§ 184j StGB (Straftaten aus Gruppen)
Mai 2018
01 Allgemeines zu
§ 184j StGB
TOP
Die gesetzliche Neuregelung, die
durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 04.11.2016
zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung in das StGB
aufgenommen wurde, ist umstritten.
Dies gilt sowohl für die
praktische Anwendbarkeit des neuen Straftatbestandes als auch im
Hinblick auf die unzureichende Normenklarheit von
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) und die sich daraus ergebende Möglichkeit der
Überschreitung des Schuldstrafrechts.
Die tragenden Gründe bestehender
Bedenken hier in aller Kürze:
-
Die Strafbarkeit einer bloß
mittelbaren Förderung durch eine Person, die rein zufällig sich in
einer Gruppe befindet, aus der heraus nur die im
§ 184j StGB
selbst aufgeführten Straftaten begangen werden können, überschreitet
die Grenzen eines tatbezogenen Schuldstrafrechts.
-
Die im Tatbestand enthaltene
Subsidiaritätsklause, gemeint ist der Nachweis, dass es tatsächlich
bereits zu einer im § 184j StGB aufgeführten Straftaten gekommen ist
(das ist ein objektiver Tatbestand der Norm), kann von
Polizeibeamten vor Ort kaum festgestellt werden, so dass die
Anwendung der Vorschrift in den Fällen, die der Gesetzgeber durch
die Neuregelung sanktionieren wollte, wohl ins Leere läuft. Gemeint
sind Vorfälle, wie sie sich in der Silvesternacht 2015/16 auf der
Kölner Domplatte und auch in anderen Städten ereigneten. Auch der
hellsichtigste Polizeibeamte wird in einem Pulk von Menschen nicht
sehen können, was sich außerhalb seines Blickfeldes ereignet. Und
auch hochauflösende Videokameras, die von oben herab Bilder aus
diesem Haufen (der Gesetzgeber verwendet dafür den Begriff der
Gruppe) liefern, lassen es nicht zu, die Personen eingrenzen zu
können, die zu dieser Gruppe »vorwerfbar« gehören.
-
Mit anderen Worten: Der
gesetzlichen Regelung fehlt es nicht nur am praktischen
Gebrauchswert, sondern auch an der Bestimmtheit strafbaren
Verhaltens.
[Hinweis:] Zu dieser
Einschätzung kommt im Übrigen auch der Wissenschaftliche
Dienst des Deutschen Bundestages, der sich 2016, im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens, umfangreich in seiner Ausarbeitung: Straftaten
aus Gruppen und die Garantien des Strafrechts, zur o.g. Problematik
geäußert hat. [En01] 1
Rechtsprechung zu
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) liegt zurzeit noch nicht vor.
01.1
Tatbestandsmerkmale des § 184j StGB im Überblick
TOP
§ 184j StGB (Straftaten aus
Gruppen) hat folgenden Wortlaut:
Wer eine Straftat dadurch fördert,
dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person
zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn von einem
Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen
wird und die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe
bedroht ist.
In Anlehnung an den Gesetzestext
ergeben sich dadurch folgende Tatbestände, die der Klärung bedürfen:
-
Straftat im Sinne von § 184j
StGB
-
Beteiligung an einer
Personengruppe
-
Förderung einer Straftat
-
Bedrängen des Opfers durch die
Gruppe
-
Erfüllung objektiver
Tatbestandsmerkmale als Verfolgungsvoraussetzung
-
Tatbestandsmerkmal »an ihr«
-
Kohärenz des
Bedrängungsvorgangs
Im Folgenden werden die o.g.
Tatbestandsmerkmale erörtert.
01.1.1
Straftat im Sinne von § 184j StGB
TOP
§ 184j StGB (Straftaten aus
Gruppen) hat folgenden Wortlaut:
Wer eine
Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe
beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr
bedrängt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine
Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen wird und die Tat
nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
In dieser Randnummer werden die
oben fett markierten Tatbestandsmerkmale erörtert:
Nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung ist
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) so zu
lesen, dass § 184j StGB nur dann greift, wenn die expressis verbis in
der Norm aufgeführten Straftaten durch eine Personengruppe gefördert
werden.
