§ 243 StGB (Besonders schwerer Fall des Diebstahls)
August 2017
01 Allgemeines zu § 243 StGB
TOP
Im
§ 243 StGB
(Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) sind, wie das die Überschrift schon
andeutet, die besonders schweren Fälle des Diebstahls geregelt.
Die Bezeichnung »besonders
schwerer Diebstahl« entspricht dem Unrechtsgehalt der in den Nummern 1
bis 6 umschriebenen Regelbeispiele, zumal die Wegnahme geringfügiger
Sachen gemäß Absatz 2 nicht mehr unter die erhöhte Strafandrohung fallen
kann.
In Anlehnung an die PKS nehmen
Diebstähle in besonders schweren Fällen fast die Hälfte aller
polizeilich registrierten Diebstahlstaten ein.
In der PKS 2016 heißt es auf Seite
12:
Wie in den Vorjahren dominierten
auch im Jahr 2016 die Diebstahlsdelikte mit einem Anteil von 37,3
Prozent an der Gesamtkriminalität (40,3 Prozent der Straftaten ohne
ausländerrechtliche Verstöße). Gegenüber dem Vorjahr sank ihre Anzahl um
4,4 Prozent auf 2.373.774 Fälle. Der »Diebstahl ohne erschwerende
Umstände« und der »Diebstahl unter erschwerenden Umständen« verteilen
sich im Verhältnis von 54,4 Prozent zu 45,6 Prozent auf den »Diebstahl
insgesamt«.
Diebstahlsdelikte werden der
Polizei in hohem Maße durch Anzeigen der Geschädigten bekannt. Somit
sind Veränderungen der Fallzahlen erheblich vom wahrgenommenen Schaden
und Anzeigeverhalten abhängig.
Die Fälle bei »Diebstahl unter
erschwerenden Umständen (§§ 243 – 244a StGB)« sind um 4,5 Prozent auf
1.083.293 Fälle gesunken. Rückläufig sind die Fallzahlen bei »schwerer
Diebstahl von Mopeds und Krafträdern« (-10,7 Prozent auf 18.685 Fälle),
bei »schwerer Diebstahl in/aus Gaststätten, Kantinen, Hotels und
Pensionen« (-10,1 Prozent auf 23.344 Fälle), bei »schwerer Diebstahl
an/aus Kraftfahrzeugen« (-7,2 Prozent auf 177.912 Fälle) und bei
»schwerer Diebstahl in/aus Kiosken, Warenhäusern, Verkaufsräumen,
Selbstbedienungsläden, Schaufenstern, Schaukästen und Vitrinen« (-4,8
Prozent auf 56.544 Fälle). Zunahmen wurden festgestellt bei „schwerer
Ladendiebstahl“ (+2,5 Prozent auf 22.476 Fälle) und bei »schwerer
Diebstahl von Fahrrädern« (+0,3 Prozent auf 281.756 Fälle).
[En01]
1
PKS 2016
02 Tatorte im Sinne von § 243 Abs.
1 StGB:
TOP
Ein besonders schwerer Fall liegt
in der Regel vor, wenn der Täter »1. zur
Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder
in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem
falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung
bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält.«
Als Tatorte eines Diebstahls im
Sinne von § 243 StGB kommen in Betracht:
Auf Wohnungen findet
§ 243 StGB
(Besonders schwerer Fall des Diebstahls) keine
Anwendung. Wohnungen werden durch
§ 244 StGB (Diebstahl mit
Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl) geschützt. Seit dem
Juli 2017 begeht sogar ein Verbrechen, wer in eine »dauerhaft genutzte
Privatwohnung« einbricht, siehe § 244 Abs. 4 StGB.
§ 243 StGB
(Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) schützt, wie alle anderen
Diebstahlsdelikte auch, das persönliche Eigentum.
Hinsichtlich des räumlichen
Schutzbereiches ist der »umschlossene Raum« als Oberbegriff dieser
Regelung anzusehen. Er wird erst dann relevant, wenn es sich bei
dem Tatort weder um ein »Gebäude« noch um ein »Dienstgebäude oder um
einen Geschäftsraum« handelt.
[Gebäude:] Merkmal eines
Gebäudes ist, dass es durch Wände und durch ein Dach umgrenzt und mit
dem Boden fest verbunden ist. Es handelt sich um ein Bauwerk, das von
Menschen betreten werden kann. Unerheblich ist, ob es sich um ein
überirdisches oder ein unterirdisches Gebäude handelt. Auch Container
kommen als Gebäude in Betracht, wenn sie nicht zu Wohnzwecken bestimmt
sind.
[Dienst- und Geschäftsräume:]
Darunter sind Räumlichkeiten zu verstehen, die der Ausübung eines
Gewerbes oder sonstiger geschäftlicher oder beruflicher Tätigkeiten
dienen, oder zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, was zum
Beispiel bei Behörden und Gerichten der Fall ist.
[Anderer umschlossener Raum:]
Als ein anderer umschlossener Raum ist jedes andere Raumgebilde
anzusehen, das zumindest auch dazu bestimmt ist, von Menschen betreten
zu werden. Dieser umschlossene Raum muss über Vorkehrungen verfügen, die
unbefugte Personen daran hindern, diesen umschlossenen Raum zu betreten.
In Betracht kommen:
-
Baubuden
-
Ställe
-
Trinkhallen
-
Verkaufswagen
-
Frachtcontainer
-
eingezäunte Grundstücke
-
nach allen Seiten hin
umgrenzter Hofräume
-
Vitrinen in Fußgängerzonen,
soweit sie begehbar sind. Nicht begehbare Vitrinen sind als
verschlossene Behältnisse oder andere Schutzvorrichtungen anzusehen,
die Sachen gegen Wegnahme besonders sichern
-
Kraftfahrzeuge, soweit sie von
Menschen betreten werden können (Pkw, Lkw).
Keine umschlossenen Räume sind:
Wenn in den Schutzbereich solcher
»Räume« widerrechtlich eingedrungen wird, indem dazu Begehungsweisen zur
Anwendung kommen, die im
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) aufgelistet sind, dann handelt es sich um
einen Diebstahl, der ein höheres Strafmaß nach sich zieht.
02.1 Schwere Begehungsweisen des
Diebstahls im Überblick
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Die im§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des Diebstahls) aufgelisteten Begehungsweisen
sind abschließend. Es handelt sich um folgende Begehungsweisen:
-
Einbrechen
-
Einsteigen
-
Mit einem falschen Schlüssel
-
Mit einem anderen, nicht zur
ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug
-
Sich in dem Raum verborgen
halten
-
Gegenstände, die gegen
Wegnahme besonders gesichert sind
-
Gewerbsmäßiger Diebstahl
-
Kirchendiebstahl
-
Sachen, die für die
Wissenschaft, Kunst oder Geschichte von Bedeutung sind
-
Ausnutzen von Hilflosigkeit
oder Unglücksfall
-
Diebstahl von Waffen.
Im Folgenden werden die oben
aufgelisteten besonders schweren Begehungsarten des Diebstahls erörtert.
02.1.1 Einbrechen
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Tatbestandlich im Sinne von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) handelt, wer »1. zur Ausführung der
Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen
anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem
falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung
bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält.«
[BGH 1963:] Zu den
Merkmalen eines Einbruchs, dem nachfolgend skizzierter Anlass zugrunde
lag, heißt es in einem Urteil des BGH vom 22.05.1963 - Az.: 2 StR 144/63
wie folgt:
[Anlass:]
Ein Angeklagter hatte das Entlüftungsfenster eines Pkw aufgedrückt und
durch dieses Fenster aus dem Wagen Kleidungsstücke entwendet. Das LG
Frankfurt/Main hatte das als Einbruchsdiebstahl gewertet.
Dieser Rechtsauffassung folgte der
BGH nicht.
Im Urteil heißt es:
[Rn. 9:] Aus [...]
Feststellungen geht nicht hervor, dass der Angeklagte durch seine
Handlungsweise das Merkmal »mittels Einbruchs« verwirklicht hat.
Zu
dessen Erfüllung gehört die Anwendung von Gewalt, deren Vorliegen zwar
nicht von der Aufbietung eines bestimmten Maßes an erhöhtem Kraftaufwand
abhängig ist, jedoch eine körperliche Anstrengung nicht unerheblicher
Art voraussetzt, durch welche die Widerstandskraft des Hindernisses
überwunden wird. [En02] 2
[Gewalt als Wesensmerkmal des
Einbruchs:] Gewalt ist definiert als Anwendung nicht lediglich
unerheblicher körperlicher Kraft. Demnach ist Gewalt nicht nur gegeben,
wenn durch Kraftentfaltung eine Substanzverletzung herbeigeführt wird,
sondern auch dann, wenn unter Aufwendung erheblicherer Kraft ohne
Substanzverletzung z.B. Türen aufgedrückt oder die den Zugang eines
Raumes versperrenden Gegenstände beiseitegeschoben werden.
Jedoch bricht nicht ein, wer eine
Tür öffnet, indem er lediglich die Klinke herunterdrückt und dann einen
der in § 243 StGB aufgezählten Räume oder eine Wohnung im Sinne von §
244 StGB betritt. Ferner auch nicht, wenn eine Tür in der Weise geöffnet
wird, dass zuvor etwa eine Türkette oder ein Riegel weggeschoben wird.
Auch das »einfache« und »ohne
weiteres« mögliche Hochheben und Beiseitedrücken eines beweglichen
Zaunes erfüllt nicht das Merkmal »einbrechen«. Vielmehr kommt ein
solcher Aufwand dem Öffnen eines Gatters gleich.
[BGH 1999:] Mit Urteil vom
16.11.1999 - 1 StR 506/99 entschied der BGH über den nachfolgend
skizzierten Fall wie folgt:
[Anlass:]
Tätern war es gelungen, in den umzäunten Lagerplatz eines Baumarktes
einzudringen und dort Gartenmöbel zu stehlen, indem sie den beweglichen
Zaun hochhoben und zur Seite drückten, um in das Gelände
hineinzugelangen.
In dieser Begehungsweise erkannten
die Richter des BGH keinen Einbruch.
