§ 142 StGB - Entfernen vom Unfallort
September 2018
01 Unerlaubtes Entfernen vom
Unfallort (§ 142 StGB)
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Gem. § 142 StGB wird bestraft,
- wer sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten
der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten
- die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch
seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war, ermöglicht
hat (Abs. 1 Nr. 1) oder
- eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die
Feststellungen zu treffen (Abs. 1 Nr. 2)
- wer sich nach Ablauf der Wartefrist berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt
hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht (Abs 2).
Die Vorschrift schützt die zivilrechtlichen Interessen der Unfallbeteiligten und
Geschädigten an möglichst umfassender Aufklärung des Unfallhergangs zu dem Zweck,
Schadensersatzansprüche zu sichern oder abzuwehren (BGH 4 StR 148/55 v. 26.05.1955 -
BGHSt 8, 263, 265).
Der Gesetzestext ist wegen der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe äußerst schwer zu
handhaben.
Es verwundert daher nicht, dass es zu § 142 StGB eine umfangreiche Rechtsprechung
gibt. Der "Teufel liegt bekanntlich im Detail".
§
142 StGB
02 Begriff Unfall
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Ein Unfall ist jedes Ereignis, das zur Verletzung eines Menschen oder zu einer nicht
gänzlich belanglosen Sachbeschädigung geführt hat.
Dass ein Zusammenstoß erheblichen Personen- oder Sachschaden verursacht hat, ist nicht
erforderlich (BGH 4 StR 253/51 v. 03.08.1951).
Eine Verletzung muss jedoch zu einem nicht ganz belanglosen Körperschaden geführt
haben; es müssen also nachteilige Folgen für die körperliche Integrität vorliegen (OLG
Hamm v. 25.04.1958 - DAR 58, 308).
In der Rechtsprechung wurden z.B. folgende Personenschäden als belanglos angesehen:
- belanglose, Hautabschürfungen, geringfügige Schmerzen (OLG Hamm DAR 58, 308)
- Körperverletzungen, die derart leicht sind, dass deswegen Schadenersatzansprüche
üblicherweise nicht gestellt werden, z.B. blaue Flecken, leichte Prellungen und
Blutergüsse bei größeren Jugendlichen und Erwachsenen; anders jedoch bei Kleinkindern
(OLG Köln v. 08.08.1972 - VRS 44, 97, 98)
- bloße Beschmutzung von Körper oder Kleidung durch vorüberfahrende Kraftfahrzeuge
(BayOblG v. 21.08.1957 - VRS 15 43)
Ein Sachschaden wird jedenfalls als belanglos angesehen, wenn er weniger als 5
beträgt (OLG Hamm v. 10. 02. 1971 - NJW 71, 1470). Die Grenze wird heute sicherlich etwas
höher anzusetzen sein, etwa bis 20 .
Beispiel
Polizeibeamte werden zur Hüttenstraße gerufen. Dort ist auf regennasser Fahrbahn ein Pkw
ins Schleudern geraten und gegen eine Werksmauer geprallt. Am Pkw entstand erheblicher
Sachschaden. Die Werksmauer ist, bis auf unbedeutende Kratzer, unbeschädigt geblieben.
Von dem Unfallfahrer ist weit und breit nichts mehr zu sehen. Im Pkw riecht es stark nach
Alkohol. Steht der Fahrer des Pkw im Verdacht, Verkehrsunfallflucht begangen zu haben?
§ 142 StGB setzt einen Unfall im Straßenverkehr voraus.
Darunter ist nach der Rechtsprechung des BGH ein Schadensereignis zu verstehen, das durch
Verkehrsabläufe im Straßenverkehr oder durch typische Gefahren des Straßenverkehrs
bedingt ist und einen nicht lediglich belanglosen Fremdschaden zur Folge hat. Bedeutsam
ist ein Fremdschaden, wenn der Schaden über 20 Euro liegt. Da an der Werksmauer nur
unbedeutende Kratzer entstanden sind, wird hier davon ausgegangen, dass lediglich ein
belangloser Schaden entstanden ist. Folglich ist ein Unfall i.S.v. § 142 StGB nicht
gegeben, so dass Verkehrsunfallflucht allein deshalb ausscheidet.
Ob ein Unfall schuldhaft herbeigeführt wurde oder nicht, ist unerheblich. Auch wer
vorsätzlich oder gar absichtlich im Straßenverkehr einen Schaden herbeiführt,
verursacht einen Unfall, z.B. ein Polizeibeamter, der das Fahrzeug eines Flüchtenden
vorsätzlich rammt, um das Fahrzeug anzuhalten (BGH 4 StR 228, 02 v. 20.02.2003). Ferner
aber auch, wenn ein Kraftfahrer, der ein ihn wegen anderer Straftaten verfolgendes
Polizeifahrzeug vorsätzlich beschädigt und weiterfährt, um sich hinsichtlich dieses
Unfalls den Feststellungen zu entziehen (BGH 4 StR 287/72 v. 27.07.1972 - BGHSt 24, 382).
Jedoch muss es sich um Schadensereignisse handeln, in denen sich ein verkehrstypisches
Unfallrisiko realisiert hat. Das kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn das
Schadensereignis im Straßenverkehr schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht die
Folge des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer deliktischen Planung ist.
Folgerichtig sind die Merkmale eines Unfalles im Straßenverkehr nicht erfüllt, wenn z.B.
im Rahmen des gemeinsamen Tatplanes der Beifahrer während der Fahrt Mülltonnen ergreift,
sie wieder fallen lässt und dadurch Schäden an parkenden Fahrzeugen verursacht oder ein
Fahrzeugführer vorsätzlich gegen die Tür eines parkenden Fahrzeuges fährt oder ein
Fahrzeugführer während der Fahrt Flaschen auf einen Pkw wirft und diesen beschädigt
(BGH 4 StR 233/01 v. 15.11.2001).