Dabei handelt es sich um folgende
Delikte:
Nach dem Wortlaut von § 184j StGB
kämen aber auch andere Straftaten in Betracht. Das würde aber dem Sinn
der Vorschrift nicht entsprechen. Andererseits stellt sich im Hinblick
auf die in der Norm benannten Sexualstraftaten die Frage, warum
Straftaten aus Gruppen, die sich gegen Kinder richten, nicht
strafbewehrt sein sollen. Zwar sind sexuelle Belästigungen im Sinne von
§ 184j StGB auch gegenüber Minderjährigen und Kindern möglich, strafbare
Handlungen im Sinne von § 177 StGB erfassen aber nur Opfer, die zum
Zeitpunkt der Tat das 14. Lebensjahr vollendet haben. Täter, die
vergleichbare Handlungen an Personen unter 14 Jahren ausüben, begehen
Straftaten auf der Grundlage von
§ 176 StGB (Sexueller
Missbrauch von Kindern) oder
§ 176a StGB (Schwerer sexueller
Missbrauch von Kindern). Die sind aber in der Norm nicht aufgeführt.
[Hinweis:] Es kann aber
davon ausgegangen werden, dass auch diese sexuellen Straftaten gemeint
sind, wenn aus Personengruppen heraus die Begehung solcher Straftaten
gefördert wird.
Festzustellen ist dennoch, dass
allein im Hinblick auf sprachlich unglückliche Regelungen im
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) nicht von Normenklarheit gesprochen
werden kann. Normenklarheit ist aber eine Grundbedingung für ein dem
Rechtsstaat verpflichtetes Strafrecht. Dazu später mehr.
01.1.2
Beteiligung an einer Personengruppe
TOP
§ 184j StGB (Straftaten aus
Gruppen) stellt die Beteiligung an einer Personengruppe unter den im
Gesetz benannten Voraussetzungen unter Strafe. Im § 184j StGB heißt es:
»sich an einer
Personengruppe beteiligt, die ---.
Es ist naheliegen, dass der
unbestimmte Rechtsbegriff »Personengruppe« genauso wie andere
unbestimmte Rechtsbegriffe dieser Art, etwa wie der einer »Bande« oder
der einer »Ansammlung« einer Definition bedarf, um ihn korrekt anwenden
zu können.
Diesbezüglich heißt es in der
BT-Drucks. 18/9097 vom 06.07.2016 wie folgt:
Eine
Personengruppe im Sinne des § 184j StGB ist eine Mehrheit von mindestens
drei Personen, die eine andere Person bedrängt.
Ob Richter dieser Sichtweise
folgen werden, kann und muss in Frage gestellt werden, zumal bei einer
so kleinen Täterkonstellation der Gedanke naheliegt, dass die Täter
gemeinschaftlich im Sinne von
§ 25 StGB (Täterschaft) handeln,
zumindest aber der Teil der »Unterstützer« Beihilfe im Sinne von
§ 27
StGB (Beihilfe) leistet, der den Täter bei der Tatbegehung fördert.
Was die Größe der tatbestandlich
im Sinne von
§ 184j StGB
(Straftaten aus der Gruppe) handelnden
Personengruppe anbelangt, dürfte sicherlich noch nicht das letzte Wort
gesprochen worden sein, zumal der Begriff der Gruppe dem Strafgesetzbuch
nicht fremd ist.
Verwendet wird das Wort »Gruppe«
zum Beispiel in folgenden Straftatbeständen.
[OLG Stuttgart 2014 zur Gruppe
im Sinne von § 127 StGB:] Im Beschluss des OLG Stuttgart vom
7.8.2014, 2 Ss 444/14 heißt es zur »Gruppe« wie folgt:
[Rn. 7:] Für den Begriff
»Gruppe« gibt es keine gesetzliche Definition. Nach dem Wortsinn ist
eine Gruppe - im Gegensatz zu einer bloßen Ansammlung von Einzelpersonen
- eine Mehrheit von Personen, die durch ein gemeinsames Merkmal
verbunden sind und sich insbesondere zu einem gemeinsamen Zweck
zusammengeschlossen haben (...).
