei, Notarzt) verständigt werden.
Abwandlung des Beispiels
Nachdem A in seine Wohnung gegangen ist, hat B sofort die Polizei gerufen. Die Beamten
erreichen die Wohnungstür und versuchen durch Rufen und Klingeln, zu A Kontakt
herzustellen. A meldet sich nicht. Rechtslage?
Soweit nicht auch Rechtsgüter Dritter gefährdet sind, ist
im Falle von Selbstmord eine Gefahr für die Rechtsordnung nicht gegeben, weil
Selbsttötung und versuchte Selbsttötung nicht strafbar sind, jedoch stellt das Recht auf
Leben innerhalb der Grundrechtsordnung einen "Höchstwert" dar. Deshalb ist der
Staat verpflichtet, jedes menschliche Leben im öffentlichen Interesse zu schützen
(BVerfGE 46,163 ff.).
Unter den gegebenen Umständen besteht eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des A.
Das gilt auch, obwohl A offensichtlich weiß, was er tut. Folglich besteht eine Gefahr
für die öffentliche Sicherheit. Zur Abwehr von Gefahren, die der öffentlichen
Sicherheit drohen, ist die Polizei verpflichtet, wenn ein Fall von Ermessensreduzierung
gegeben ist. Letzteres ist der Fall, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit
- auf Bedeutung des gefährdeten Rechtsgutes und die Intensität der Gefahr kommt es nicht
an
- Kenntnis von der Gefahrenlage
- tatsächliche Möglichkeit zur Gefahrenabwehr
- Abwehr der Gefahr ist mit angemessenen zugelassenen Mitteln möglich
- Zumutbarkeit
Da diese Voraussetzungen augenscheinlich erfüllt sind, hat die Polizei eine
Rechtspflicht (Garantenpflicht, öffentlich rechtliche Pflichtenstellung), den Selbstmord
des A zu verhindern. Tut sie es nicht, können die Beamten wegen fahrlässiger Tötung -
begangen durch Unterlassen - gem. § 13 StGB zur Verantwortung gezogen werden. Der
Anwendungsbereich von § 323c StGB ist in solchen Fällen nicht gegeben.
Zum Rechtsbegriff "öffentliche Sicherheit" und zum Problembereich
"Ermessen" vgl. Programm Polizeirecht.
04 Erforderlichkeit / Zumutbarkeit
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Im Falle von Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not (Notsituation) ist
Hilfeleistung nur geboten, wenn Hilfeleistung erforderlich und zumutbar ist.
Ob Hilfeleistung erforderlich ist oder nicht, kann nur vor Ort entschieden werden.
Hilfeleistung ist zum Beispiel nicht erforderlich, wenn der Verunglückte auf Hilfe
verzichtet und mit Wahrscheinlichkeit auch keiner Hilfe bedarf oder wenn einem
Verunglückten bereits ausreichend Hilfe geleistet wird.
Ist Hilfe erforderlich, muss Hilfe nur geleistet werden, wenn sie dem Hilfeleistenden
nach den Umständen zuzumuten ist.
Sind zur Abwehr von Gefahren Fachkenntnisse erforderlich, ist diese spezifisch
erforderliche Hilfeleistung nur demjenigen zuzumuten, der solche Fachkenntnisse hat.
So ist z.B. eine vor Ort erforderliche medizinische Versorgung nur Ärzten zumutbar.
Wer allerdings in "Erster Hilfe" ausgebildet ist, dem sind solche
Hilfsmaßnahmen zumutbar, die seinem Ausbildungsstand entsprechen. In Betracht kommen:
- Verunglückten in ruhige Seitenlage bringen,
- Schlagaderverletzungen abbinden,
- Rettungsdienste rufen,
- Unglücksstelle absperren,
- Rettungswege freihalten,
- Zeugen feststellen.
Aber selbst wenn jemand fachlich in der Lage ist, bestimmte Hilfeleistungen zu
erbringen, muss er das nicht um jeden Preis. Das Gesetz verpflichtet niemanden, sich durch
Hilfeleistung zugunsten Dritter selbst in erhebliche Gefahr zu begeben. Allerdings
verbietet das Gesetz nicht, erforderliche Hilfe zu leisten und dabei Risiken auf sich zu
nehmen, zu denen man nicht verpflichtet ist.