§ 142 StGB schützt die Schadensregulierungsansprüche anderer Unfallbeteiligter. Das
setzt logisch voraus, dass durch den Unfall ein Fremdschaden entstanden sein muss.
Geschädigter Dritter kann auch die Allgemeinheit sein. Letzteres ist z. B. der Fall, wenn
Ampelmasten, Verkehrszeichen, Verteilerkästen, Telefonhäuschen oder Einfriedungen
beschädigt werden. In diesen Fällen ist der Geschädigte sehr wohl daran interessiert,
Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Folglich ist in diesen Fällen ein
Verkehrsunfall i.S.v. § 142 StGB gegeben.
[Alleinunfall:] Nach einem Alleinunfall ohne Fremdschaden kann Verkehrsunfallflucht also nicht begangen
werden (BGH 4 StR 148/55 v. 26.05.1955 - VRS 59, 33). Alleinunfälle sind gegeben, wenn
Dritte keinerlei Schadensersatzansprüche geltend machen können. Ein Fremdschaden i.S.v.
§ 142 StGB ist auch dann nicht gegeben, wenn der Fahrer sich den Pkw geliehen hat.
Schäden an Tatmitteln sind keine Fremdschäden im Sinne des § 142 StGB.
Ausnahme: Ein Halter verursacht
selbst hohen Schaden (9000 Euro) an seinem Pkw - ohne dass es dabei zu
einem nennenswerten Fremdschaden gekommen ist. Der Halter ist beim
Rückwärtsfahren gegen eine Betonwand gefahren. Die Ursache des
Schadenseintritts durch die Polizei erfolgte nicht. Der Halter verlangt
von seiner Versicherung die Begleichung des Schadens
(Vollkaskoversicherung). Rechtslage?
Das OLG Celle hat am 19.11.2009 Az.: 8 U 79/09 entschieden, dass das
unerlaubte Entfernen von der Unfallstelle auch bei eindeutiger
Haftungslage zulasten des Versicherungsnehmers eine Verletzung der
Aufklärungsobliegenheit ist, die bei Vorliegen des objektiven und
subjektiven Tatbestandes des § 142 StGB zur Leistungsfreiheit des
Versicherers führt. Bei einem Bagatellschaden entfällt die Wartepflicht.
Ein Schaden von 100 € ist jedoch kein Bagatellschaden mehr.
Der
Versicherte hat durch das unerlaubte Verlassen der Unfallstelle, ohne
die erforderlichen Feststellungen seiner Person, seines Fahrzeugs und
seiner Beteiligung gegen § 142 Abs. 1 Nr.1 StGB verstoßen. Hier liegt
kein Bagatellschaden vor, bei dem keine Wartepflicht bestehen würde, da
der Schaden über 100 € liegt.
Allerdings liegt in einem sog.
Alleinunfall in dem Verlassen der Unfallstelle keine Verletzung der
Aufklärungsobliegenheit, wenn bei dem Unfall kein oder nur belangloser
Fremdschaden entstanden ist. Die Grenze des Bagatellschadens liegt vor,
wenn wegen der Geringfügigkeit des Fremdschadens mit der Geltendmachung
von Ersatzansprüchen des Geschädigten vernünftigerweise nicht zu rechnen
ist.
Urteil im Volltext
Das OLG Brandenburg hatte
zur Leistungsfreiheit des Kfz-Kaskoversicherers bei Unfallflucht am
14.09.2006 vergleichbar entschieden.
03 Unfall im Straßenverkehr
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§ 142 StGB setzt voraus, dass sich der Unfall im öffentlichen Verkehrsraum ereignet
hat. Unfälle, die sich im nicht öffentlichen Verkehrsraum ereignen, sind keine
Verkehrsunfälle im Sinne von § 142 StGB.
Zum öffentlichen Straßenverkehr zählen zunächst die nach Straßenrecht gewidmeten
öffentlichen Verkehrsflächen. Darüber hinaus bestimmt die Verwaltungsvorschrift zur
StVO (VwV-StVO) zu § 1, dass auch nicht gewidmete Straßen öffentlicher Verkehrsraum
sind, wenn diese mit Zustimmung oder unter Duldung des Verfügungsberechtigten
tatsächlich allgemein benutzt werden.
Die Rechtsfrage, ob private Verkehrsflächen öffentlicher Verkehrsraum sind oder
nicht, ist häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen.
Folgende private Verkehrsflächen wurden z.B. als öffentlicher Verkehrsraum anerkannt:
- Tankstellengelände - Autowaschanlage (BayObLG)
- Städtische Mülldeponie (OLG Zweibrücken in VRS 60, 218)
- Parkhäuser (z.B. OLG Karlsruhe)
- Parkplatz einer Gastwirtschaft, es sei denn, er ist nur Übernachtungsgästen
vorbehalten (BGH 4 StR 6/61 v. 09.03.1961 - BGHSt 16, 7)
- Kasernengelände / Polizeiunterkunft, sofern allgemeiner Publikumsverkehr stattfindet
(vgl. OLG Düsseldorf - NJW 56, 1651)
- Hinterhofparkplatz, der Kunden mehrerer Firmen sowie Anwohnern offen steht (OVG Münster
v. 4. 8. 99 - DÖV 2000, 211)
- Areal einer Großmarkthalle, wenn für Kundenverkehr zugelassen
(BayObLG - VRS 62, 133)
Dagegen wurden z.B. folgende private Verkehrsflächen nicht als öffentlicher
Verkehrsraum gesehen:
- Fliegerhorst, wenn er nur mit Tagespassierschein nach Hinterlegung des Führerscheins
betreten werden darf (BayObLG - VRS 24, 304)
- Großmarktgelände, wenn nur Personen mit besonderem Ausweis eingelassen werden (BGH -
MDR 63, 41)
- Garagenvorplatz eines Wohnhauses (OLG Köln v. 6. 6.2000)
Öffentlicher Verkehrsraum ist also eine Fläche, die jedermann tatsächlich ohne
Zugangskontrolle begehen oder befahren kann. Auf die privaten Eigentumsverhältnisse kommt
es dabei nicht an.