[Rn. 9:] Aus welcher
Personenzahl diese Personenmehrheit bestehen muss, um eine Gruppe im
Sinne des § 127 StGB zu sein, kann nicht allgemeingültig festgelegt
werden und ist unter Berücksichtigung des Normzwecks und nach den
Umständen des Einzelfalls zu bestimmen (...). Nach der Vorstellung des
Gesetzgebers kann bereits die Zahl von drei Personen reichen
(zustimmende Stellungnahme des Bundestages zum Änderungsvorschlag des
Bundesrates, BT-Drucks. 13/8587 S. 80). Bei einer räumlich verteilten
Gruppe ist hingegen eine höhere Personenanzahl notwendig (...).
[Rn. 10:] Der [...]
festgestellte Zusammenschluss von sechs Personen reicht [...] jedenfalls
aus. [En02] 2
[Hinweis:] Ob dieser
Objektivierungsversuch des OLG Stuttgart jedoch in Gänze auf die
Personengruppen übertragen werden kann, die
§ 184j StGB
(Straftaten aus einer Gruppe) pönalisiert, kann und muss sicherlich
hinterfragt werden.
Warum:
-
Wenn zwei, drei oder vier
Personen den Täter bei der Tatbegehung fördern, dann dürfte es
naheliegend sein, von einem gemeinsamen Tatwillen und damit von
Mittäterschaft oder Beihilfe auszugehen. Dagegen spricht jedoch die
Gesetzesbegründung, die für die »Beteiligung« an der Gruppe gerade
keine Täterschaft bzw. Teilnahme im Sinne der §§ 25-27 StGB
voraussetzt und ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken gerade
nicht für erforderlich hält, siehe BT-Drucks. 18/9097, Seite 32,
sowie es für ausreichend hält, wenn die Personengruppe mindestens
aus 3 Personen besteht. Diese Sichtweise dürfte aber um so
unhaltbarer werden, je größer die »fördernde Personengruppe« ist.
Oder?
-
Wenn 30, 50 oder mehrere 100
Personen dicht beieinanderstehen und in diesem »Menschenauflauf«
eine Fläche freigehalten wird, um einem Täter die Begehung einer
Sexualstraftat dadurch zu erleichtern, indem das Tatopfer von der
Personengruppe bedrängt wird, dann stellt sich zwangsläufig die
Frage: Wer gehört zu dieser sich strafbar verhaltenden
Personengruppe? Diese Frage ist keine hypothetische Frage,
sondern einer der polizeilichen Praxis, denn es gibt viele Anlässe
in Innenstädten, in denen eine unüberschaubare Menschenmenge
dichtgedrängt - Schulter an Schulter - auf einem großen Platz steht
und dadurch mehr oder weniger bewegungsunfähig geworden ist. Kommt
es in solch einer Situation zu tatbestandlichem Handeln im Sinne von
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen), dann stellt sich
zwangsläufig sofort die Frage, wer gehört nicht mehr zu der eine
Sexualstraftat fördernden Personengruppe, der 12., der 21. oder doch
erst der 45.? Oder, um den Spieß wieder umzudrehen: Gehören auch die
drei Personen zur »fördernden und bedrängenden Personengruppe«, die
sozusagen rein zufällig ganz nahe beim Opfer Reihe stehen, aber
ansonsten mit der Sache rein gar nichts zu tun haben?
[Hinweis:] Menschenansammlungen, die kaum mehr als Luft zum
Atmen lassen, weil sie so eng beieinanderstehen, können bei jedem
Stadtfest studiert werden, z. B. wenn eine bekannte Rockband dort
ein kostenloses Freilichtkonzert gibt. Und dass es in solch einer
Enge nicht nur zu zufälligen, sondern auch zu gewollten sexuellen
Handlungen kommt, die im Sinne von
§ 184j StGB
strafbar sind, ergibt
sich nicht nur aus der begünstigenden Situation selbst, sondern auch
aus der Natur des Menschen, der gerne solche Gelegenheiten ausnutzt.
Wie dem auch immer sei.
Eine Personengruppe (drei Personen
sollen ausreichen) ist dadurch gekennzeichnet, dass sie »eine andere
Person zur Begehung einer Straftat »fördert«.