Im Urteil heißt es:
[Rn. 7:] Die
Voraussetzungen dieses Regelbeispiels nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
StGB haben sie damit aber nicht erfüllt, weil sie kein Werkzeug
benutzten. Die Feststellungen ergeben weiterhin nicht, dass sie
»eingebrochen« sind, also »unter Aufwendung nicht unerheblicher
körperlicher Kraft« ein dem Eindringen entgegenstehendes Hindernis
gewaltsam beseitigt hätten (...). Das »einfache« und »ohne weiteres«
mögliche Hochheben und Beiseitedrücken eines beweglichen Zaunes belegt
diese Voraussetzungen nicht ohne weiteres. Der Vorgang könnte
hinsichtlich des Aufwandes dem Öffnen eines Gatters gleichkommen.
[Rn. 8:] Aus dem gleichen
Grunde sind die Voraussetzungen des »Einsteigens« nicht erfüllt. Zwar
wurde ein Zaun überwunden und damit der Zutritt auf einem nicht dafür
vorgesehenen Wege gewählt. Erforderlich wäre aber auch hier, dass der
Zaun tatsächlich ein Hindernis bildete, das es Unbefugten nicht
unerheblich erschwert, auf das vom Zaun umgebene Grundstück zu gelangen
(...). Um dies abschließend entscheiden zu können, wären zusätzliche
Feststellungen zur Schwere und Beweglichkeit des Zaunes und zum
erforderlichen Kraftaufwand notwendig gewesen, die das Hochheben und
Beiseitedrücken als doch mit einigem Aufwand verbunden gekennzeichnet
hätten. [En03] 3
[Hinweis:] Es ist nicht
erforderlich, dass der Täter mit dem gesamten Körper in den
aufgebrochenen Raum eindringt. Hineinlangen - auch mittels eines
Werkzeuges - reicht aus.
Einbrechen ist:
-
Gewaltsames Öffnen einer den
Zutritt verwehrenden Umschließung von außen mit nicht ganz
unerheblicher Körperkraft
-
Gewaltsames Öffnen oder
Erweitern (..) eines gewöhnlichen oder auch anderen Zugangs zu einem
umschlossenen Raum
-
Ein Einbruch kann auch im
Innern eines Gebäudes begangen werden, wenn ein darin befindlicher
anderer umschlossener Raum, etwa eine Wohnung oder ein
abgeschlossenes Zimmer, aufgebrochen wird
-
Das Einbrechen verlangt kein
besonderes Maß an Kraft, erforderlich ist aber doch eine gewisse
körperliche Anstrengung nicht unerheblicher Art
-
Nicht ausreichend ist das
»Herausangeln« der Sache durch einen Türspalt oder ein offen
stehendes Fenster, das Aufketten einer
Gartentür, das Öffnen einer unverschlossenen Tür oder das einfache
Zurückschieben des Türriegels, das Abnehmen eines den Zugang
verdeckenden losen Bretts oder das Öffnen eines Reißverschlusses an
einem Zelt, wenn nicht der Reißverschluss durch ein
Sicherheitsschloss gesichert ist, das der Täter aufbrechen muss, um
den Reißverschluss öffnen zu können
-
Gefordert ist das gewaltsame
Öffnen von Umschließungen, welche dem Eintritt in den Raum
entgegenstehen.
Wer Gewalt anwendet, um einen Raum
verlassen zu können (z.B. weil er darin eingeschlossen wurde), begeht
keinen Einbruch, sondern einen »Ausbruch«.
[Substanzverletzung - Benutzung
von Werkzeugen:] Bei Substanzverletzungen oder Benutzung von
Werkzeugen liegt regelmäßig ein Einbruch vor (BGH 2 StR 264/61 vom
5.5.1961; 2 StR 144/63 vom 22.5.1963).
Das ist der Fall, wenn unter
Verwendung von Werkzeugen
-
Fenster eingeschlagen
-
Türen oder Schlösser
aufgebrochen
-
Maschendrahtzäune zerschnitten
werden oder wenn
-
Befestigungen losgerissen
werden.
Stoffliche Beschädigungen oder
Zerstörung der Umschließung oder sonst sichtbare Spuren der Einwirkung
sind für das Tatbestandsmerkmal »Einbruch« nicht zwingend erforderlich,
denn bereits das Beiseiteschieben eines entgegenstehenden Hindernisses
unter Aufwendung nicht unerheblicher körperlicher Kraft kann auch ohne
Substanzverletzung geschehen (...). Auch das Beiseiteschieben eines
Schrankes, der den Zugang versperrt, kann Einbruch sein, desgleichen das
Durchzwängen durch eine mit Kisten verrammelte Tür oder das Rütteln an
einem Fabriktor, bis der Innenriegel herabfällt (...). Grenzfall ist das
Aufdrücken unverriegelter Fenster an Gebäuden oder Kraftfahrzeugen.
Einbruch kommt in solchen Fällen nur bei erheblicher Kraftentfaltung in
Betracht.
[BGH 1961:] In einem Urteil
des BGH 5 StR 52/61 vom 16.5.1961, dem nachfolgend skizzierter Fall
zugrunde lag, heißt es:
[Anlass:]
Der Täter hatte eine Scheunentür gewaltsam geöffnet, indem er die
Scheunentür leicht zur Seite schob, durch den Spalt hindurchfasste und
einen von innen vorgelegten schadhaften Riegel beiseiteschob.
Im Urteil heißt es:
[Rn. 5:] Der Angeklagte
konnte »die Scheunentür dadurch öffnen, dass er hindurchfasste und einen
innen vorgelegten, schadhaften Riegel beiseiteschob. Ob der Angeklagte
dabei körperliche Kraft aufwenden musste, geht aus dem Urteil [gemeint
ist das der Erstinstanz = AR] nicht
hervor. Wer bloß durch einen Spalt oder eine andere Öffnung einer Tür
hindurchfasst und den von innen vorgelegten Riegel aufschiebt, wendet
keine Gewalt an und begeht daher keinen Einbruch.
[En04] 4
[Hinweis:] Ein Einbruch
setzt nicht voraus, dass der Täter den gewaltsam geöffneten Raum auch
tatsächlich betritt. Es reicht aus, wenn der Täter die Tatbeute durch
Hereingreifen oder mittels eines Werkzeuges wegnimmt. Das ist zum
Beispiel möglich, wenn der Täter eine Fensterscheibe
einschlägt, um einen Gegenstand wegnehmen zu können, der sich in
Reichweite befindet.
02.1.2 Stimmige Tatortspuren
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Im Zusammenhang mit
Einbruchdiebstählen kann generell davon ausgegangen werden, dass durch
diese Begehungsart der Täter Spuren an den Objekten hinterlässt, die er
aufbricht (Türen, Fenster etc.).
Fehlen solche Spuren oder sind
vorhandene Spuren nicht stimmig, können sich daraus zivilrechtliche
»Folgeschäden« für Geschädigte ergeben, indem sich zum Beispiel eine
»Einbruchsdiebstahlversicherung« weigert, für den entstandenen Schaden
aufzukommen.
Mit anderen Worten:
Um dem Geschädigten die Beweislast
für einen tatsächlich erlittenen Einbruchsdiebstahl zu vereinfachen, ist
es auch Aufgabe der Polizei, an Tatorten vorhandene Einbruchsspuren
sorgfältig und vollständig zu sichern.
[BGH 2015:] Hinsichtlich
der Beweislast beim Einbruchdiebstahl gegenüber einer Versicherung haben
die Richter des BGH mit Urteil vom 8. April 2015 (IV ZR 171/13)
entschieden, dass das vom Versicherungsnehmer zu beweisende, äußere Bild
eines Einbruchdiebstahls nicht voraussetzt, dass vorgefundene Spuren in
dem Sinne stimmig sein müssen, dass sie zweifelsfrei auf einen Einbruch
schließen lassen.
Die Ersatzpflicht des Versicherers wird bereits
begründet, wenn nicht sämtliche, typischerweise auftretenden Spuren
vorhanden sind.
[Anlass:]
Eine Versicherung hatte bestritten, dass die Spuren an der Tür,
durch die der Täter in ein Wohnhaus eingedrungen war, von dieser Person
verursacht worden waren und dies auch durch ein Gutachten belegt. Der
Gutachter der Gegenseite sah das anders.
[Hinweis:] Hinsichtlich des
Spurenbildes bei Einbruchdiebstahl macht es keinen Unterschied aus, ob
in eine Wohnung oder in einen Geschäftsraum oder in einen anderen
geschützten Raum im Sinne von § 243 Abs. 1 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) eingebrochen wird.
In der Einlassung der sich
verweigernden Versicherung heißt es in Bezug auf den oben skizzierten
Anlass sinngemäß:
Zum äußeren Bild eines
Einbruchdiebstahls gehören Spuren, die mit einem gewaltsamen Eindringen
in Einklang gebracht werden könnten. Ein solches Spurenbild könne nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Es stehe
danach nicht fest, dass ein Spurenbild vorgelegen habe, das zweifelsfrei
mit einem Überwinden der fraglichen Tür in Einklang stehe. Insofern
fehle es an dem notwendigen »stimmigen« Spurenbild eines Einbruchs.
Im Beschluss heißt es dazu:
[Rn. 24:] Der Nachweis des
äußeren Bildes setzt nicht voraus, dass die vorgefundenen Spuren
»stimmig« in dem Sinne sind, dass sie zweifelsfrei auf einen Einbruch
schließen lassen. Insbesondere müssen nicht sämtliche, typischerweise
auftretenden Spuren vorhanden sein, da der Sinn der Beweiserleichterung
gerade darin liegt, dem Versicherungsnehmer, der in aller Regel keine
Zeugen oder sonstigen Beweismittel für den Diebstahl beibringen kann,
die Versicherungsleistung auch dann zuzuerkennen, wenn sich nach den
festgestellten Umständen nur das äußere Bild eines Diebstahls darbietet,
auch wenn von einem typischen Geschehensablauf nicht gesprochen werden
kann (...). Nur wenn ein Einbruch auf dem Wege, wie er nach dem äußeren
Spurenbild vorzuliegen scheint, aus anderen Gründen völlig
auszuschließen ist, kann es trotz Vorhandenseins an sich genügender
Spuren am Nachweis der erforderlichen Mindesttatsachen fehlen (...).