Beispiel
Fahrgast F hat im Toilettenbereich des Hauptbahnhofs einen Mann bewusstlos aufgefunden.
Der Mann ist vom äußeren Anschein her volltrunken, völlig verdreckt und
heruntergekommen. Darf F Atemspende geben, wenn er diese Technik beherrscht?
Die Voraussetzungen von § 323c StGB sind gegeben. Folglich
muss F Hilfe leisten. Selbstverständlich darf er freiwillig Atemspende leisten und dabei
Gesundheitsrisiken eingehen. Er muss es aber nicht, weil eine Atemspende in dem
geschilderten Fall ohne erhebliche eigene Gefahr nicht möglich ist (Ansteckungsgefahr).
Allerdings ist ihm zumutbar, die Person in eine stabile Seitenlage zu legen und einen
Notarzt zu alarmieren.
05 Haftung auf Schadenersatz
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Nach dem Schadenersatzrecht ist eine Forderung auf Schadenersatz nur dann berechtigt,
wenn ein Schutzgut des Einzelnen betroffen ist (§ 823 BGB).
Deshalb wurde noch bis 2002 von der Rechtsprechung und z.T. auch in der Literatur davon
ausgegangen, dass in Fällen von § 323c StGB ein Schadenersatzanspruch nicht besteht,
weil § 323 c StGB lediglich im Interesse der Allgemeinheit einer solidarischen
Schadensabwehr in akuten Notlagen diene, nicht dagegen zum Schutz des Einzelnen.
Diesen Standpunkt hat das OLG Düsseldorf 2002 aufgegeben. Danach ist unterlassene
Hilfeleistung deshalb unter Strafe gestellt, weil der Einzelne aufgrund seiner sozialen
Verbundenheit mit seinen Mitbürgern dafür verantwortlich ist, dass in Fällen von §
323c StGB die bedrohten Rechtsgüter nach Möglichkeit vor Schaden bewahrt bleiben. Die
Strafnorm diene deshalb auch dem Schutz des Opfers (OLG Düsseldorf vom 27.02.2002).
Damit sind die Schadenersatzansprüche des Opfers gegenüber denjenigen berechtigt, die
Hilfeleistung unterlassen haben.
06 Nichtanzeige von Straftaten (§ 138 StGB)
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Gem. § 138 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft,
- wer von dem Vorhaben oder der Ausführung einer in Abs. 1 bezeichneten Straftat zu einer
Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubhaft
erfährt und es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen
- von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Straftat nach § 129a StGB zu einer Zeit, zu
der die Ausführung noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt,
der Behörde unverzüglich Anzeige zu erstatten
Die Tat ist ein echtes Unterlassungsdelikt, weil § 138 StGB eine Gebotsnorm ist und
ein Unterlassen ausdrücklich unter Strafe stellt. Soweit das Vorhaben oder die
Ausführung einer in Abs. 1 benannten Tat nicht rechtzeitig angezeigt wird, ist die Tat
von Amts wegen zu verfolgen.
§
138 StGB
Für Verstöße gegen Abs. 2 gilt (ausweislich Abs. 2 Satz 2) § 129b Abs. 1 Satz 3-5
StGB entsprechend. Das bedeutet, dass solche Verstöße nur mit Ermächtigung des
Bundesministers der Justiz verfolgt werden (Ermächtigungsdelikt).
§ 138 StGB ist eines der "Musterbeispiele gesetzgeberischer Gründlichkeit"
mit der Folge, dass die Normadressaten - wir Bürger - nicht mehr verstehen, in welchen
Fällen Anzeigepflicht besteht und in welchen nicht.
Es ist für den Rechtsanwender sicherlich auch keine Vereinfachung, die im Gesetz
genannten Delikte hier akribisch aufzulisten. Bezüglich der Anlasstaten wird deshalb auf
den Gesetzestext verwiesen.
07 Anzeigepflicht
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Bestraft wird das Unterlassen rechtzeitiger Anzeige in Fällen von Abs. 1 bei der
Behörde oder dem Bedrohten, in Fällen von Abs. 2 bei der Behörde.
Zur Anzeige verpflichtet ist, wer von dem Vorhaben oder der Ausführung einer in § 138
StPO genannten Straftat zu einer Zeit glaubhaft erfährt, zu der in Fällen von Abs. 1 die
Ausführung oder der Erfolg, in Fällen von Abs. 2 die Ausführung noch abgewendet werden
kann.