[Hinweis:] In der
Soziologie wird unter einer Gruppe das Zusammenwirken von drei bis etwa
25 Mitgliedern verstanden. Handelt es sich um eine militärische Gruppe,
dann wirken bis zu zwölf Soldaten zusammen. Bei der Polizei sind
Einsatzhundertschaften in Zügen und in Gruppen gegliedert. Eine Gruppe
besteht aus 9 Gruppenbeamten und 1 Gruppenführer.
Nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung sollte die Bezeichnung »Gruppe« nur dann verwendet
werden, wenn es auf einen Blick nicht mehr möglich ist, die Anzahl der
Akteure eindeutig zu bestimmen. Nach allem, was die Wissenschaft über
menschliche Wahrnehmungsfähigkeiten herausgefunden hat, ist es
problemlos möglich, eine Personenanzahl von 5 mit einem Blick zutreffend
wahrzunehmen, wenn sie nahe beieinanderstehen. Bei 6 Personen ist das
nur wenigen Menschen möglich. 7 Personen auf einen Blick wahrzunehmen
übersteigt die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit (Ausnahme: Eidetiker).
Mit anderen Worten:
Wird ein Tatopfer von 7 Personen
bedrängt, wird sie sich wahrscheinlich nicht einmal an die genaue Anzahl
ihrer »Bedränger« erinnern. Handeln hingegen nur 3 oder 4, dann dürfte
sich das Opfer nicht nur an die Anzahl der Personen, sondern auch an
äußere Merkmale ihrer »Bedränger« erinnern.
01.1.3
Förderung einer Straftat
TOP
Auch der Begriff des »Förderns«
ist auslegungsbedürftig, zumal er im engen Zusammenhang zu dem
unbestimmten Rechtsbegriff des »Bedrängens« steht.
In § 184j StGB (Straftaten
aus Gruppen) heißt es:
Wer eine
Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe
beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr
bedrängt, ---.
Festzustellen ist, dass das StGB
den Begriff des Förderns, zum Beispiel in den nachfolgend
genannten Paragrafen enthält:
Unter Fördern wird aber im Rahmen
der o.g. Delikte eine Anleitung verstanden, die darin besteht, andere
über Möglichkeiten der Tatbegehung zu unterrichten, diese zu
informieren, bzw. andere zur Begehung einer Straftat anzuregen. Im
Zusammenhang mit
§ 120 StGB (Gefangenenbefreiung) ist die
»Förderung des Entweichens« sogar als Beihilfe zur Selbstbefreiung zu
verstehen und im Zusammenhang mit Landfriedensbruch ist darunter eine
Form der Einwirkung zu verstehen, die in anderen die Bereitschaft zur
Gewaltanwendung weckt und im Zusammenhang mit
§ 180 StGB
(Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger) werden unter
»Förderungshandlungen« Maßnahmen verstanden, die das Schaffen
begünstigender Bedingungen zur Tatbegehung betreffen, wodurch diese
»Förderung« zur selbständigen Straftat wird und somit als Beihilfe zu
bewerten ist.
Wie aber ist »Fördern« im Sinne
von
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) auszulegen?
In der BT-Drucks. 18/9097 vom
06.07.2016 heißt es dazu auf der Seite 31:
Gemäß § 184j StGB macht sich
strafbar, wer eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer
Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer
Straftat bedrängt, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat
nach den §§ 177 oder 184i StGB begangen wird und die Tat nicht
in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe
bedroht ist.
[Hinweis:] Auch an dieser
Stelle wird deutlich, dass der Gesetzgeber sich nicht an die
rechtsstaatlich zwingende Einhaltung der Normklarheit hält. Einerseits
fordert § 184j StGB tatbestandliches Handeln im Sinne von
§ 177 StGB
(Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung;
Vergewaltigung) bzw.
§ 184i StGB (Sexuelle Belästigung) und dann
verweist das Gesetz auf unbenannte Straftaten mit einer höheren
Strafandrohung, ohne die in Betracht kommenden Delikte zu benennen.
Wie dem auch immer sei.
Festzustellen ist, dass das
Tatbestandsmerkmal »Fördern« im engen Sachzusammenhang mit dem
Tatbestandsmerkmal »Bedrängen« steht, zumal nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung es naheliegend ist, das Tatbestandsmerkmal »Fördern«
als »Bedrängen« zu verstehen.