Bezugnehmend auf vorausgegangene
Entscheidungen des OLG Köln heißt es in dem Beschluss weiter:
[Rn. 24:] Soweit das
Oberlandesgericht Köln in mehreren Entscheidungen für das Vorliegen des
äußeren Bildes eines Einbruchs ein »stimmiges Spurenbild« gefordert und
dessen Verneinung jeweils damit begründet hat, dass neben vorgefundenen
Spuren weitere beim Eindringen eines Diebes zu erwartende Spuren nicht
vorhanden gewesen seien (...), widerspricht dies, wie die vorstehenden
Ausführungen zeigen, der Rechtsprechung des erkennenden Senats. [En05]
5
02.1.3 Fehlende typische
Einbruchspuren
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Auch in den nachfolgend
skizzierten Entscheidungen ging es um die Frage des Nachweises typischer
Einbruchspuren, um zweifelsfrei von einem »Einbruchdiebstahl« ausgehen
zu können.
[OLG Hamm 2011:] Mit Urteil
vom 21. Oktober 2011 · Az. I-20 U 62/11 hatten die Richter des OLG Hamm
über folgenden Fall zu entscheiden:
[Anlass:]
Täter hatten den Profilzylinder der Haustür eines Mehrfamilienhauses
gezogen und die Tür danach entriegelt. Die Wohnungstür zur Wohnung des
Klägers wurde aufgehebelt bzw. aufgebrochen und die Wohnung durchwühlt.
Die Versicherung hatte die Leistung verweigert, weil der herausgezogene
Profilzylinder der Haustür nicht gefunden werden konnte.
[Hinweis:] Die folgenden
Zitate gelten auch für Fälle, in denen der Profilzylinder aus der Tür
eines Geschäftes oder eines anderen geschützten Raumes im Sinne von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) entfernt wird.
Im Urteil heißt es:
[Rn. 26:] Zum äußeren Bild
eines Einbruchsdiebstahls gehören dabei zunächst, wenn - wie hier - ein
Nachschlüsseldiebstahl nicht in Betracht kommt, geeignete
Einbruchsspuren (...). Entgegen der Auffassung des Landgerichts und der
Beklagten liegen geeignete Einbruchspuren [...] unproblematisch vor:
Nach den im Ermittlungsverfahren getroffenen Feststellungen der Polizei
wurde der äußere Teil des Profilzylinders der Haustür des
Mehrfamilienhauses gezogen und diese sodann entriegelt, die Wohnungstür
zur Wohnung des Klägers wurde aufgehebelt bzw. aufgebrochen und die
Wohnung durchwühlt [...]. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist
es in diesem Zusammenhang auch keineswegs »ungewöhnlich«, dass der
abgebrochene Teil des Profilzylinders der Hauseingangstür von der
Polizei nicht aufgefunden werden konnte.
Wie der Zeuge [...] überzeugend
bekundet hat, ist sogar das Gegenteil richtig: Seinen Bekundungen
zufolge ist es sogar die Regel, dass die Täter den oder die Zylinder
mitnehmen, weil man daran, wie die Täter wissen, sehr gut Spuren
sichern, insbesondere feststellen kann, welches Tatwerkzeug verwendet
wurde und so unter Umständen Rückschlüsse auf bestimmte Täter bzw.
Täterkreise möglich sind. [En06] 6
[BGH 2006:] Um typische
Einbruchsspuren anlässlich von Einbruchdiebstählen ging es auch im
Urteil des BGH vom 18. 10. 2006 – IV ZR 130/05.
[Anlass:]
Täter waren in ein Geschäft eingedrungen und hatten einen Tresor
entwendet, in dem sich wertvolle Gegenstände befunden hatten.
Zum Spurenbild des Einbruchs heißt
es in dem Urteil auf Seite 5:
[Rn. 9:] Die Wohnungstür
habe typische Einbruchspuren aufgewiesen; ein Diebstahl in der vom
Kläger behaupteten Begehungsweise sei möglich gewesen. Es stehe zudem
fest, dass sich der Tresor [zum Zeitpunkt der Tat = AR] in der Wohnung
befunden habe und dort am [Folgetag = AR] nicht mehr vorhanden gewesen sei.
Die Spuren am Bodenbelag ergäben mit hinreichender Gewissheit, dass der
Tresor aus der Wohnung geschafft worden sei. Diese Umstände genügten zur
Feststellung des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls. [En07]
7
[Hinweis:] Werden zur
Begehung von Diebstählen Werkzeuge benutzt und können Spuren, die diese
Werkzeuge am Tatort hinterlassen haben, nachgewiesen werden, dann ist
das generell ein Indiz für einen »Einbruchdiebstahl« in von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des Diebstahls)
geschützten Räumen.
An Tatorten vorhandene Spuren sind von der Polizei mit großer Sorgfalt
zu sichern.
02.1.4 Einsteigen
TOP
Tatbestandlich im Sinne von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) handelt, wer »1. zur Ausführung der
Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen
anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem
falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung
bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält.«
[BGH 2016:] Im Beschluss
vom 10.03.2016 - 3 StR 404/15 haben sich die Richter des BGH zum
Tatbestandsmerkmal »Einsteigen« umfassend geäußert:
Entscheidungstenor:
Wer eine
Räumlichkeit durch eine zum ordnungsgemäßen Zugang bestimmte Tür
betritt, steigt nicht im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, §
244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ein, unabhängig davon, auf welche Weise er die Tür
geöffnet hat.
An anderer Stelle heißt es:
[Rn. 8:] Ein Einsteigen im
Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB liegt nicht vor, wenn sich der
Täter unter Überwindung von Schwierigkeiten oder Hindernissen, die sich
aus der Eigenart des Gebäudes oder der Umfriedung des umschlossenen
Raumes ergeben, Zugang in eine Wohnung durch eine zum ordnungsgemäßen
Betreten bestimmte Öffnung verschafft.
[Hinweis:] Das gilt auch
analog für Räume im Sinne von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls).
An anderer Stelle heißt es in dem
Beschluss:
[Rn. 13:] Bezugnehmend auf
die historische Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffs »Einsteigen«
heißt es in dem Beschluss: »Schon das Reichsgericht hat das Einsteigen
definiert als das Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintreten
nicht bestimmte Öffnung unter Überwindung eines entgegenstehenden
Hindernisses (...). An dieser Definition hat der Bundesgerichtshof - bei
teilweise abweichender Formulierung - in zahlreichen Entscheidungen
festgehalten.«
Vom BGH in der Vergangenheit
alternativ verwendete Formulierungen:
-
»Auf ordnungswidrigem Weg […]
Zugang […] verschafft«
-
»Öffnung war ersichtlich kein
ordnungsgemäßer Zugang«
-
»Auf […] nicht vorgesehene
Weise Zugang […] verschafft«
[Rn. 19:] Das hergebrachte
Begriffsverständnis [des Wortes Einsteigen = AR] deckt sich schließlich
mit dem allgemeinen Sprachgebrauch. Dieser versteht »Einsteigen« als das
Sichverschaffen unrechtmäßigen Zutritts durch Hineinklettern. [En08] 8
[Hinweis:] Das
Tatbestandsmerkmal »Einsteigen« ist so zu verstehen, dass der Täter
nicht mit dem ganzen Körper in eine Wohnung eingedrungen sein muss.
Voraussetzung ist aber, dass der Täter im Innern geschützter Räume einen
»Stützpunkt« in Anspruch genommen hat, um die Wegnahme zu ermöglichen.
Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Täter durch ein offenstehendes
Fenster eines Geschäftsraums einen auf einem Tisch liegenden Gegenstand nur dadurch wegnehmen kann, indem er als »Stützpunkt«
einen Stuhl in Anspruch nehmen muss, der im Raum steht, um nicht mit dem
ganzen Körper in den Raum einsteigen zu müssen.
Nicht ausreichend ist das bloße
Hineinlangen in einen geschützten Raum, zum Beispiel durch ein
offenstehendes Fenster eines Verkaufsraums, um die Wegnahme zu
ermöglichen.
02.1.5 Einbruch oder Einsteigen
TOP
Sowohl im Zusammenhang mit dem
Einbruchsdiebstahl auf der Grundlage von § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB
als auch im Zusammenhang mit dem Einbruchdiebstahl in Wohnungen auf der Grundlage von
§ 244 StGB
(Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl) ist es nicht immer
einfach, die Begehungsart des »Einbruchs« von der des »Einsteigens« zu
unterscheiden.
[BGH 1999:] Mit Urteil vom
16.11.1999 - 1 StR 506/99 haben die Richter zu diesem Problemkreis wie
folgt Stellung bezogen.
[Anlass:]
Täter hatten »ohne Weiteres« einen beweglichen Zaun hochgehoben, um auf
das eingezäunte Gelände eines Baumarktes zu gelangen, um dort
Gartenmöbel zu stehlen.
Im Urteil heißt es:
[Rn. 6:] Nach der
Wortbedeutung sind die Angeklagten [...] eingedrungen. Die
Voraussetzungen dieses Regelbeispiels nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
StGB haben sie damit aber nicht erfüllt, weil sie kein Werkzeug
benutzten.
[Rn. 7:] Die Feststellungen
ergeben weiterhin nicht, dass sie »eingebrochen« sind, also »unter
Aufwendung nicht unerheblicher körperlicher Kraft« ein dem Eindringen
entgegenstehendes Hindernis gewaltsam beseitigt hätten (...). Das
»einfache« und »ohne weiteres« mögliche Hochheben und Beiseitedrücken
eines beweglichen Zaunes belegt diese Voraussetzungen nicht ohne
weiteres. Der Vorgang könnte hinsichtlich des Aufwandes dem Öffnen eines
Gatters gleichkommen.