Die gesetzlichen Differenzierungen sind nur schwer nachvollziehbar, zumal in dem in
Abs. 2 maßgeblichen Tatbestand des § 129a StGB z.T. auch Delikte aufgeführt sind, die
in Abs. 1 ebenfalls genannt sind.
Was den Adressaten der Anzeige angeht, können allerdings keine Fehler gemacht werden,
wenn bei der zuständigen Behörde angezeigt wird, denn die Behörde ist sowohl in Abs. 1
als auch in Abs. 2 als zulässiger Adressat genannt.
Da die Anzeigepflicht nur besteht, sofern die Ausführung (in Fällen des Abs. 1 auch
der Erfolg) noch abgewendet werden kann, besteht eine Anzeigepflicht nicht, wenn die
Ausführung oder der Erfolg nicht mehr abgewendet werden kann. Letzteres ist jedenfalls
der Fall, wenn eine Tat beendet ist.
Ein Delikt gilt als beendet, wenn der Täter eine Straftat vollendet und darüber
hinaus nach seiner Vorstellung alles getan hat, um den Taterfolg zu sichern.
Daraus folgt:
- Erfolgsdelikte (z.B. Mord, Totschlag §§ 211, 212 StGB) sind mit Eintritt des Erfolges
beendet
- Dauerdelikte (z.B. erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme
§§ 239a, b StGB) sind
beendet, wenn die Opfer wieder frei sind
- Raub ist beendet, wenn der Täter einen Raub vollendet und darüber hinaus nach seiner
Vorstellung alles getan hat, um die Beute zu sichern
Solche begangenen Taten sind vom Anwendungsbereich des § 138 StGB nicht erfasst. Sie
brauchen deshalb nicht angezeigt zu werden. Wer jedoch absichtlich oder wissentlich ganz
oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird,
kann wegen Verfolgungsvereitelung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft werden (§ 258 StGB).
Anzeigepflicht in Bezug auf eine in § 138 StGB genannte Tat besteht also nur vor
Beendigung einer Tat, und zwar unabhängig davon, ob sich die Tat im Stadium der Planung,
Vorbereitung, Versuch oder Vollendung befindet. Ausschlaggebend ist der Zeitpunkt, zu dem
die Ausführung (oder in Fällen des Abs. 1 auch der Erfolg) durch die Anzeige noch
abgewendet werden kann.
Wer die Anzeige leichtfertig unterlässt, obwohl er von dem Vorhaben oder der
Ausführung der rechtswidrigen Tat glaubhaft erfahren hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr oder mit
Geldstrafe bestraft (§ 138 Abs. 3 StGB).
Wer an der Planung oder Ausführung einer anzeigepflichtigen Tat beteiligt ist
(Mittäter, Gehilfen, Anstifter), ist nicht anzeigepflichtig, auch wenn er sich von dem
Vorhaben losgesagt hat (BGH 19, 167).
08 Hausfriedensbruch durch Unterlassen
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Gem. § 123 StGB wird wegen Hausfriedensbruchs bestraft,
- wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines
anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr
bestimmt sind, widerrechtlich eindringt oder
- wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich
nicht entfernt.
Die 1. Alternative ist ein Begehungs-, die 2. Alternative ein echtes
Unterlassungsdelikt.
§
123 StGB
Jemand verweilt unbefugt, wenn er für das Verweilen keinen Rechtfertigungsgrund hat.
Das Merkmal "unbefugt" hat die gleiche Bedeutung wie das Merkmal
"widerrechtlich". Der Täter kann zunächst durchaus befugt die geschützte
Räumlichkeit betreten haben.
Beispiel
Etwa 20 Fußballfans haben die Bahnhofshalle des Hauptbahnhofes betreten und verhalten
sich zunächst ruhig. Kurz bevor der Sonderzug mit gegnerischen Fans einläuft, beginnen
sie zu lärmen. Die Bundespolizei fordert sie daraufhin auf, die Halle zu verlassen. Die
Fans weigern sich. Hausfriedensbruch?