Eine Verkehrsfläche ist auch dann öffentlich, wenn die Nutzung dieser Fläche davon
abhängig gemacht wird, dass eine Benutzungsgebühr gezahlt wird (OLG Bremen NJW 67 990,
991). Dies ist bei dem ständig knapper werdenden Parkraum in den Städten eher die Regel
als die Ausnahme.
Allerdings gelten Parkhäuser außerhalb der normalen Betriebszeit nicht als
öffentlicher Verkehrsraum (OLG Stuttgart v. 27.04.1979 - NJW 80, 68).
Eine Fläche ist nicht als öffentlicher Verkehrsraum anzusehen, wenn es sich um
befriedetes Besitztum handelt und dieses befriedete Besitztum nur einem bestimmten
berechtigten Personenkreis zugänglich ist (BGH 4 StR 6/61 v. 09.03.1961 - BGHSt 16, 11).
Folglich ist z. B. eingefriedetes Werksgelände grundsätzlich kein öffentlicher
Verkehrsraum. Wer in ein solches Betriebsgelände hineinfahren will, muss vorher an der
Pforte seine Berechtigung nachweisen. Besucher müssen in der Regel eine Besuchserlaubnis
unterzeichnen. Durch ihre Unterschrift bringen die Besucher zum Ausdruck, dass sie die im
Unternehmen gültige Betriebsordnung akzeptieren.
Wer sich also nach einem Unfall von einem Unfallort entfernt, der sich auf
eingefriedetem Privatgelände befindet, begeht keine Verkehrsunfallflucht. Er kann jedoch
wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) zur Verantwortung gezogen werden, wenn es
sich um einen Unfall mit Personenschaden gehandelt und er erforderliche und ihm zumutbare
Hilfe nicht geleistet hat.
Beispiel
Der Polizei wird gemeldet, dass der Mitarbeiter M des Unternehmens U im eingefriedeten
Werksbereich einen neuen Mercedes des Mitarbeiters A angefahren und schwer beschädigt
habe. M sei weggefahren, ohne sich um den Schaden zu kümmern. Flucht nach Verkehrsunfall?
Verkehrsunfallflucht setzt voraus, dass im Straßenverkehr
ein Unfall verursacht wurde. Da sich der "Unfallort" im eingefriedeten
Werksgelände befindet, hat sich der Unfall nicht im öffentlichen Verkehrsraum ereignet.
Folglich scheidet allein deshalb Verkehrsunfallflucht aus.
Auch Sachbeschädigung (§ 303 StGB) kann dem M nicht vorgeworfen werden, denn es darf
wohl unterstellt werden, dass er nicht vorsätzlich den Wagen angefahren hat.
Sachbeschädigung setzt vorsätzliches Handeln voraus. Fahrlässige Sachbeschädigung ist
nicht strafbar.
04 Unfallbeteiligter
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Für die Beantwortung der Frage, welche Bedingungen für einen eingetretenen Erfolg
ursächlich sind, gilt im Strafrecht grundsätzlich die Äquivalenztheorie. Danach ist
jede Bedingung ursächlich (kausal) für einen Erfolg, die nicht hinweggedacht werden
kann, ohne dass der Erfolg entfällt. Demnach ist jedenfalls Unfallbeteiligter, wer die
unmittelbare Ursache für einen Verkehrsunfall gesetzt hat und auch, wer lediglich
unmittelbar eine Mitursache gesetzt hat.
Fraglich ist, ob das auch für entferntere Ursachen gilt. Nach der Rechtsprechung
reicht mittelbare Mitverursachung jedoch zumindest dann nicht, wenn sich der mittelbare
Mitverursacher verkehrsgerecht verhalten hat. So wurde z.B. eine Unfallbeteiligung eines
Fahrzeugführers abgelehnt, der vorschriftsmäßig angehalten hat, während in der sich
hinter ihm bildenden Fahrzeugschlange ein Auffahrunfall ereignet hat (BayOblG v.
22.10.1971 - VRS 42, 200). So im Ergebnis auch OLG Stuttgart (DAR 03, 475 - mitgeteilt in
"ADACmotorwelt" Heft 2, Februar 2004), wonach ein Fahrer nur dann wegen
Unfallflucht belangt werden kann, wenn er gegen Verkehrsregeln verstoßen hat und deshalb
zweifelsfrei am Crash beteiligt war. Das sei nicht der Fall, wenn es hinter einem
Linksabbieger nur deshalb kracht, weil der nachfolgende Verkehr z.B. den Mindestabstand
nicht eingehalten hat. Andererseits braucht die Beteiligung am Unfall nicht eindeutig
festzustehen. Ausreichend ist die bloße Möglichkeit der Verursachung, der Verdacht also,
dass das Verhalten den Unfall möglicherweise mitverursacht hat (BGH 4 StR 232/60 v.