[Rn. 8:] Aus dem gleichen
Grunde sind die Voraussetzungen des »Einsteigens«‹ nicht erfüllt. Zwar
wurde ein Zaun überwunden und damit der Zutritt auf einem nicht dafür
vorgesehenen Wege gewählt. Erforderlich wäre aber auch hier, dass der
Zaun tatsächlich ein Hindernis bildete, das es Unbefugten nicht
unerheblich erschwert, auf das vom Zaun umgebene Grundstück zu gelangen
(...). Um dies abschließend entscheiden zu können, wären
zusätzliche Feststellungen zur Schwere und Beweglichkeit des Zaunes und
zum erforderlichen Kraftaufwand notwendig gewesen, die das Hochheben und
Beiseitedrücken als doch mit einigem Aufwand verbunden gekennzeichnet
hätten. [En09] 9
02.1.6 Mit einem falschen
Schlüssel eindringen
TOP
Tatbestandlich im Sinne von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) handelt, wer »1. zur Ausführung der
Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen
anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen
Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung
bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält.«
Als Schlüssel sind neben den
üblichen mechanischen Schlüsseln auch Codekarten anzusehen, mit deren
Hilfe Türverriegelungen elektronisch geöffnet werden können.
[Falsche Schlüssel:] Falsch
ist jeder Schlüssel, der zur Tatzeit vom Berechtigten nicht oder nicht
mehr (oder noch nicht) zum Öffnen des betreffenden Verschlusses bestimmt
ist. Dazu gehören auch so genannte elektronische Schlüssel.
Ausschließlich der Wille des Berechtigten entscheidet darüber, was ein
echter Schlüssel ist. Der Missbrauch eines echten Schlüssels, wodurch
dieser zum falschen Schlüssel wird, beginnt folglich zu dem Zeitpunkt
seiner Entwidmung. Das ist der Zeitpunkt, in dem der Berechtigte einen
bisher echten Schlüssel entwidmet.
Allein der Wille, dass andere
Personen den Schlüssel nicht benutzen sollen oder der bloße Verlust
eines Schlüssels macht den richtigen Schlüssel noch nicht zum
»falschen«.
[BGH 1960:] In einem Urteil
des BGH vom 10.05.1960 - 5 StR 129/60 heißt es diesbezüglich:
[Rn. 7:] Denn »darüber, ob
ein Schlüssel zur ordnungsmäßigen Eröffnung eines Schlosses bestimmt
ist, entscheidet lediglich der Wille des zur Verfügung über das Gebäude,
den umschlossenen Raum, die Tür oder das Behältnis Berechtigten« (...).
[En10] 10
[Hinweis:] Anlässlich von
Diebstählen durch falsche Schlüssel kann die Entwidmung erst erfolgen,
sobald der Berechtigte den Diebstahl bzw. Verlust bemerkt. Eine solche
nachträgliche Entwidmung hat keinen (täterbegünstigenden) Einfluss auf die Begehungsart des
Regelbeispiels »falscher Schlüssel«.
[Eindringen:] Eindringen
erfordert, dass der Täter, nachdem er mit einem »falschen Schlüssel« ein
Schloss geöffnet hat, wenigstens zum Teil körperlich in die Räumlichkeit
gelangt ist, und zwar ohne Willen des Berechtigten.
Verfügungsberechtigter über die Räume kann neben dem Eigentümer auch der
Mieter sein.
02.1.7 Anderes nicht zur
ordnungsm. Öffnung bestimmtes Werkzeug
TOP
Tatbestandlich im Sinne von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) handelt, wer »1. zur Ausführung der
Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen
anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen
Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung
bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält.«
Andere Werkzeuge müssen, um den
Schlüsseln gleichgestellt werden zu können, auf den Mechanismus des
Verschlusses ordnungswidrig einwirken.
Als sonstige Öffnungswerkzeuge
kommen u.a. in Betracht:
-
Dietriche
-
Schraubenzieher
-
Vierkantschlüssel
-
Magnete
-
Zangen
-
Einbruchsbestecke
-
Ziehfix-Geräte
-
Drähte.
Benutzen Täter die nachfolgend
aufgeführten Spezialwerkzeuge zum Öffnen von Schlössern, dann sind dafür
- je nach Professionalität - nur wenige Sekunden Zeit erforderlich:
-
Elektronikpik (Universeller
elektrischer Schlossöffner zum Öffnen von Türschlössern)
-
AURUM Lockpicking-Set
(Profiwerkzeug für den Einstieg in die Liga der Meisterdiebe)
-
Multipick Dietrich Set
(Profi-Öffnungstechniken für Türen).
Wird mit solchen
Öffnungswerkzeugen auf den Schließmechanismus eines Schlosses
unmittelbar eingewirkt, handelt es sich um das Eindringen in eine
Wohnung mit einem »anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten
Werkzeug«.
[Hinweis:] Werden die oben
genannten Geräte, die sich alle auch als Einbruchswerkzeuge eignen, im
Umfeld des Schlosses eingesetzt, ohne direkt auf den Schließmechanismus
einzuwirken, sind die Merkmale eines »Einbruchs« gegeben.
Mit anderen Worten:
Lässt sich durch Verwendung einer
Scheckkarte zum Beispiel ein Schnappschloss öffnen, indem die
Scheckkarte eingesetzt wird, um das Schnappschloss zu entriegeln, wird
ein anderes nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung der Tür gehörendes
Werkzeug zum Öffnen eines Schlosses eingesetzt.
Wird hingegen mit einem Stemmeisen
versucht, das Schloss durch Hebelkraft aufzusprengen, dann handelt es
sich um einen Einbruch.
[BGH 1953:] Im Urteil vom
29.09.1953 - 2 StR 261/53 hatte der BGH über den nachfolgend skizzierten
Fall zu entscheiden.
[Anlass:]
Täter hatten die verschlossenen Wagentüren von Pkw mit einem
Schraubenzieher oder einer Nagelschere geöffnet und die Pkw dann an
einem abgelegenen Ort ausgeschlachtet und stehen gelassen.
1953 hatte der § 243 StGB eine andere Fassung als heute. Deshalb wurden
die folgenden Zitate um die Stellen bereinigt, die nicht mehr der
aktuellen Gesetzesfassung entsprechen.
Inhaltliche Änderungen an den Sachaussagen sind damit nicht verbunden.
Amtlicher Leitsatz:
Wer einen Kraftwagen entwendet,
indem er die verschlossenen Türen mit Nachschlüsseln öffnet, begeht
schweren Diebstahl nach § 243 StGB.
Im Urteil heißt es bereits im
Leitsatz:
Wer einen Kraftwagen entwendet, indem er
die verschlossenen Türen mit Nachschlüsseln öffnet, begeht schweren
Diebstahl nach § 243 StGB.
[Rn. 4:] Für den Gebrauch
eines falschen Schlüssels oder eines anderen nicht zur ordnungsgemäßen
Öffnung bestimmten Werkzeuges ist es »nicht erforderlich, dass nach
Anwendung der falschen Schlüssel »aus« dem umschlossenen Raum gestohlen
wird sondern es genügt, wenn bei Begehung des Diebstahls der falsche
Schlüssel bezw. das Öffnungswerkzeug das Mittel zur Ausführung und
Vollendung des dadurch geförderten, erleichterten oder ermöglichten
Diebstahls gewesen ist (...). So liegt der Fall hier. Die Wegnahme des
Wagens (mit Inhalt) war dadurch ermöglicht, dass die Täter die
verschlossenen Türen des umschlossenen Raumes öffneten und mit dem Wagen
abfuhren.
[Rn. 5:] Die Revision trägt
allerdings richtig vor, dass [...] eine Einwirkung auf den
Verschlussmechanismus stattgefunden haben muss; dafür spricht die
Bezeichnung der Werkzeuge als Öffnungswerkzeuge, die Gleichsetzung mit
den falschen Schlüsseln und die Gegenüberstellung mit [nicht zur
ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeugen = AR]. Die Öffnung von
Türen und Zugängen mit Werkzeugen ausserhalb des Verschlussmechanismus
ist Einbruch, der hier deshalb nicht vorliegt, weil nicht »aus«
dem Wagen gestohlen worden ist. Das Urteil [der Erstinstanz = AR]
spricht zwar nicht ausdrücklich aus, dass die Werkzeuge am
Verschlussmechanismus angesetzt waren, doch lässt sich das aus dem
Zusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Die Strafkammer [...] nimmt
also ein Erbrechen der Türen nicht an. Sie spricht nur von einem
»Öffnen« der Wagentüren mittels eines Schraubenziehers oder einer
Nagelschere »ohne Schwierigkeit«. Nagelschere und Schraubenzieher sind
Werkzeuge, mit denen zwar der Verschlussmechanismus einer Wagentüre
geöffnet, kaum aber ein Wagen »ohne Schwierigkeit« erbrochen werden
kann.
[En11] 11
[Anmerkung:] Es kann davon
ausgegangen werden, dass heute mit einer Nagelschere oder einem
Schraubenzieher ein Pkw nicht mehr problemlos geöffnet werden kann.
Dafür werden heute andere Gegenstände benutzt. Mit einem falschen
Schlüssel oder mittels eines Werkzeuges, das zum Öffnen des
umschlossenen Raumes nicht bestimmt ist, muss unmittelbar auf den
Schließmechanismus, also auf das Schloss, eingewirkt werden.
02.1.8 Sich in einem Raum
verborgen halten
TOP
Tatbestandlich im Sinne von
§ 243
Abs. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) handelt, wer »1. zur Ausführung der
Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen
anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen
Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung
bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält.«
Verborgenhalten setzt voraus, dass
sich der Täter zum Zweck der Tatausführung, also in der Regel schon vor
dem Beginn der Tat, in den Räumen versteckt, die § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB
schützt, aufhält. Dies ist der Fall, wenn er sich im Anschluss an das
Betreten solcher Räume dem Gesehenwerden
dadurch entzieht, dass er sich an einer Stelle, an der er nicht vermutet
wird, versteckt. Ohne Belang ist, wie der Täter in den Raum
gekommen ist und ob dies erlaubt oder unerlaubt geschah. Voraussetzung
ist aber, dass sein Aufenthalt
in dem Raum zum Tatzeitpunkt unerlaubt gewesen ist.