Obwohl die Fans die Halle in der Absicht betreten haben, dort
(später) Randale zu machen, sind sie nicht widerrechtlich eingedrungen, denn sie haben
einen der Öffentlichkeit zugänglichen Ort in verkehrsüblicher Weise betreten und
zunächst Ruhe und Ordnung bewahrt. Aus triftigem Anlass wurden sie jedoch später durch
Berechtigte aufgefordert, die Halle zu verlassen.
Weil sie der Aufforderung nicht nachgekommen sind, verweilen sie von diesem Zeitpunkt
an unbefugt in einem gemäß § 123 StGB geschützten Raum. Folglich begehen sie
Hausfriedensbruch.
Beispiel
Die Polizei wird zur Bahnhofsgaststätte gerufen. Dort ist es zwischen dem Wirt und einem
Gast zu Streit gekommen. Der Wirt erklärt: "Weil sich der Mann überheblich benahm,
habe ich ihn aus dem Lokal verwiesen. Er weigert sich jedoch zu gehen. Um Gewalt zu
vermeiden, habe ich Sie gerufen." Der Mann erklärt: "Das hier ist eine
öffentliche Gaststätte. Da lasse ich mich doch nicht einfach
hinauskomplimentieren." Hausfriedensbruch?
Die Gaststätte ist ein durch § 123 StGB geschützter Raum.
Offensichtlich ist der Mann nicht widerrechtlich eingedrungen, denn er hat sich, was das
Betreten der Gaststätte angeht, verkehrsüblich verhalten. Fraglich ist, ob der Mann in
der Gaststätte unbefugt verweilt, nachdem der Wirt ihm zum Verlassen aufgefordert hat. Da
die Gaststätte ein privater Geschäftsraum ist, kann der Inhaber darüber entscheiden,
wen er dulden will und wen nicht. Er kann also, ohne einen besonderen Grund angeben zu
müssen, jemandem die Befugnis zum Verweilen entziehen. Der Gast kann rechtswirksam nicht
entgegenhalten, dass der Wirt anderen Gästen das Verweilen gestattet. Der Mann begeht
also Hausfriedensbruch.
09 Verweigerung der Angabe von Personalien (§ 111 OwiG)
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Gem. § 111 OwiG handelt ordnungswidrig, wer einer zuständigen Behörde, einem
zuständigen Amtsträger oder einem zuständigen Soldaten der Bundeswehr über seinen
Vor-, Familien- oder Geburtsnamen, den Ort oder Tag seiner Geburt, seinen Familienstand,
seinen Beruf, seinen Wohnort, seine Wohnung oder seine Staatsangehörigkeit eine
unrichtige Angabe macht oder die Angabe verweigert.
§ 111 OWiG
Die Vorschrift ist eine Gebotsnorm. Die 2. Alternative "Angabe verweigert"
bedeutet, dass der Verpflichtete es unterlässt, die gesetzlich gebotenen Angaben zu
machen. Folglich handelt es sich bei der 2. Alternative um ein echtes Unterlassungsdelikt.
Zuständige Amtsträger sind u.a. auch Polizeivollzugsbeamte, wenn sie im
Aufgabenbereich der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr aufgrund einer Befugnisgrundlage
eine Person rechtmäßig auffordern, Personalien anzugeben.
Das gilt auch, wenn im Aufgabenbereich der Gefahrenabwehr eine Person, deren Befragung
zulässig ist, aufgefordert wird Name, Vorname, Tag und Ort der Geburt, Wohnanschrift und
Staatsangehörigkeit anzugeben.
Zweck dieser Regelung ist es, sicherzustellen, dass Hinweise und Informationen
zugeordnet werden können und eine spätere erneute Kontaktaufnahme möglich ist.
Zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten kann die Identität Betroffener grundsätzlich
gemäß §§ 46 Abs. 2, 53 OWiG, § 163 b StPO festgestellt werden.
Sind die Voraussetzungen von § 163 b StPO gegeben, kann die Person
- angehalten,
- befragt und
- gegen ihren Willen festgehalten werden.
Grundsätzlich kann es jedoch im Zusammenhang mit einer Befragung i.S.v. § 9 PolG NRW
nicht richtig sein, unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit die
Personalien auf der Grundlage der §§ 53, 46 Abs. 2 OWiG, 163 b StPO festzustellen, damit
die Daten für eine spätere Kontaktaufnahme verfügbar sind. Auf diese Weise würde die
Zweckbestimmung von § 9 Abs. 2 PolG NRW unterlaufen.