22.07.1960 - BGH 15,1).
Voraussetzung ist aber, dass sich der Verursacher bzw. Mitverursacher zur Zeit des
Unfalls am Unfallort befindet. Unerheblich ist, ob der Verursacher/Mitverursacher
schuldhaft oder nicht schuldhaft gehandelt hat.
Verursacher eines Unfalls ist auch
- wem das Fahrzeug aufgrund eines technischen Mangels außer Kontrolle gerät
- wer dem Fahrer ins Steuer greift.
- wer den Fahrer stößt, schüttelt oder schubst.
- wer den Fahrer durch Gespräche ablenkt, so dass er sich nicht mehr auf den Verkehr
konzentrieren kann
- wer als Beifahrer und Halter seinen Wagen jemandem überlässt, der fahruntüchtig ist. (OLG Celle v. 09.09.1965 - NJW 66, 557)
- Beifahrer, der den angetrunkenen Fahrer zur Fahrt überredet hat
(BGH 3 StR 432/52 v. 09.10.1951 - VRS 5, 42)
Die Art der Beteiligung ist völlig unerheblich. Gleichgültig ist
also, ob jemand als Fahrer, Mitfahrer, Insasse von Fahrzeugen, Fußgänger, Radfahrer oder
Rollstuhlfahrer etc. beteiligt war.
Beispiel
A und B sind auf dem Wege zur Arbeitsstelle in Streit geraten. Als B dem Fahrer A mit dem
Ellenbogen einen Stoß in die Seite gibt, verliert A die Gewalt über das Fahrzeug und
streifte einen parkenden Pkw. Ohne anzuhalten, entfernen sich A und B vom Unfallort. Wer
ist Unfallbeteiligter?
Sowohl A als auch B kommen als Unfallbeteiligte in Betracht.
Hätte A nicht die Gewalt über seinen Pkw verloren, wäre es nicht zu dem Unfall
gekommen. Folglich hat A den Unfall unmittelbar verursacht. Er war zur Zeit des Unfalls
auch am Unfallort. Aber auch B hat eine Unfallursache gesetzt. Hätte er den A nicht
gestoßen, hätte A nicht die Gewalt über das Steuer verloren und der Unfall wäre nicht
geschehen. Folglich sind beide als Unfallbeteiligte anzusehen. Weil sich beide vom
Unfallort entfernt haben, ohne sich um den beschädigten Pkw zu kümmern, kann beiden
Verkehrsunfallflucht vorgeworfen werden.
05 Entfernen von der Unfallstelle
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Das Merkmal "Entfernen" ist erfüllt, wenn der Unfallbeteiligte die
Unfallstelle so weit verlässt, dass man dort nicht mehr nach ihm suchen würde. Entfernen
setzt ein vom Willen getragenes Verhalten voraus (BayObLG v. 01.10.1992 - NJW 93, 410).
Die Unfallbeteiligten müssen quasi auf Zuruf erreichbar sein und auch aktiv ihre
Ansprechbarkeit gewährleisten.
Der Tatbestand des "Entfernens" ist auch gegeben, wenn sich der
Unfallbeteiligte an oder in der Nähe der Unfallstelle aufhält und sich nicht zu erkennen
gibt; wenn er den Bereich verlassen hat, in dem eine feststellungsbereite Person unter den
gegebenen Umständen den Wartepflichtigen vermuten und ggf. durch Befragen ermitteln
würde (OLG Hamm v. 19.01.1978 - DAR 78, 139).
Entfernen vom Unfallort ist also grundsätzlich gegeben, wenn nach einem
Unfallbeteiligten gesucht werden muss.
Das gilt jedoch nicht, wenn ein Unfallbeteiligter im Augenblick nicht verfügbar ist,
weil er z.B. zur Vermeidung von Verkehrsbehinderungen seinen Pkw an einer geeigneten
Stelle in der Nähe abstellt oder weil er gerade einen Standort für sein Fahrzeug sucht,
um eine gefahrlose Feststellung der Unfallbeteiligung zu ermöglichen.
Beispiel
In unmittelbarer Nähe eines Tankstellengeländes ist A auf den Pkw des B aufgefahren. Der
Sachschaden beträgt etwa 200 . Weil der Pkw des A den Verkehr behindert, fährt A,
ohne den B zu fragen, seinen Pkw auf das Tankstellengelände. Rechtslage?
A hat den Unfallort nicht so weit verlassen, dass man
umständlich nach ihm suchen müsste. Er stand jederzeit zur Feststellung seiner
Personalien und der Art der Beteiligung an dem Unfall zur Verfügung des B. Das Wegfahren
des Pkw vom unmittelbaren Unfallort auf das nahe gelegene Tankstellengelände diente dem
Zweck, eine Verkehrsbehinderung zu beseitigen und sollte nicht dazu dienen, die Art der
Beteiligung zu verschleiern, zumal die Unfallursache eindeutig war.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch im März 2007 die Strafbarkeit von Autofahrern
wegen Unfallflucht eingeschränkt.
Die Verfassungsrichter entschieden, dass ein Unfallverursacher, der ohne den Unfall zu
bemerken weiterfährt, nicht mehr wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bestraft
werden darf.
Anlass
Ein Autofahrer hatte beim Überholen an einer Baustelle unbemerkt Rollsplitt
aufgewirbelt und dadurch einen anderen Wagen beschädigt. Als er einen halben Kilometer
später in einer Tankstelle einbog, stellte ihn der geschädigte Fahrer zur Rede. Der
Unfallverursacher bestritt jede Verantwortung für den Schaden, der sich auf 1.900 Euro
summierte, und fuhr weiter, ohne seine Personalien zu hinterlassen. Das zuständige
Amtsgericht hatte ihn deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt.