[Beispiel:] Ein Kunde betritt während der Geschäftszeit ein Kaufhaus
und versteckt sich dort, um nach Geschäftsschluss in Ruhe stehlen zu
können. Rechtslage?
Der Täter hat sich in dem
Warenhaus versteckt, um in Ruhe stehlen zu können, wenn ihn niemand
mehr bei der Tatbegehung stören kann. Im Beispielsfall handelt es
sich um den typischen Fall eines besonders schweren Diebstahls begangen
durch die Begehungsart des »Sich-Verborgen-Haltens«.
02.2 Gegen Wegnahme besonders
gesichert
TOP
Einen besonders schweren Fall des
Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 2 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) begeht, wer »2. eine
Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine
andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist.«
[Verschlossenes Behältnis:]
Als »verschlossene Behältnisse« sind alle Behältnisse und sonstigen
Raumgebilde zu verstehen, die nicht dazu bestimmt sind, von
Menschen betreten zu werden. Zum Zeitpunkt der Wegnahme müssen solche
Behältnisse verschlossen sein.
Als verschlossene Behältnisse
kommen in Betracht:
Verschlossen sind Behältnisse
dann, wenn durch eine Schließvorrichtung (Schloss, Vorhängeschloss) oder
auf andere Weise (Verschnüren, Anketten etc.) der Inhalt gegen
unerlaubte Zugriffe von außen gesichert ist.
[KG 2011:] In einem Urteil
des Kammergerichts Berlin vom 28.11.2011 – (4) 1 Ss 465/11 heißt es
dazu:
»Dient das
Behältnis nach seiner erkennbaren Zweckbestimmung wenigstens unter
anderem auch zur Sicherung der darin aufbewahrten Sache gegen Diebstahl,
wie es bei einem Tresor idealtypisch der Fall ist, dann ist das
verschlossene Behältnis ein Spezialfall einer Schutzvorrichtung im Sinne
der Vorschrift. Das Regelbeispiel setzt voraus, dass das Behältnis
verschlossen ist. Weitere Sicherungen, etwa durch Wegschließen des
Schlüssels, sind danach zu seiner Erfüllung nicht mehr erforderlich. Der
Täter muss – sofern er nicht sogar die Sache mitsamt dem Behältnis
stiehlt – die Sicherung überwinden, wobei es aber nicht darauf ankommt,
wie er das bewirkt (...).« [En12] 12
[Andere Schutzvorrichtungen:]
Darunter sind Vorkehrungen zu verstehen, die bewegliche Sachen vor
Wegnahme besonders schützen, zumindest aber die Wegnahme erheblich
erschweren.
In Betracht kommen:
Geräusche, die bei der Wegnahme
entstehen, schützen in der Regel nicht vor Wegnahme:
-
Klingeln der Ladenkasse, wenn
sie geöffnet wird
-
Quietschen einer Schublade,
wenn sie geöffnet wird
-
Das Drehgeräusch einer
Kassenkurbel etc.
Im Gegensatz dazu gehören
Alarmanlagen zu den Schutzvorkehrungen, die gegen Wegnahme besonders
sichern, weil bei einer optischen oder akustischen Alarmauslösung der
Täter damit rechnen muss, seine Tat nicht mehr vollenden zu können.
[Überwindung der Sicherung:]
Damit es sich um einen besonders schweren Fall des Diebstahls handeln
kann, muss der Täter bei der Überwindung einer Schutzvorkehrung, die
diese gegen Wegnahme besonders sichert, mehr kriminelle Energie
aufwenden, als die, die für eine bloße Wegnahme im Sinne von
§ 242
StGB (Diebstahl) erforderlich gewesen wäre.
Mit anderen Worten:
-
Wer eine verschlossene
Aktentasche wegnimmt, handelt tatbestandlich im Sinne von
§ 242
StGB (Diebstahl).
-
Wird die verschlossene Tasche
dann später mit Gewalt geöffnet, handelt es sich um einen besonders
schweren Fall des Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 2 StGB.
[Diebstahl an und aus
Kraftfahrzeugen:] Alle Teile eines Kraftfahrzeuges, die von Menschen
betreten werden können, sind als umschlossene »Räume« anzusehen.
In Betracht kommen nur solche
»umschlossene Räume«, die begehbar sind. Im Gegensatz dazu handelt es
sich beim Kofferraum eines Kraftfahrzeuges oder bei anderen, nicht
begehbaren Behältnissen an Kraftfahrzeugen um Schutzvorrichtung, die
darin befindliche Gegenstände gegen Wegnahme besonders sichern.
Vergleichbar mit Kofferräumen sind
auch verschließbare Dachgepäckträger anzusehen. Gleiches gilt für
normale Dachgepäckträger, wenn dort transportiertes Gepäck mit Schnüren
oder Seilen gesichert ist und die Beseitigung der Schutzvorkehrung nicht
mit einem Griff möglich ist, sondern Geschick und Geduld einfordert.
[Abknicken von Antennen:]
Beim Abknicken von Antennen wird nicht die Antenne gestohlen, sondern
eine Antenne beschädigt. Insoweit handelt es sich bei diesen Fällen um
Sachbeschädigung im Sinne von
§ 303 StGB (Sachbeschädigung).
02.3 Gewerbsmäßiger Diebstahl
TOP
Einen besonders schweren Fall des
Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 3 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) begeht, wer »3.
gewerbsmäßig stiehlt.«(vgl. z.B. auch § 243 I Satz 2 Nr. 3
StGB = gewerbsmäßiger Diebstahl als ein bes. schwerer Fall des
Diebstahls). [En13] 13
Oder:
Gewerbsmäßig handelt, wer sich
durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von
einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will. Dabei genügt schon
die erste Tatbegehung in dieser Absicht. [En14] 14
Unter Gewerbsmäßigkeit im Sinne
von § 243 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) sind somit wiederholte Tatbegehungen durch den
Tatverdächtigen zu verstehen, und zwar auch dann, wenn der Täter nur
dann stiehlt, wenn sich ihm dafür eine »passende« Gelegenheit bietet.
Gewerbsmäßigkeit ist somit nicht
gleichzusetzen mit »Haupteinnahmequelle«.
Dennoch sollte es sich bei
gewerbsmäßig erzielten »Einkünften« durch Diebstahl um nicht nur völlig
unbedeutende Nebeneinnahmen handeln.
Mit anderen Worten:
Gewerbsmäßigkeit setzt auf Seiten
des Täters eine »gewisse Intensität des Gewinnstrebens« voraus, vor
allen Dingen aber das Motiv »sich eine fortlaufende Einnahmequelle« zu
erschließen«.
Die Gewerbsmäßigkeit des
Tatverdächtigen kann auch darin bestehen, dass er seine Beute als
Konsument selbst aufbraucht, also keinen geldlichen Nutzen anstrebt.
[Beispiele:] Wer jede Woche eine Stange Zigaretten stiehlt oder ein
Kilo Kaffee entwendet und diese Konsumgüter selbst verbraucht, der
stiehlt durchaus gewerbsmäßig.
Schon die Rechtsprechung des
Reichsgerichts ging davon aus, dass »Gewerbsmäßigkeit« im gewissen Maße
eine »dauerhafte Erzielung von Einnahmen« voraussetzt. Das bedeutet aber
nicht, dass »Gewerbsmäßigkeit eine zeitlich unbegrenzte Dauer
voraussetzt. Insoweit handelt auch gewerbsmäßig, wer seine
»Zusatzeinkünfte« vorübergehend unterbricht, um seine Gewohnheit dann,
zum Beispiel nach Ablauf einer Woche, wieder aufleben zu lassen.
Die Absicht der wiederholten
Tatbegehung (Gewerbsmäßigkeit) setzt im Übrigen einen zielgerichteten
Erwerbswillen voraus.
02.4 Kirchendiebstahl
TOP
Einen besonders schweren Fall des
Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 4 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) begeht, wer »4. aus
einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude
oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der
religiösen Verehrung dient.«
Kirchen sind besonders
schutzwürdige Orte, zumal sie während der Tageszeit meist ungehindert
betreten werden können. Im Übrigen sind Kirchen und sich darin
befindliche Gegenstände für die Glaubensgemeinschaft oftmals unersetzbar
(Altarkreuze, Heiligenfiguren, Bildnisse etc.).
[Räumlicher Schutzbereich:]
Die entwendete Sache muss sich in einem Raum befunden haben der:
-
dem Gottesdienst oder
-
der religiösen Verehrung
dient.
Insoweit kommen nicht nur Kirchen,
sondern auch Moscheen und Synagogen oder Gebetsräume anderer
Religionsgemeinschaften als Tatorte in Betracht. Bei den geschützen
Räume kommt es nicht auf die Art der jeweils ausgeübten religiösen
Betätigung an.
In Deutschland anerkannte
Religionsgemeinschaften
-
Römisch-Katholische Kirche
-
Evangelische Landeskirchen
-
Islam
-
Orthodoxe, orientalische oder
unierte Kirchen
-
Buddhisten
-
Hindus
-
Judentum
-
Sonstige Religionen (u.a. auch
scientology).
Durch die Flüchtlingsströme dürfte
der Kreis in Betracht kommender Religionsgemeinschaften erheblich
angewachsen sein.
In Deutschland können
Religionsgemeinschaften folgenden Status (Rechtsform) haben:
-
Körperschaft des öffentlichen
Rechts
-
Stiftung privaten Rechts
-
Gesellschaft mit beschränkter
Haftung (GmbH)
-
Eingetragener Verein (e.V.)
Rein weltanschaulichen
Vereinigungen genießen nicht den Schutz von
§ 243
Abs. 1 Nr. 4 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls), wenn aus ihren »Vereinsräumen«
Gegenstände entwendet werden:
[Tatobjekte:] Bei den
Gegenständen, die gestohlen werden, muss es sich um Gegenstände handeln,
die dem Gottesdienst gewidmet sind. Sie müssen folglich dazu bestimmt
sein, dass mit ihnen religiöse Handlungen vollzogen werden. Dazu zählen
alle kirchlich geweihten Gegenstände wie zum Beispiel: Altäre, Kerzen,
Kelche, Monstranzen, Heiligenfiguren, Christus- und Madonnenstatuen,
Reliquien, Ölgemälde etc.