Mit anderen Worten:
Wenn eine Personengruppe eine
Person zu dem Zweck bedrängt, um einer zur »Personengruppe gehörenden
Person die Begehung einer Sexualstraftat zu ermöglichen«, dann ist dies
als ein Fördern anzusehen.
Verbale Aufforderungen fördern
nicht, weil sie von den Sexualdelikten gar nicht erfasst werden. Fördern
heißt somit nichts anderes als: Sich in den Weg stellen, ein Hindernis
bereiten, eine Bedrohungslage schaffen, kurzum, dem Opfer seine Grenzen
aufzuzeigen.
Was im Sinne von
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) unter dem Tatbestandsmerkmal des »Bedrängens«
zu verstehen ist, wird in der BT-Drucks. 18/9097 wie folgt definiert:
Mehr dazu in der folgenden
Randnummer.
01.1.4
Bedrängen des Opfers durch die Gruppe
TOP
In der BT-Drucks. 18/9097 heißt
es: Das Opfer wird bedrängt, wenn es von der Gruppe mit Nachdruck an der
Ausübung seiner Bewegungsfreiheit oder seiner sonstigen freien
Willensbetätigung gehindert wird. Dabei muss die Gruppe mit einer
gewissen Hartnäckigkeit auf das Opfer einwirken. So genügt es nicht, dem
Opfer lediglich kurzfristig den Weg zu versperren oder dieses im Zuge
einer lautstarken Präsenz der Gruppe (lautes Grölen etc.) kurzfristig
einzuschüchtern.
Und:
Der Täter muss eine Straftat
dadurch fördern, dass er sich an der Personengruppe beteiligt und
mindestens billigend in Kauf nimmt, dass aus der Gruppe heraus
Straftaten begangen werden. Die Beteiligung ist
nicht im Sinne der §§ 25 bis 27 des StGB zu verstehen,
sondern im umgangssprachlichen Sinn.
[Hinweis:] »Bedrängen« im
Sinne von
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) setzt voraus, dass
das Opfer, durch die Personengruppe bedrängt wird.
Da das Strafgesetzbuch den
unbestimmten Rechtsbegriff des »Bedrängens« nicht kennt, ist es
erforderlich, auch dieses Tatbestandsmerkmal mit Inhalt auszufüllen.
In Anlehnung an die
Gesetzesbegründung wird das Tatopfer dann bedrängt, »wenn diese von der
Personengruppe an der Ausübung der Bewegungsfreiheit oder ihrer
sonstigen freien Willensbetätigung durch eine gewisse Hartnäckigkeit
gehindert wird. Kurzfristiges Versperren des Weges oder kurzfristige
Einschüchterung reichen dafür nicht aus«, siehe BT-Drucks. 18/9097 vom
06.07.2016 - Seite 32).
Mit anderen Worten:
Die Täterhandlung besteht
sozusagen in einer Freiheitsberaubung im Sinne von
§ 239 StGB
(Freiheitsberaubung). Danach handelt tatbestandlich, wer die mögliche
persönliche Bewegungsfreiheit widerrechtlich einschränkt. Es reicht aus,
wenn dem Opfer - wenn auch nur vorübergehend - die Möglichkeit genommen
wird, sich nach seinem Willen fortzubewegen, insbesondere einen Raum
bzw. eine Örtlichkeit zu verlassen.
Eine Hinderung nur für einen
minimalen Zeitraum reicht allerdings nicht aus, denn bei der
Freiheitsberaubung handelt es sich typischerweise um ein Dauerdelikt.
Wie dem auch immer sei.
Zweifelhaft ist, inwieweit unter
dem »Bedrängen« nach dem gesetzgeberischen Willen auch jede
Einschränkung der »sonstigen freien Willensbetätigung« zu verstehen ist.
Da die freie Willensbetätigung in Form der sexuellen Selbstbestimmung
durch die Tatbestände der Delikte geschützt ist, die im
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) benannt sind, dürfte es keine Schwierigkeiten
bereiten, über den Tatbestand der Nötigung, siehe
§ 240 StGB
(Nötigung) solche Handlungen auch auf Tathandlungen im Sinne von § 184j
StGB anzuwenden.
01.1.5
Erfüllung objektiver Tatbestandsmerkmale als Verfolgungsvorauss.