Bereits 1978 hatte der BGH in einem Grundsatzurteil entschieden, dass vergleichbares
Verhalten strafbar ist. Zwar muss nach dem Wortlaut des Paragrafen 142 nur derjenige
nachträglich seine Personalien angeben, wer sich zunächst "berechtigt oder
entschuldigt" vom Unfallort entfernt hat - etwa, um einen Verletzten ins Krankenhaus
zu bringen. Der BGH dehnte die Strafbarkeit aber auch auf jene aus, die sich
"unabsichtlich" vom Unfallort entfernt hatten.
Bisher macht sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch strafbar,
wer zunächst unabsichtlich weiterfuhr, dann aber - nachdem er den Unfall bemerkt hat -
nicht unverzüglich die Feststellung seiner Personalien ermöglichte.
Nach den Worten der Verfassungsrichter wird dadurch der Wortlaut des einschlägigen
Paragrafen 142 Strafgesetzbuch jedoch unzulässig ausgedehnt. Dies verstoße gegen das
Bestimmtheitsgebot im Grundgesetz. (Az: 2 BvR 2273/06 - Beschluss vom 19. März 2007).
Außerdem müsse sich eine Bestrafung so konkret wie möglich am Wortlaut des Gesetzes
orientieren, weil die Strafbarkeit für jeden Betroffenen vorhersehbar sein müsse.
06 Zu gewährleistende Feststellungen
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Gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann ein Unfallbeteiligter wegen unerlaubten Entfernens
vom Unfallort bestraft werden, wenn er sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom
Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten
die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch
seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht
hat.
§
142 StGB
Unfallbeteiligte müssen durch ihre Anwesenheit und durch die Angabe, dass sie an dem
Unfall beteiligt waren, Folgendes gewährleisten:
- Feststellung ihrer Person (Name, Vorname, Tag und Ort der Geburt, Wohnanschrift, Beruf,
Staatsangehörigkeit)
- Feststellung der Fahrzeugdaten (Kennzeichen, Fahrzeugtyp, Versicherung)
- Feststellung der Art der Beteiligung (Fahrzeugführer, Mitfahrer, Fußgänger, Alkohol,
Vorwerfbarkeit etc.)
Zur Feststellung des Fahrzeugs gehören alle erforderlichen Fahrzeugdaten (z.B.
Marke, Typ, Farbe, Zustand, Kennzeichen).
Zur Feststellung der Art der Beteiligung gehört die Feststellung des
körperlichen oder geistigen Zustandes, z.B. Behinderungen, Alkohol, Drogen und die
Feststellung, ob der Unfallbeteiligte Fahrer oder Mitinsasse war (BGH 4 StR 109/70 v.
25.6. 1970 - VRS 39, 184).
Zur Feststellung der Person gehören alle Personaldaten, die es ermöglichen,
den Unfallbeteiligten ohne weitere Ermittlungen eindeutig zu identifizieren (BGH 4 StR
544/60 v. 21.06.1961 - BGHSt 16,139, 142, 143).
In keinem Fall genügt der Hinweis auf das amtliche Kennzeichen, da Führer und Halter
nicht identisch sein müssen (OLG Düsseldorf v. 22.03.1985 - JZ 85, 544). Auch das
Zurücklassen der Visitenkarte an der Windschutzscheibe des beschädigten Fahrzeugs ist
grundsätzlich nicht ausreichend (OLG Hamm v. 10.02.1971 - NJW 71,1469).
Andererseits ist ein Unfallbeteiligter nicht verpflichtet, gegenüber einem privaten
Feststellungsinteressenten seine Personalien anzugeben, Führerschein oder Kfz-Schein
vorzuzeigen oder seine Versicherung zu nennen. Ferner ist er nicht verpflichtet, auf
Verlangen eines Feststellungsinteressenten mit zur nächstgelegenen Polizeidienststelle zu
kommen. Jedoch kann der Berechtigte verlangen, dass die Polizei hinzugezogen wird und der
Unfallbeteiligte bis zum Abschluss der polizeilichen Feststellungen wartet (OLG Karlsruhe
v. 14.12.1972 - NJW 73, 378). Das gilt selbst dann, wenn er namentlich bekannt ist (OLG
Koblenz v. 30.09.1976 - DAR 77, 77). Ferner auch, wenn es sich um "Kleinunfälle mit
bloßem Sachschaden unter 1000 DM" handelt (BayObLG v. 15.12.1965 - NJW 66, 558).
Ein Unfallbeteiligter muss die Feststellungen nicht nur durch seine Anwesenheit,
sondern auch dadurch ermöglichen, dass er angibt, an dem Unfall beteiligt gewesen zu
sein. Zu weiteren Angaben über die Art seiner Beteiligung ist er nicht verpflichtet (OLG
Frankfurt v. 14.02.1977 - NJW 77, 1833).
Beispiel
Auf einem jedermann zugänglichen Werksparkplatz hat der Mitarbeiter A den Pkw des
Mitarbeiters B erheblich beschädigt. Weil A es sehr eilig hat, erklärt er dem B, dass er
für den Schaden aufkomme und reicht ihm seine Visitenkarte. B fordert A jedoch auf,
solange an der Unfallstelle zu verbleiben, bis die Polizei den Unfall aufgenommen hat.
Rechtslage?
A ist Unfallbeteiligter, weil sein Verhalten für das
Zustandekommen des Unfalles ursächlich war. Folglich ist A wartepflichtig.