Keinen religiösen Bezug haben:
[Tathandlung:] Die
Tathandlung besteht darin, dass aus einem der o.g. Räumlichkeiten
schützenswerte Gegenstände entwendet werden. Es genügt, wenn der Täter
durch Hineingreifen durch Türen oder Fenster den Gegenstand sozusagen
»Herausangeln« kann. Ein Betreten des geschützten Raumes ist nicht
notwendig.
[Beispiel:] Am 29. Oktober 2013 wurde aus der Nikomedes-Kirche in
Borghorst (Kreis Steinfurt) das »Borghorster Kreuz« gestohlen. Die Diebe
hatten eine diebstahlgesicherte Vitrine aufgebrochen und das Kreuz
weggenommen. Es hat einen Versicherungswert von 7,75 Millionen Euro und
gilt als Zeugnis sakraler Kunst aus der Salierzeit.
Es herrschte große Erleichterung,
als im Februar 2017 das gestohlene Stiftskreuz weitgehend unbeschädigt
wieder auftauchte.
Bei der Wiederbeschaffung des
Kreuzes spielte ein Hinweisgeber eine Schlüsselrolle. Er hatte die
Behörden davon in Kenntnis gesetzt, dass er den aktuellen Besitzer des
Stiftskreuzes kenne und diesen auch dazu veranlassen könne, das
Stiftskreuz zurückzugeben. Gegen den Hinweisgeber wurde ein
Strafverfahren eingeleitet. [En15] 15
02.5 Bedeutung für Wissenschaft,
Kunst oder Geschichte
TOP
Einen besonders schweren Fall des
Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 5 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) begeht, wer »5. eine
Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für
die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein
zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist.«
[Gemeinschädlicher Diebstahl:]
Der besondere Schutz der oben fett hervorgehobenen Gegenstände ergibt
sich aus der besonderen Bedeutung der gestohlenen Sache für die
Allgemeinheit.
Die in Betracht kommende
Tatobjekte müssen von gewisser Bedeutung für:
sein.
Mit anderen Worten:
Die in Betracht kommenden
Gegenstände sind Teil des Kulturlebens.
Vom besonderen Wert der in
Betracht kommenden Gegenstände kann ausgegangen werden, wenn der
Verlust infolge seiner Einmaligkeit nicht mehr ersetzbar ist.
[Beispiel:] Im März 2017 wurde aus dem Bodemuseum in Berlin eine
100-Kilo-Godmünze entwendet. Allein der
Materialwert betrug rund 3,7 Millionen Euro. Der filmreif durchgeführte
Diebstahl konnte bisher (August 2017) noch nicht aufgeklärt werden.
Zur Tatzeit muss der Gegenstand
einer allgemein zugänglichen Sammlung gewesen sein.
Davon ist auszugehen, wenn in
Betracht kommende Gegenstände in:
präsentiert
werden.
Auf den Zweck und auf den
jeweiligen öffentlichen Ort kommt es aber nicht ausschließlich an. Auch
Kunstgegenstände, die zum Beispiel in Parkanlagen oder vor öffentlichen
oder privaten Gebäuden ausgestellt werden, kommen als Tatobjekte in
Betracht.
[Öffentlich ausgestellt:]
Eine Sache wird auch dann öffentlich ausgestellt, wenn sie außerhalb
einer Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Gerade der
Zweck des »Besichtigtwerdens« durch einen unbestimmten Personenkreis
spricht für eine öffentliche Ausstellung.
[Skulptur Projekte 2017 in
Münster:] Seit 1977 lädt die internationale Großausstellung in
zehnjährigem Rhythmus Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt ein,
ihre Werke in der Stadt entstehen zu lassen. 2017 ist Münster zum
fünften Mal Austragungsort für die Skulptur Projekte. In der aktuellen
Ausgabe fließen Themen der globalen Gegenwart und Reflexionen über
zeitgenössische Begriffe von Skulptur in die künstlerischen
Auseinandersetzungen genauso mit ein wie Fragen zum Verhältnis von
öffentlichem und privatem Raum in Zeiten zunehmender Digitalisierung. 35
neue künstlerische Positionen zwischen klassischer Bildhauerei und
performativer Kunst werden vom 10. Juni bis zum 1. Oktober 2017 in
Münster zu sehen sein.
[Beispiel:] Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ist ein Kunstwerk
von Nicole Eisenman in Münster beschädigt worden. »Sketch for a
Fountain« ist im Rahmen der »Skulptur Projekte« in einem Park zu sehen.
Der Gipsfigur wurde der Kopf fast abgetrennt. Rechtslage?
Tatbestandlich handelt es sich bei
diesem Delikt um eine gemeinschädliche Sachbeschädigung im Sinne von
§ 304 StGB (Gemeinschädliche Sachbeschädigung),
da nichts gestohlen wurde. § 304 StGB weist im Übrigen enge Parallelen zu § 243 Abs. 1 Nr. 5 StGB auf.
[Beispielsfortschreibung:] Der Kopf der Skulptur wurde abgetrennt
und gestohlen. Rechtslage?
Nunmehr handelt es sich um einen
besonders schweren Fall des Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 5 StGB, denn es wurde eine bedeutsame Sache der Kunst entwendet, die
öffentlich ausgestellt ist. Zwar wurde nur ein Teil der Skulptur
entwendet, das aber reicht bereits aus, denn gerade den Kopf der
Skulptur wollte sich der Täter rechtswidrig zueignen. Dafür war es
erforderlich, ihn von der Skulptur abzutrennen.
02.6 Ausnutzen von Hilflosigkeit
oder Unglücksfall
TOP
Einen besonders schweren Fall des
Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 6 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) begeht, wer »6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen
Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt.«
[Hilflosigkeit einer Person:]
Davon kann ausgegangen werden, wenn eine Person nicht mehr dazu in der
Lage ist, aus sich selbst heraus einen drohenden Gewahrsamsbruch zu
verhindern.
Hilflosigkeit kann bestehen
aufgrund:
Hilflosigkeit kann aber nicht auf
beliebige Zustände erweitert werden. Nutzt der Täter zur Wegnahme
günstige Gelegenheiten aus, wie zum Beispiel Unachtsamkeit oder die Enge
einer Menschenmenge, dann lässt sich das nicht unter
die schwere Begehungsart des »Ausnutzens von Hilflosigkeit« subsumieren.
[Unglücksfall:] Als ein
Unglücksfall ist jedes plötzlich eintretende Ereignis, das erhebliche
Gefahren für Individualrechtsgüter auslöst, zu verstehen. Unglücksfälle können auch
durch Selbstverschulden verursacht werden.
Nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung kommen nur solche Ereignisse als Unfälle in Betracht,
die von
§ 323c StGB (Unterlassene
Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen) erfasst sind.
[Beispiel:] Anlässlich eines Verkehrsunfalls nutzt ein Sanitäter die
Hilflosigkeit eines Unfallverletzte aus, um dessen Brieftasche
wegzunehmen. Rechtslage?
Offenkundig ist, dass hier ein
Unglücksfall und die damit verbundene Hilflosigkeit verletzter
Personen zur Begehung eines Diebstahls ausgenutzt wird. Die besonders
verwerfliche Tat besteht darin, die Hilflosigkeit von Personen zum Zweck des Diebstahls
auszunutzen,
[Gemeine Gefahr:] Dabei
handelt es sich um eine Gefahr, die die Allgemeinheit bedroht und
bedeutsame Rechtsgüter gefährdet, was zum Beispiel im
Katastrophenfall gegeben ist.
Mit anderen Worten:
Eine gemeine Gefahr bedroht die
Rechtsgüter (Leib, Leben, Vermögen) einer unbestimmten Anzahl von
Personen.
[Beispiel:] Anlässlich eines Platzregens steht die gesamte
Innenstadt unter Wasser. Hunderte von Kellern und Erdgeschosswohnungen
sind überschwemmt. A bietet einem Betroffenen seine Hilfe an, die dieser
sofort dankend annimmt. A nutzt die Situation aber aus, um Schmuck an sich zu bringen,
der im überschwemmten Wohnzimmer in einem Regal liegt. Rechtslage?
Offensichtlich ist, dass durch die
Überschwemmungen Schäden an den Rechtsgütern einer unbestimmten Anzahl
von Personen nicht nur drohen, sondern bereits eingetreten sind. Insoweit ist eine gemeine Gefahr gegeben. Wer eine
»gemeine Gefahr« zum Zweck des Diebstahls ausnutzt, begeht einen
Diebstahl im besonders schweren Fall.
02.7 Diebstahl von Waffen
TOP
Einen besonders schweren Fall des
Diebstahls im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 7 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) begeht, wer »7. eine
Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis
bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder
halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe
im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.«
Diese besonders schwere
Begehungsart des Diebstahls wurde durch das »Gesetz zur Änderung des
Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und des Versammlungsgesetzes
und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen
Straftaten vom 9. Juni 1989 (Bundesgesetzblatt 1989, Nr. 26 vom 15. Juni
1989) in die Nr. 7 des § 243 Abs. 1 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) eingefügt.
[Handfeuerwaffe:] Dieser
Begriff ist veraltet und wird vom Waffengesetz nicht mehr verwendet. Im
§ 1 Abs. 3 und 4 WaffG (Gegenstand und Zweck des Gesetzes,
Begriffsbestimmungen) heißt es:
(3) Umgang mit einer Waffe oder
Munition hat, wer diese erwirbt, besitzt, überlässt, führt, verbringt,
mitnimmt, damit schießt, herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit
Handel treibt.
(4) Die Begriffe der Waffen und
Munition sowie die Einstufung von Gegenständen nach Absatz 2 Nr. 2
Buchstabe b als Waffen, die Begriffe der Arten des Umgangs und sonstige
waffenrechtliche Begriffe sind in der Anlage 1 (Begriffsbestimmungen) zu
diesem Gesetz näher geregelt.