TOP
Objektives Tatbestandsmerkmal von
§ 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) ist der erklärte Wille des
Gesetzgebers, dass tatbestandliches Handeln einer Personengruppe
voraussetzt und dass von dem »Haupttäter« tatsächlich eine der in der
Norm benannten Straftaten begangen wird.
Mit anderen Worten:
Der »Haupttäter« muss eine
Straftat im Sinne von
§ 177 StGB (Sexueller
Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) oder von
§ 184i StGB
(Sexuelle Belästigung) tatsächlich begehen.
Kommt es nicht zu solch einer Straftat, dann kann auch niemandem
ein Tatvorwurf gemacht werden.
In der BT-Drucks. 18/9097 vom
06.07.2016 heißt es auf Seite 31:
Als
objektive Bedingung der Strafbarkeit muss von einem Beteiligten
der Gruppe eine Straftat nach § 177 StGB oder nach § 184i StGB
tatsächlich begangen worden sein.
01.1.6
Ausführungen zum Haupttäter
TOP
Bei so viel strafbarem
»Gruppenverhalten« wird leicht übersehen, dass es auch einen im Gesetz
nicht benannten »Haupttäter« gibt, nämlich eine Person, die eine der im
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) aufgeführte Straftat
tatsächlich begeht.
Deshalb ist es erforderlich, sich
mit dieser Person intensiver auseinanderzusetzen:
-
Tatsache ist, dass dieser
»Haupttäter« aus der Personengruppe stammen muss, die seine Straftat
dadurch fördert, indem ein Tatopfer bedrängt wird.
-
Bei der vom Gesetzgeber
vorgesehenen Anzahl (Stärke) einer Personengruppe, die mindestens
aus drei Personen bestehen muss, um strafbar im Sinne von § 184j
StGB handeln zu können, werden letztendlich zwei »Förderer bzw.
Bedränger«, denn wenn sich einer der Drei dazu entschließt, eine der
in § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) benannte Straftat zu
begehen, dann begeht dieser »Haupttäter« keine Straftat mehr im
Sinne von § 184j StGB, sondern eine der in diesem Paragrafen
benannten Sexualstraftaten.
-
Wenn aber in solch einem Fall
zwei Personen die Tat ihres »Mitstreiters« durch Bedrängen des
Tatopfers fördern, dann fördert nicht mehr eine Personengruppe,
sondern dann ermöglichen (nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung) zwei Mittäter dem Haupttäter die Möglichkeit, eine
Sexualstraftat leichter begehen zu können.
[Hinweis:] Bei so viel
Ungereimtheiten in einem Straftatbestand kommen zumindest bei mir
Zweifel auf, ob dieser Rechtsstaat noch weiß, was er regelt.
01.1.7
Tatbestandsmerkmal »an ihr«
TOP
Im § 184j StGB (Straftaten
aus Gruppen) hat folgenden Wortlaut:
Wer eine
Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe
beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr
bedrängt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat
nach den §§ 177 oder 184i begangen wird und die Tat nicht in anderen
Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
Diesen Satz muss man tatsächlich
mehrmals lesen und auch dann bleiben noch Restzweifel bestehen, was
dieser Satz tatsächlich aussagen will, denn die beiden Wörter »an ihr«
sind mehrdeutig.
Gemeint sein können:
Sinn macht die gewählte
Sprachregelung nur dann, wenn mit diesen beiden Wörtern »an ihr«
das Opfer der Tat gemeint ist, das von der Gruppe bedrängt wird und an
dem eine Person aus der Gruppe eine tatbestandliche Handlung der Delikte
vollzieht, die im
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) expressis
verbis benannt sind.
Genau dieses Problem »an ihr«
aufgreifend, heißt es in der Ausarbeitung des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zum Thema:
Straftaten aus Gruppen und die Garantien des Strafrechts auf Seite 17
wie folgt:
»Selbst wenn
der Sprachgebrauch es zulässt, dass im Normtext verwendete Pronomen
»ihr« nicht auf die bedrängte Person, sondern auf die Personengruppe zu
beziehen, so ist ein solches Verständnis jedenfalls mit dem Zweck der
Norm nicht vereinbar. Zweck der Norm ist es, ein Opfer vor einer
Personengruppe zu schützen, die das Opfer bedrängt, um an ihm eine
Straftat zu begehen. Auch die Beziehung des Pronomens auf die Straftat
ergibt keinen Sinn. Das Pronomen »ihr« kann sich daher nur auf die
bedrängte Person beziehen. Damit ist zugleich eine Einschränkung der in
Betracht kommenden Straftaten dergestalt verbunden, dass die Bedrängung
zur Begehung einer Straftat »an« der bedrängten Person erfolgen muss.