Er muss also an der Unfallstelle warten, bis andere Unfallbeteiligte bzw. der
Geschädigte die erforderlichen Feststellungen über seine Person, sein Fahrzeug und die
Art und Weise seiner Unfallbeteiligung festgestellt haben. Fordert einer der Beteiligten
die Hinzuziehung der Polizei, muss gewartet werden, bis die Polizei die notwendigen
Feststellungen getroffen hat. Der Wartepflichtige genügt seiner Pflicht nicht, wenn er
lediglich seine Visitenkarte überreicht und erklärt, dass er für den Schaden aufkomme.
A ist folglich verdächtig, Unfallflucht begangen zu haben.
Beispiel
A hat beim Ausparken am Pkw des B einen Schaden von ca. 100 verursacht. B ist nicht
sofort greifbar. Weil A es eilig hat, klemmt er seine Visitenkarte hinter die
Windschutzscheibe und fährt in der Absicht nach Hause, den Schaden zu regulieren, sobald
der B sich meldet. Verkehrsunfallflucht?
Wer einen Unfall verursacht hat, ist zweifellos ein
Unfallbeteiligter. Unfallbeteiligte haben dem Geschädigten an der Unfallstelle die
Feststellung der Art und Weise ihrer Beteiligung und die Feststellung ihrer Personal- und
Fahrzeugdaten zu ermöglichen.
Unfallbeteiligte müssen auch eine angemessene Zeit warten, wenn der Geschädigte nicht
an der Unfallstelle ist. Es reicht nicht aus, hinter der Windschutzscheibe des
Geschädigten eine Visitenkarte zu heften. Weil A also ohne zu warten sofort nach Hause
gefahren ist, kann er wegen Verkehrsunfallflucht belangt werden.
Hätte A nach dem Unfall den B verständigt oder aber etwa 30 Minuten gewartet, ohne
dass B sich gemeldet hat, könnte A wegen Verkehrsunfallflucht nicht zur Verantwortung
gezogen werden, wenn er von zu Hause aus entweder die Polizei oder den B erneut
verständigt hätte, um die erforderlichen Feststellungen unverzüglich nachträglich zu
ermöglichen.
07 Wartepflicht
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Gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann ein Unfallbeteiligter wegen unerlaubten Entfernens
vom Unfallort bestraft werden, wenn er sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom
Unfallort entfernt, bevor er eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne
dass jemand bereit war, die Feststellungen nach Abs. 1 Nr. 1 zu treffen.
Grundsätzlich besteht Wartepflicht, bis alle erforderlichen Personaldaten,
Fahrzeugdaten und die Art der Beteiligung festgestellt sind.
Ist der Geschädigte anwesend, können sich Unfallbeteiligte und Geschädigte vor Ort
einigen. Sie brauchen von sich aus die Polizei nicht hinzuzuziehen. Kommt eine Einigung
zustande, dürfen sich Unfallbeteiligte von der Unfallstelle entfernen.
Verkehrsunfallflucht ist dann nicht mehr möglich.
Solange jedoch auch nur einer der Beteiligten oder Geschädigten darauf besteht, dass
die Feststellungen durch die Polizei getroffen werden sollen, besteht Wartepflicht.
Ein Unfallbeteiligter kann daher verlangen, dass andere bis zum Eintreffen der Polizei
bzw. bis zum Abschluss polizeilicher Feststellungen am Unfallort verbleiben. Das gilt
auch, wenn sich die Unfallbeteiligten kennen. Die genaue Dauer der Wartepflicht ist
gesetzlich nicht geregelt. Die Rechtsprechung stellt auf die Umstände des Einzelfalles
ab. Die Ergebnisse sind deshalb nicht verallgemeinerungsfähig.
Von der Rechtsprechung wurde z.B. als ausreichend anerkannt:
- 15 Minuten bei ganz geringem Schaden in einem kleinen Ort bei Dunkelheit
- (OLG Stuttgart v. 29.03.1973 - VRS 45, 276)
- 30 Minuten bei vergleichsweise geringem Schaden von 100 DM
- (BayObLG v. 15.12.1976 - JZ 77, 191)
- 30 Minuten bei nächtlichem Unfall auf einsamer, kaum befahrener Straße
- (OLG Hamm v. 18.01.1960 - VRS 18, 199)
- 2 Stunden bei beschädigter Bahnschranke zur Nachtzeit auf freier Landstraße an
Eisenbahnnebenstrecke (OLG Köln v. 09.10.1962 - VRS 24, 285).
Bei BagatellunfäIlen wird nach der Rechtsprechung die Wartefrist verkürzt bzw.
entfällt ganz, wenn die Schuldfrage geklärt ist und der Wartepflichtige z.B. nach der
Beschädigung eines ordnungsgemäß geparkten Pkw einen Zettel mit ausreichenden Angaben
hinterlässt (OLG Hamm v. 10.02.1971 - NJW 71, 1470).
Die Verpflichtung, bis zum Eintreffen der Polizei zu warten, entfällt, wenn alle
erforderlichen Feststellungen bereits vollständig getroffen sind oder die
zivilrechtlichen Ansprüche durch Zahlung am Unfallort erfüllt oder durch schriftliches
Schuldanerkenntnis ausreichend und zweifelsfrei abgesichert sind (BayObLG v.24.06.1970 -
DAR 71, 246).
Wartepflicht besteht auch nicht, wenn sich der Unfallverursacher nur der
Strafverfolgung durch Flucht entzieht, weil Selbstbegünstigung nicht strafbar ist (OLG
Oldenburg v. 02. 07. 1968 - NJW 68, 2019).