Auch die
Anlage 1 zu § 1 Abs. 4
WaffG (Begriffsbestimmungen) kennt den Begriff der Handfeuerwaffe
nicht. Es muss insoweit davon ausgegangen werden, dass »Handfeuerwaffen«
im Sinne von § 243 Abs. 1 Nr. 7 waffentechnisch so zu verstehen sind,
wie das die einschlägigen waffenrechtlichen Regelungen vorgeben.
Es muss davon ausgegangen werden,
dass alle Waffen, die in der Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG als
Schusswaffen genannt und als solche verstanden werden, als
»Handfeuerwaffen« im Sinne von § 243 Abs. 1 Nr. 7 StGB anzusehen sind.
Darunter sind weitaus mehr Schusswaffen als Revolver und Pistolen zu
verstehen. Dazu zählen zum Beispiel auch Anscheinswaffen, Nachbildungen
von Schusswaffen, Reizstoffwaffen, Signalwaffen und viele andere Arten
von Schusswaffen.
[Tathandlung:] Die
Tathandlung besteht darin, dass eine der im Gesetzestext benannten Waffen gestohlen wird.
[Beispiel:] A bricht in eine Villa ein und entwendet aus einem
Waffenschrank zwei Jagdgewehre und eine Signalpistole. Rechtslage?
Dass im Beispielsfall mehrere
schwere Begehungsarten zur Anwendung kommen, soll hier nur festgestellt
werden:
-
Einbruch in eine »dauerhaft zu
Privatzwecken genutzte Wohnung« im Sinne von § 244 Abs. 4 StGB
(Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl)
-
Aufbrechen des Waffenschranks
-
Wegnahme von zwei Schusswaffen
und einer Signalpistole.
Gegen den Täter, falls er
ermittelt werden kann, wird ein Strafverfahren auf der Grundlage von
§
244 Abs. 4 StGB (Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl;
Wohnungseinbruchdiebstahl) eingeleitet werden müssen, denn bei dieser Straftat
handelt es sich um ein Verbrechen.
Den anderen schweren
Begehungsweisen kommt insoweit nur eine untergeordnete Bedeutung zu,
denn bei allen Diebstählen (Ausnahme: Einbruch in Wohnungen, die
dauerhaft zu Privatzwecken genutzt werden«, handelt es sich um
Vergehenstatbestände.
03 Geringwertige Sachen
TOP
Im § 243 Abs. 2 StGB (Besonders
schwerer Fall des Diebstahls) heißt es: »(2)
In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist
ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine
geringwertige Sache bezieht.«
Die Geringwertigkeitsgrenze von
Sachen, im Sinne von
§ 248a StGB (Diebstahl und Unterschlagung
geringwertiger Sachen) ist das
bestimmende Tatbestandsmerkmal dieser Norm.
Anerkannt ist, dass die
Grenze, ab wann Geringwertigkeit beginnt, nicht starr gezogen werden
kann, weil die Wertgrenze nach nahezu einhelliger Meinung infolge der
Preis-, Lohn- und Geldwertentwicklung der Veränderung unterliegt.
[KG Berlin 2015:] In einem
Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 08.01.2015 - 121 Ss 211/14 heißt
es zur Geringwertigkeit:
Die Grenze, bei der im Regelfall
von Geringwertigkeit auszugehen ist, stieg in den 80er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts auf etwa 50 DM (umgerechnet entsprechend 25,53
Euro).
An anderer Stelle heißt es:
Geringwertigkeit ist jedenfalls
bei einem Verkehrswert bis zu 50 DM anzunehmen.
Inzwischen wird in der
obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur vielfach an-genommen,
dass der Grenzwert bei etwa 50 Euro liege (...). Der 1. Strafsenat des
Kammergerichts hatte die Geringwertigkeitsgrenze demgegenüber zunächst
in nicht ganz einheitlicher Rechtsprechung (...) bei Schäden »bis etwa
25 Euro« (...) bzw. »bis etwa 25 bzw. 30 Euro« gezogen. [En16]
16
[Hinweis:] Wo die
»Geringwertigkeitsgrenze« im Einzelfall festzusetzen ist, unterliegt
allein dem entscheidenden Gericht.
[Beispiel:] Ein Mann schlägt die Scheibe eines Kiosks ein, um
eine Flasche Schnaps wegnehmen zu können, die sich in Reichweite
befindet. Rechtslage?
Der Mann hat eine Scheibe
eingeschlagen und ist somit in ein Geschäft eingebrochen, um eine
Flasche Schnaps zu stehlen. Bei einer Flasche Schnaps handelt es sich
offenkundig um einen Gegenstand von geringem Wert. Bei einem Kiosk
handelt es sich aber um einen Geschäftsraum im Sinne von § 243 Abs. 1
Nr. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls).
Dennoch handelt es sich nicht um
einen besonders schweren Fall des Diebstahls, weil in den Fällen des
Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 StGB ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen ist, wenn sich die Tat auf eine
geringwertige
Sache bezieht, wovon im Beispielsfall auszugehen ist.
Die Bestrafung des Tatverdächtigen
hat somit auf der Grundlage von
§ 242 StGB (Diebstahl) zu erfolgen. Die
Tat ist ein Vergehen und wird von Amts wegen verfolgt.
[Beispiel:] Ein Mann schlägt die Scheibe eines Wohnhauses
ein, das von Privatpersonen dauerhaft bewohnt wird, um die gleiche
Flasche Schnaps wegnehmen zu können, die sich in Reichweite befindet.
Rechtslage?
Obwohl der Mann tatbestandlich
nichts anderes tut, als bei dem oben bereits skizzierten Einbruch in
einen Kiosk, wird die Tat, weil er in eine »dauerhaft genutzte
Privatwohnung« einbricht, daddurch zu einem Verbrechen.
Während der Täter, der in einen
Kiosk einbricht, um eine geringwertige Sache wegzunehmen, mit einer
Geldstrafe rechnen kann, erwartet den Täter, der in ein dauerhaft
bewohntes Haus einbricht für die gleiche Tathandlung eine
Mindestfreiheitsstrafe von 1 Jahr.
Ob das die Gerichte auch so sehen werden, bleibt abzuwarten. Soviel
Härte des Gesetzes wäre nach der hier vertretenen Rechtsauffassung der
Härte zu viel.
04 Vorsatz und Versuch
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[Vorsatz:] Vorsatz im Sinne
von § 243 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) setzt sowohl die Vorsatzform des Grunddeliktes (§ 242 StGB)
als auch Vorsatz im Hinblick auf die jeweils vom Täterwillen umfasste
schwere Begehungsweise voraus.
Die das Tatunrecht mitbestimmenden
Erschwernisgründe, die im § 243 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 7 benannten
besonders schweren Begehungsarten, müssen somit vom Vorsatz mit umfasst
sein.
Im Zusammenhang mit der schweren
Begehungsart des »gewerbsmäßigen Diebstahls« muss die Absicht des
Täters, sich eine zusätzliche Einnahmequelle zu verschaffen, vom Vorsatz
mit umfasst sein.
Im Übrigen genügt bedingter
Vorsatz.
[Versuch:] Auch der Versuch
eines Diebstahls kann bereits ein besonders schwerer Fall des Diebstahls
sein. Umstritten ist, ob die strafverschärfende Wirkung erst bei
vollumfänglicher Verwirklichung eines der in § 243 StGB aufgeführten
Regelbeispiele ausgelöst wird, oder schon der Versuch eine
strafverschärfende Wirkung auslöst.
Umschritten ist im Zusammenhang
mit § 243 StGB (Besonders schwerer Fall des
Diebstahls) auch der Versuchsbeginn bzw. das »unmittelbare Ansetzen« im
Sinne von
§ 22 StGB (Versuch).
Festzustellen ist in diesem
Zusammenhang, dass bereits ein »Ansetzen zur Verwirklichung eines
Regelbeispiels« keineswegs einen Zusammenhang mit der Wegnahme
begründet.
Ein strafbarer Diebstahlsversuch
im Sinne von § 243 StGB ist anzunehmen, wenn der Täter:
-
Geschützte Räume aufgebrochen
hat und dort nach Beute sucht
-
Kurz davor steht, in einen
Raum einzudringen, einzubrechen, einzusteigen (erkennbare
Tathandlung)
-
Einen Nachschlüssel in das
Schloss eines geschützten Raums einführt
-
Mit sonstigen Werkzeugen
versucht, das Schloss eines geschützten Raums oder einer Sache zu
öffnen, die als Schutzvorkehrung gegen Wegnahme anzusehen ist
-
Tatwerkzeug in die Hand nimmt,
und sich damit zum Beispiel an einem Fensterrahmen zu schaffen macht
-
Klebefolien auf das Fenster
eines Kiosks aufbringt, um dadurch das Klirren der Scheibe beim
Einschlagen zu unterdrücken
Im Gegensatz dazu befindet sich
der Täter noch im Vorbereitungsstadium, wenn er:
-
lediglich eine Tasche mit
Einbruchwerkzeugen vor sich auf den Boden stellt und damit beginnt,
nach einer geeigneten Zutrittsmöglichkeit des umschlossenen Raums zu
suchen, in den eingebrochen werden soll
-
An den Rädern eines Pkw
rüttelt, um das Vorhandensein einer Lenkradsperre zu prüfen
-
Sich Tatwerkzeug oder
Nachschlüssel beschafft
-
Lediglich Werkzeug am Tatort
bereitlegt, um auf einen günstigen Moment zu warten
-
Einen ins Auge gefassten
Tatort ausbaldowert.
[Hinweis:] Um die
Schwierigkeiten, die sich im Spannungsfeld einer rechtsfehlerfreien
Abgrenzung von strafbaren Vorbereitungshandlungen und bereits strafbaren
konkreten Tathandlungen zu verdeutlichen, wird im Folgenden aus zwei
Gerichtsurteilen zitiert, die sich mit dieser Problematik
auseinandergesetzt haben.