»An« einer Person können nur Straftaten begangen werden, die sich gegen
diese Person richten.« [En03]
3
01.1.8
Kohärenz des Bedrängungsvorgangs
TOP
Von der Personengruppe, die im
Sinne von
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) eine Person
bedrängt, um einem Täter die Begehung einer Sexualstraftat zu
ermöglichen, der dieser Personengruppe zuvor angehörte bzw. ihr noch
angehört, muss erwartet werden, dass zwischen allen Beteiligten ein
gewisser Zusammenhalt besteht, der sich darin äußert, dass alle wissen,
was tatsächlich in die Tat umgesetzt werden soll: die Bedrängung einer
Person, um einem Täter aus der Gruppe die Vornahme sexueller Handlungen
zu ermöglichen.
Im Gegensatz zu den Beteiligten an
einer Schlägerei im Sinne von
§ 231 StGB (Beteiligung an einer
Schlägerei), die von den Tatbeteiligten einer solchen Straftat die
Beteiligung an einem Angriff voraussetzt, ist die Beteiligungshandlung
im § 184j StGB weitaus enger gefasst.
[BGH zur Beteiligung an einer
Schlägerei:] Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des BGH vom
19.12.2013 - BGH 4 StR 347/13 wie folgt:
[Rn. 13:] Eine Schlägerei
im Sinne des
§ 231 Abs. 1 1. Alt. StGB ist eine mit gegenseitigen
Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als zwei
Personen aktiv mitwirken (...).
[Rn. 14:] Als eine für das
Tatbestandsmerkmal Schlägerei konstitutive Tätlichkeit können neben zu
vollendeten Körperverletzungen führenden Handlungen auch solche in
Betracht kommen, die auf deren Herbeiführung abzielen (...).
[Rn. 17:] Die für die
Erfüllung des Tatbestandsmerkmals Schlägerei erforderlichen
wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen mehr als zwei Personen müssen
nicht gleichzeitig begangen werden (...). Eine Schlägerei im Sinne des
§ 231 Abs. 1 1. Alt. StGB kann vielmehr auch anzunehmen sein,
wenn nacheinander jeweils nur zwei Personen gleichzeitig wechselseitige
Tätlichkeiten verüben, zwischen diesen Vorgängen aber ein so enger
innerer Zusammenhang besteht, dass eine Aufspaltung in einzelne
»Zweikämpfe« nicht in Betracht kommt und die Annahme eines einheitlichen
Gesamtgeschehens mit mehr als zwei aktiv Beteiligten gerechtfertigt ist
(...). Allerdings verliert eine tätliche Auseinandersetzung zwischen
mehr als zwei Personen den Charakter einer Schlägerei, wenn sich so
viele Beteiligte entfernen, dass nur noch zwei Personen verbleiben, die
aufeinander einschlagen oder in anderer Weise gegeneinander tätlich sind
(...). [En04] 4
[Anwendung auf § 184j StGB:]
Die o.g. Ausführungen können nur unter Einschränkungen auf
§ 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) übertragen werden, denn, um eine
Person bedrängen zu können, muss die »bedrängende Personengruppe« dies
einheitlich wollen, sozusagen über einen einheitlichen
»Bedrängungswillen« verfügen, der sich gegen eine einheitliche
»Bedrängungsperson« richtet, womit das Tatopfer gemeint ist.
Mit anderen Worten:
Bereits die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes des
Deutschen Bundestages sind in ihrer Ausarbeitung: »Straftaten aus
Gruppen und die Garantien des Strafrechts« zu dem Ergebnis gekommen,
dass es dem
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen) nicht nur an der
Normenklarheit fehlt. [En05]
5
Was das bedeutet, wird in der
folgenden Randnummer lediglich skizziert.