Dagegen wurden Verstöße gegen die Wartepflicht angenommen:
- wer 15 Minuten zu später Nachtzeit wartet, bei 1500 DM Schaden, es sei denn, dass mit
feststellungsbereiten Personen nicht mehr zu rechnen ist (OLG Koblenz v. 06.02.1973 - VRS
49,180)
- wer 20 Minuten wartet bei einem Laternenschaden von 500 DM (OLG Koblenz v. 13.04.1972 -
VRS 43, 423);
- wer 45 Minuten in Stadtmitte nachts gegen 3 Uhr wartet (OLG Hamm v. 15.12.19790 - VRS
41, 28).
Da also vor Ort nicht abzusehen ist, wie vom Gericht die Wartepflicht ausgelegt wird,
sollte von der Polizei in jedem Fall Anzeige wegen des Verdachts einer Straftat gem. §
142 StGB vorgelegt werden, wenn sich ein Unfallbeteiligter nach einem Unfall vom Unfallort
entfernt hat.
[Verletzung der Vorstellungspflicht eines Unfallbeteiligten:]
Mit Beschluss vom 11. April 2018 - BGH 4 StR 583/17 haben dir
Richter des BGH entschieden, dass auch derjenige sich unerlaubt von
einer Unfallstelle entfernt, der den Unfallort erst verlässt, nachdem
alle anderen Unfallbeteiligten sich von der Unfallstelle entfernt haben.
Im Beschluss vom 11. April 2018 heißt es u.a.:
[Rn 13:] Der Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB
auch dann erfüllt, wenn der Täter den Unfallort erst nach der
feststellungsberechtigten Person verlässt, sofern er zuvor seine
Vorstellungspflicht verletzt hat (...). Diese Sichtweise widersprach
der bisherigen Rechtssprechung des obersten bayerischen Landesgerichts
(BayObLG), auf das die Richter des BGH sich in ihrem Beschluss beziehen.
Im Urteil des obersten bayerischen Landgerichts heißt es:
[Rn 15:] Nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei das
Verlassen der Unfallstelle nur strafbar, wenn sich der Unfallbeteiligte
vom Unfallort entferne, solange es ihm noch möglich sei, seine
Vorstellungspflicht gegenüber (anwesenden) feststellungsbereiten
Personen zu erfüllen. Die Vorstellungspflicht sei sinnlos, wenn der
feststellungsberechtigte Unfallgegner nicht mehr am Unfallort zugegen
sei; ein Sich-Entfernen durch den Unfallbeteiligten zu diesem Zeitpunkt
könne keine Feststellungen mehr vereiteln und sei nicht geeignet, die
Interessen der feststellungsberechtigten Person weiter zu
beeinträchtigen. Es führe daher nicht zu einer Strafbarkeit nach § 142
Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn der Täter die Unfallstelle erst nach den
feststellungsbereiten Personen verlasse. Sonst müsste ein
Unfallbeteiligter in einem solchen Fall - gegebenenfalls zeitlich
unbegrenzt - am Unfallort verharren, um sich nicht strafbar zu machen.
Allerdings könne sich noch eine Strafbarkeit gemäß § 142 Abs. 2 Nr. 2
StGB ergeben, sollten die gebotenen Feststellungen durch den
Unfallbeteiligten nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht werden
(...).
Dieser Rechtsauffassung folgten die Richter des BGH nicht.
[Rn 18:] Der Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB
setzt nicht voraus, dass der Feststellungsberechtigte noch am Unfallort
anwesend ist, wenn sich der Täter von dort entfernt. Erforderlich ist
nach dem Wortlaut nur, dass sich der Täter entfernt, „bevor“ er die
gebotenen Feststellungen ermöglicht hat. Da der Tatbestand gerade an die
Verletzung der Vorstellungspflicht anknüpft, ist das Merkmal „bevor“ so
zu verstehen, dass der Täter den Unfallort verlassen haben muss, ohne
zuvor die gebotenen Feststellungen ermöglicht zu haben (...). Damit
setzt die Vorschrift des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB ihrem Wortlaut nach
eine Verletzung der Vorstellungsplicht voraus, zu der - faktisch - ein
Sich-Entfernen hinzukommen muss (...). Hierfür ist es jedoch ohne
Bedeutung, in welcher Reihenfolge die Unfallbeteiligten den Unfallort
verlassen und ob der Täter im Zeitpunkt seines Sich-Entfernens die
Pflicht noch gegenüber einer anwesenden Person hätte erfüllen können.
[Rn 19:] Die Erfassung auch desjenigen als Täter,
der sich als Letzter vom Unfallort entfernt, entspricht dem Willen des
Gesetzgebers bei Einführung des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch das 13.
Strafrechtsänderungsgesetz vom 13. Juni 1975 (BGBl. I, S. 1349). Danach
sollten solche Verhaltensweisen pönalisiert werden, bei denen der
Schädiger »zwar pflichtgemäß gewartet, sich aber nicht als
Unfallbeteiligter zu erkennen gegeben hat« (BTDrucks. 7/2434, S. 7).
Dies ist jedoch auch der Fall, wenn der Täter so lange am Unfallort
wartet, bis sich ein zunächst anwesender feststellungsberechtigter
Unfallgegner entfernt hat. Zudem stellt die Gesetzesbegründung
ausdrücklich klar, dass sich der Unfallbeteiligte - ausnahmsweise - dann
entfernen darf, wenn sich der Unfallgegner selbst durch Unfallflucht der
Aufnahme des Unfalls entzogen hat (vgl. BTDrucks. 7/2434, S. 7); dieser
Klarstellung hätte es nicht bedurft, wenn mit dem Verlassen des
Unfallorts durch den Unfallgegner stets eine Strafbarkeit ausgeschlossen
wäre. [En01]
08 Berechtigtes oder entschuldigtes Entfernen
TOP
Gem. § 142 Abs. 2 StGB darf sich ein Unfallbeteiligter vom Unfallort entfernen, wenn
die Wartezeit abgelaufen ist oder wenn Umstände gegeben sind, die das Entfernen vom
Unfallort rechtfertigen oder entschuldigen.