BGH 2016:] Der nachfolgend
skizzierte und leicht abgeänderte Fall wurde 2016 von den Richtern des
BGH entschieden:
[Beispiel:] Über Notruf teilt ein Geschäftsinhaber der Polizei mit,
dass er gerade gesehen hat, wie ein Mann über eine hüfthohe Mauer
gestiegen ist, die sein Haus von seinem Geschäft trennt. Der Anrufer
sagt: »Zurzeit befindet sich der Mann wahrscheinlich auf der Rückseite
meines Radiogeschäftes. Hier im Haus ist alles dunkel. Kommen Sie bitte
sofort!« Polizeiliche Einsatzkräfte, die sich in unmittelbarer
Tatortnähe aufhalten, können einen Mann
festnehmen, der gerade dabei ist, mit einer Taschenlampe eine Tür an der
Rückseite eines Radiogeschäftes abzuleuchten. Zu konkreten
Einbruchshandlungen ist es noch nicht gekommen. Rechtslage?
Bei solch einer vorgefundenen Lage
sollte aus polizeilicher Sicht davon ausgegangen werden können, dass es
sich bei der Tat um einen versuchten Einbruch in einen Geschäftsraum
im Sinne von
§ 243
Abs. 1 Nr. 1 StGB (Besonders schwerer Fall des Diebstahls)
handelt.
[BGH 2016:] Der BGH
vertritt eine andere Rechtsauffassung. Im Beschluss des BGH vom
20.09.2016 - BGH 2 StR 43/16 heißt es:
[Kurzfassung:] Der Versuch
eines (Wohnungs-)Einbruchsdiebstahls beginnt erst mit dem unmittelbaren
Ansetzen zur Tathandlung des Grunddelikts. Allein das Eindringen in den
Garten ist noch kein versuchter Einbruchdiebstahl.
[Hinweis:] Was für
Wohnungseinbruchsdiebstahl gilt, der im
§ 244 StGB (Diebstahl mit
Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl) geregelt ist, gilt analog auch
für den Einbruch in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder
in einen anderen umschlossenen Raum im Sinne von § 243 Abs. 1 Nr. 1
StGB.
Im o.g. Beschluss heißt es:
[Rn. 2:] Nach den
getroffenen Feststellungen ist nicht dargetan, dass die Angeklagten im
Sinne von
§ 22 StGB bereits unmittelbar zur Verwirklichung des
Wohnungseinbruchsdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB angesetzt
haben.
[Rn. 4:] Das unmittelbare
Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des
Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne
Zwischenakte zur - vollständigen - Tatbestandserfüllung führt oder im
unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet.
Diese Voraussetzung kann schon gegeben sein, bevor der Täter eine der
Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung
vornimmt; regelmäßig genügt es allerdings, wenn der Täter ein Merkmal
des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht. Es muss aber immer das, was
er zur Verwirklichung seines Vorhabens unternimmt, zu dem in Betracht
kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden (...).
[Rn. 5:] Nach diesen
Maßstäben haben die Angeklagten noch nicht - wie es für einen Versuch
des § 242 StGB notwendig ist - zum Gewahrsamsbruch angesetzt. Das
Eindringen in den Garten über das Gartentor [im Beispielsfall ist es
eine hüfthohe Mauer = AR] reicht nicht aus. Zum einen
sollte nach der Vorstellung der Angeklagten nicht im Garten, sondern in
dem durch weitere Sicherungen geschützten Haus auf dem Grundstück nach
Stehlenswertem gesucht werden (...). Zum anderen ergibt sich aus den
Feststellungen nicht, ob das Gartentor nach seiner Funktion als
wesentlicher Schutz des Hauses anzusehen ist oder etwa durch einfaches
Öffnen oder Übersteigen überwunden werden konnte. So ist nicht
dargelegt, dass schon in dem Eindringen auf das Grundstück ein Ansetzen
zum Gewahrsamsbruch liegt. [En17] 17
Eine andere Rechtsauffassung
vertritt das Kammergericht Berlin.
[KG Berlin 2014:] Dem
Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 18. Februar 2014 · Az. (3) 161
Ss 248/13 (13/14) lag folgender leicht abgeänderter Fall zugrunde:
[Anlass:]
Der Tatverdächtige wurde mit einem Seitenschneider in der Hand in einer
Gaststätte angetroffen, die er durch eine unverschlossene Tür betreten
konnte. Zur Sicherung vor dem Ertapptwerden hatte er eine Kiste hinter
die Eingangstüre gestellt. Er wurde ergriffen, als er sich nach
möglichem Diebesgut umsah.
Zur Versuchshandlung heißt es in
dem Beschluss wie folgt:
[Rn. 3:] Das nach
§ 22 StGB erforderliche unmittelbare Ansetzen [zur Tat = AR] liegt
spätestens in dem Eindringen in fremdes Besitztum vor, sofern es mit dem
bestimmten Willen geschieht, etwas (nicht notwendig bereits Bestimmtes)
zu stehlen (...). Es kann sogar bereits darin bestehen, dass sich der
Täter vor der Räumlichkeit befindet, die er auf Stehlenswertes
durchsuchen will (...), wenn er nämlich die naheliegende Möglichkeit des
Bruchs fremden Gewahrsams geschaffen hat (...). Des von allen
Revisionsführern für erforderlich gehaltenen Ergreifens oder sogar
»Bereitstellens« von Diebesgut bedarf es nicht. [En18] 18
[Hinweis:] Dass so
gravierend voneinander abweichenden Rechtsauffassungen sich für
sachgerechte polizeiliche Entscheidungen vor Ort kaum eignen, wird jede
Polizeibeamtin und jeder Polizeibeamte bestätigen können, denn vor Ort
sind Entscheidungen zu treffen, ohne vorher mit großem Zeitaufwand in
Kommentaren oder Rechtsprechungsdatenbanken nach der jeweils
herrschenden Rechtsauffassung suchen zu können.
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05 Quellen
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Endnote_01 Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vom 24. April
2017, Seite 13
https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/
PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2016/pks2016_node.html Aufgerufen am
20.08.2017 Zurück
Endnote_02 Bundesgerichtshof Urt. v.
22.05.1963, Az.: 2 StR 144/63
https://www.jurion.de/urteile/bgh/1963-05-22/2-str-144_63/ Aufgerufen
am 20.08.2017 Zurück
Endnote_03 Einbruch vers. Einsteigen BGH 1 StR 506/99 - Urteil v.
16. November 1999 http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/99/1-506-99.php3
Aufgerufen am 20.08.2017 Zurück
Endnote_04
Bundesgerichtshof Urt. v. 16.05.1961, Az.: 5 StR 52/61
https://www.jurion.de/urteile/bgh/1961-05-16/5-str-52_61/ Aufgerufen
am 20.08.2017 Zurück
Endnote_05 Spurenbild beim
Einbruchdiebstahl BGH · Urteil vom 8. April 2015 · Az. IV ZR 171/13
https://openjur.de/u/769510.html Aufgerufen am 20.08.2017
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Endnote_06 Herausgezogener Profilzylinder konnte am Tatort nicht
gefunden werden OLG Hamm · Urteil vom 21. Oktober 2011 · Az. I-20 U
62/11 https://openjur.de/u/451591.html Aufgerufen am 20.08.2017
Zurück
Endnote_07 Einbruchsspuren BGH, Urteil vom 18. 10.
2006 – IV ZR 130/05 http://lexetius.com/2006,3275 Aufgerufen am
20.08.2017 Zurück
Endnote_08 Einsteigen als
Tatbestandsmerkmal BGH 3 StR 404/15 - Beschluss vom 10. März 2016
(OLG Oldenburg) http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/15/3-404-15.php
Aufgerufen am 20.08.2017 Zurück
Endnote_09 Abgrenzung
Einbruch - Einsteigen - Grundtatbestand Urteil im Volltext
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/99/1-506-99.php3 Aufgerufen am
20.08.2017 Zurück
Endnote_10 Falscher Schlüssel BGH,
10.05.1960 - 5 StR 129/60
https://www.jurion.de/urteile/bgh/1960-05-10/5-str-129_60/ Aufgerufen
am 20.08.2017 Zurück
Endnote_11 Nachschlüssel - falscher
Schlüssel - sonstiges Öffnungswerkzeug BGH, 29.09.1953 - 2 StR 261/53
https://www.jurion.de/urteile/bgh/1953-09-29/2-str-261_53/ Aufgerufen
am 20.08.2017 Zurück
Endnote_12 Schutzvorrichtung besonders
gesicherte Sache KG Berlin, Urt. v. 28.11.2011 – (4) 1 Ss 465/11 (27
1/11) http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2012_2_555.pdf
Aufgerufen am 20.08.2017 Zurück
Endnote_13 Gewerbsmäßigkeit
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/8551/
gewerbsmaessigkeit-v7.html Aufgerufen am 20.08.2017
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Endnote_14 Quelle: Rengier, StrafR BT I, 16. Auflage München 2014, §
3 Rdn. 34; Lackner/Kühl, 28. Auflage München 2014, vor § 52 Rdn. 20.
Zitiert nach: https://www.iurastudent.de/definition/
gewerbsm%c3%a4%c3%9figkeit Aufgerufen am 20.08.2017
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Endnote_15 Borghorster Stiftskreuz ist wieder da WDR1.de vom
17.02.2017 http://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/
stiftskreuz-borghorst-fund-100.html Aufgerufen am 20.08.2017
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Endnote_16 Geringwertigkeit, Wertgrenze KG, Beschl.
v. 08.01.2015 - 121 Ss 211/14 Rn. 21, 22, 26
https://openjur.de/u/763702.html Aufgerufen am 20.08.2017
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Endnote_17 Versuch beim Einbruchsdiebstahl BGH 2 StR 43/16 -
Beschluss vom 20. September 2016
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/16/2-43-16.php Aufgerufen am
20.08.2017 Zurück
Endnote_18 Versuch des Einbruchdiebstahls
KG Berlin, Beschluss vom 18. Februar 2014 · Az. (3) 161 Ss 248/13
(13/14) https://openjur.de/u/690483.html Aufgerufen am 20.08.2017
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§ 243 StGB (Besonders schwerer Fall
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