02 Normenklarheit
als objektive Bedingung der Strafbarkeit
TOP
Diesbezüglich heißt es in einem
Urteil des BVerfG vom 26. Juli 2005 - 1 BvR 782/94 wie folgt:
[Rn. 184:] Das Gebot der
Normenbestimmtheit und der Normenklarheit (...) soll die Betroffenen
befähigen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung zu erkennen,
damit sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Die
Bestimmtheitsanforderungen dienen auch dazu, die Verwaltung zu binden
und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen sowie,
soweit sie zum Schutz anderer tätig wird, den Schutzauftrag näher zu
konkretisieren. Zu den Anforderungen gehört es, dass hinreichend klare
Maßstäbe für Abwägungsentscheidungen bereitgestellt werden. Je ungenauer
die Anforderungen an die dafür maßgebende tatsächliche Ausgangslage
gesetzlich umschrieben sind, umso größer ist das Risiko unangemessener
Zuordnung von rechtlich erheblichen Belangen. Die Bestimmtheit der Norm
soll auch vor Missbrauch schützen, sei es durch den Staat selbst oder -
soweit die Norm die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander regelt -
auch durch diese. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, soweit Bürger an
einer sie betreffenden Maßnahme nicht beteiligt sind oder von ihr nicht
einmal Kenntnis haben, so dass sie ihre Interessen nicht selbst
verfolgen können. Schließlich dienen die Normenbestimmtheit und die
Normenklarheit dazu, die Gerichte in die Lage zu versetzen, getroffene
Maßnahmen anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren. [En06]
6
[Hinweis:] Überträgt man
diese Forderungen der Richter des BVerfG auf
§ 184j StGB
(Straftaten aus Gruppen), dann stellen sich wahrscheinlich nicht nur
Polizeibeamte die Frage, ob Tatverdächtige über die Kenntnisse verfügen
können, über die Leserinnen und Leser verfügen, wenn sie diesen Aufsatz
tatsächlich bis zum Schluss gelesen haben. Ich persönlich habe es nicht
für möglich gehalten, über einen Straftatbestand, der nur aus einem Satz
besteht, einen Aufsatz von mehr als 9 DIN A4 Seiten schreiben zu können.
Übrigens:
Die Tat ist ein Vergehen und wird
von Amts wegen verfolgt.
Ende des Kapitels
TOP
§ 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) Wenn Sie Fragen
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03 Quellen
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Endnote_01
Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages Ausarbeitung:
Straftaten aus Gruppen und die Garantien des Strafrechts
https://www.bundestag.de/blob/459046/ccea62bdc7a
925220f7edb1442fcfb08/wd-7-113-16-pdf-data.pdf Aufgerufen am
30.04.2018 Zurück
Endnote_02 OLG Stuttgart
Beschluß vom 7.8.2014, 2 Ss 444/14 Bildung bewaffneter Gruppen:
Begriff der »Gruppe«
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/
document.py?Gericht=bw&nr=18445 Aufgerufen am 30.04.2018
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Endnote_03 Wissenschaftlicher Dienst des
Deutschen Bundestages Ausarbeitung: Straftaten aus Gruppen und die
Garantien des Strafrechts - Seite 17
https://www.bundestag.de/blob/459046/ccea62bdc7
a925220f7edb1442fcfb08/wd-7-113-16-pdf-data.pdf Aufgerufen am
30.04.2018 Zurück
Endnote_04 Beteiligung an
einer Schlägerei BGH, Urteil vom 19.12.2013 - BGH 4 StR 347/13
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/13/4-347-13.php Aufgerufen am
30.04.2018 Zurück
Endnote_05
Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages Ausarbeitung:
Straftaten aus Gruppen und die Garantien des Strafrechts
https://www.bundestag.de/blob/459046/ccea62bdc7
a925220f7edb1442fcfb08/wd-7-113-16-pdf-data.pdf Aufgerufen am
30.04.2018 Zurück
Endnote_06 Normenklarheit
als objektive Bedingung der Strafbarkeit BVerfG, Urteil vom 26. Juli
2005 - 1 BvR 782/94 https://www.bverfg.de/entscheidungen/
rs20050726_1bvr078294.html#abs184 Aufgerufen am 30.04.2018
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§ 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) Wenn Sie Fragen
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