Ein Unfallbeteiligter entfernt sich berechtigt, wenn das Entfernen vom Unfallort
aufgrund gesetzlicher Pflichten oder in Wahrnehmung von Rechtfertigungsgründen geboten
ist.
Rechtfertigungsgründe können sein:
- Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB (Unterlassene Hilfeleistung)
- Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB
- Beteiligte einigen sich, zu weiteren Feststellungen woanders hin zu fahren
- nahe gelegene Gaststätte (OLG Frankfurt v. 22.11.1974 - VRS 49, 23)
- auf einen Autobahnparkplatz (OLG Düsseldorf v. 22.03.1985 - JZ 85, 544).
Ein Unfallbeteiligter entfernt sich entschuldigt, wenn ihm nicht zugemutet werden kann,
eine angemessene Zeit am Unfallort zu verbleiben.
Als Entschuldigungsgründe kommen in Betracht:
- Der Unfallbeteiligte steht unter Schockeinwirkung
- Wegfahren vom Unfallort, um drohenden Tätlichkeiten zu entgehen
(BGH v. 11.10.1968 - VRS 36, 23)
Nicht berechtigt handelt z.B.,
- wer dringende geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen hat (OLG Koblenz v. 01.02.1973
- VRS 45, 33)
Verlässt ein Unfallbeteiligter gerechtfertigt bzw. entschuldigt die Unfallstelle, muss
er unverzüglich die notwendigen Feststellungen nachträglich ermöglichen.
Beispiel
A hat einen Radfahrer angefahren, der dringend ins Krankenhaus muss. Da die Unfallstelle
einsam gelegen ist, fährt A den Radfahrer zunächst ins nächste Krankenhaus. Von dort
aus benachrichtigt er telefonisch die Polizei und fährt zur Unfallstelle zurück.
Rechtslage?
In diesem Fall gehen übergeordnete Pflichten vor. Dem
Unfallverletzten muss sofort Hilfe geleistet werden. Wenn dies nur möglich ist, indem der
Verletzte sofort ins Krankenhaus gefahren wird, geht die Hilfeleistungspflicht aus § 323c
StGB der Wartepflicht aus § 142 StGB vor. Da A vom Krankenhaus aus (also unverzüglich)
die Polizei benachrichtigt hat und sofort zum Unfallort zurückgekehrt ist, kann er wegen
Unfallflucht nicht zur Verantwortung gezogen werden.
§
323c StGB
Kehrt der Unfallbeteiligte in solchen Fällen nicht unverzüglich zum Unfallort
zurück, erfüllt er den Tatbestand der Verkehrsunfallflucht durch Unterlassen. Die
Unterlassung nachträglicher Feststellungen wird rechtlich dem aktiven Tun eines
Unfallbeteiligten gleichgesetzt.
Kommt ein Unfallbeteiligter seiner Pflicht nach § 142 Abs. 2 StGB nach, hat er
wahrheitsgetreu anzugeben:
- Ort und Zeit des Unfalls,
- Angaben zur Person,
- seinen gegenwärtigen Aufenthalt,
- Standort des Unfallfahrzeuges,
- Kennzeichen und sonstige Angaben zum Fahrzeug (z.B. Halteranschrift)
- Art der Beteiligung
- Angabe, am Unfall beteiligt gewesen zu sein.
09 Schäden beim Be- oder
Entladen
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Wer beim Be- oder Entladen eines Kraftfahrzeuges
einen Schaden an einem anderen Fahrzeug verursacht und daraufhin wegfährt, begeht
Fahrerflucht. Dieser Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahr 2011 lag folgender
Sachverhalt zugrunde.
Beispiel
Ein Schrotthändler hielt mit seinem Lkw anlässlich des Sperrmülls an einem
Schrotthaufen an. Als er Schrottteile auf seinen LKW warf, fiel ihm ein Eisenteil von der
Ladefläche und beschädigt einen parkenden Pkw. Anstatt auf den Halter oder die Polizei
zu warten, warf er das Eisenteil erneut auf die Ladefläche und fuhr davon. Eine Zeugin
notierte sich das Kennzeichen und benachrichtigte die Polizei.
Verkehrsunfallflucht?
"Das Be- und Entladen von haltenden Fahrzeugen
ist ein verkehrsbezogener Teil des ruhenden Verkehrs, wenn ein innerer Zusammenhang mit
der Funktion eines Kraftfahrzeuges als Transportmittel besteht.
Der Schrotthändler habe zweifelsfrei an dem
Blechhaufen angehalten, um dem Zweck seines LKW als Transpüortmittel nachzukommen. Damit
sei auch ein Wegrutschen oder Abprallen der zu transportierenden Materialien eine
typische, sich aus dem Verkehrsvorgang ergebende Gefahr, so das OLG Köln, Az. III-i RVs
138/11)."
Die Richter folgten insoweit nicht der Einlassung
des Schrotthändlers, dass er seinen LKW geparkt und den Motor ausgestellt habe, als der
Schaden entstand.
Fahrerflucht kommt somit auch dann in Betracht, wenn
ein Fahrzeug zum Zeitpunkt des Schadenseintritts steht.
Ende des Kapitels
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StGB: Entfernen vom Unfallort
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