01
Allgemeines zur gesetzlichen Neuregelung
TOP
Durch das Gesetz zur
effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des
Strafverfahrens vom 17.08.2017 (BGBl. I S. 3202), in Kraft
getreten am 24.08.2017, wurde für bestimmte Verkehrsdelikte
eine Ausnahme von der richterlichen Anordnungskompetenz für die
Entnahme von Blutproben geschaffen und die
Anordnungskompetenz hinsichtlich der Entnahme von Blutproben
generell auf Staatsanwaltschaft und Polizei übertragen, siehe
§ 81a
Abs. 2 StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe),
Dabei handelt es sich um
die nachfolgend aufgeführten Verkehrsstraftaten:
Gleiches gilt für die
Einschränkung des Richtervorbehalts bei der Anordnung der
Entnahme einer Blutprobe für die nachfolgend aufgeführten
Verkehrsordnungswidrigkeiten:
Auch für die o.g.
Verkehrsordnungswidrigkeiten bedarf die Anordnung der Entnahme
einer Blutprobe keiner richterlichen Anordnung, wenn
bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine der
o.g. Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen worden ist, siehe
§ 46 Abs. 4 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das
Strafverfahren).
[Andere Straftaten:]
Die vereinfachten Anordnungsvoraussetzungen betreffen insoweit
nur
Hinsichtlich der Anordnung
und Entnahme von Blutproben anlässlich von Delikten, die nicht
von der Neuregelung ausdrücklich erfasst sind, bleibt es bei der
bisherigen Anordnungsregelung der grundsätzlichen Anordnung
durch einen Richter, von der nur bei Gefahr im Verzug abgewichen
werden kann.
[Hinweis:] Andere
körperliche Untersuchungen sind von dieser Neuregelung ebenfalls
nicht betroffen.
01.1
Beschuldigter einer Straftat
TOP
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) setzt grundsätzlich einen Beschuldigten
voraus, dem eine Straftat vorgeworfen werden kann.
§ 81a StPO findet aber
auch Anwendung, wenn es sich um den Betroffenen einer
Verkehrsordnungswidrigkeit handelt. Mehr dazu in der folgenden
Randnummer.
[Beschuldigter:]
Maßnahmen der Strafverfolgung richten sich grundsätzlich gegen
Personen, die im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu
haben. Sobald die Strafverfolgungsbehörden gegen einen
Tatverdächtigen strafverfolgende Maßnahmen einleiten, wird diese
Person dadurch zwangsläufig zum Beschuldigten.
Beschuldigter ist nur der
Tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigten
betrieben wird (BGH 10, 8, 12; 34, 138, 140).
Die
Beschuldigteneigenschaft setzt einen Willensakt der zuständigen
Strafverfolgungsbehörde voraus, gegen den Tatverdächtigen das
Strafverfahren betreiben zu wollen, denn der Tatverdacht für
sich allein begründet weder die Beschuldigteneigenschaft, noch
zwingt er ohne Weiteres zur Einleitung von Ermittlungen.
Dieser Tatverdacht muss
von einiger Bedeutung sein.
Nur wenn Ermittlungen
aufgrund einer Strafanzeige geführt werden, muss der Verdächtige
immer als Beschuldigter behandelt werden. Ansonsten kommt es auf
die Stärke des Tatverdachts an (BGH 37, 48).
»Nachzuweisen sind somit Tatsachen, die auf eine naheliegende
Möglichkeit der Täterschaft oder Teilnahme schließen lassen. Der
Verfolgungsbehörde steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu«.
[En01] 1
Beschuldigter im Sinne des
§ 81a StPO (Körperliche Untersuchung
des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe) ist
derjenige, gegen den auf Grund zureichender tatsächlicher
Anhaltspunkte im Sinne von
§ 152 StPO (Offizial- und
Legalitätsprinzip) ermittelt wird.
Als Beschuldigter einer
der im
§ 81a
Abs. 2 StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) aufgeführten Verkehrsstraftaten kommt nur die Person
in Betracht, die das Fahrzeug geführt hat (Fahrer).
Dazu gleich mehr.
01.2
Betroffener einer Verkehrsordnungswidrigkeit
TOP
Körperliche Untersuchungen
kommen auch im Bereich der Erforschung und Verfolgung von
Verkehrsordnungswidrigkeiten in Betracht. In den weitaus meisten
Fällen handelt es sich dabei um festgestelltes Fehlverhalten
gemäß
§ 24a StVG (0,5 Promille-Grenze).
Das OWiG verwendet den
Begriff »Betroffener« für alle Verfahrensstadien einschließlich
der Vollstreckung.
Als Betroffene einer der
im
§ 46
Abs. 4 OWiG(Anwendung der Vorschriften über das
Strafverfahren) genannten Verkehrsordnungswidrigkeiten kommt nur
die Person in Betracht, die ein Kraftfahrzeug geführt hat
(Fahrer).
Zur Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten finden die Befugnisse der StPO Anwendung,
soweit sie sich für das Ordnungswidrigkeitenverfahren eignen.
Näheres dazu enthält der
§ 46 OWiG (Anwendung der
Vorschriften über das Strafverfahren).
01.3
Führen eines Fahrzeuges - Kraftfahrzeuges
TOP
Ein Fahrzeug im
Sinne der Verkehrsstraftaten, auf die die vereinfachten
Anordnungsregelungen des
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) angewendet werden können, führt, wer ein Fahrzeug
eigenverantwortlich in Betrieb nimmt und in Bewegung setzt.
Lediglich das Anlassen des
Motors oder das Lösen der Bremsen, ohne dass das Fahrzeug in
Bewegung gesetzt wird, genügt nicht (BGHSt - VRS 76, 198).
Ein Fahrzeug führt auch,
-
wer es auf einer
Gefällstrecke abrollen lässt, damit der Motor anspringt (BGH
4 StR 55/60 v. 29.03.1960 - BGHSt 14,185)
-
wer es anschieben
lässt, um den Motor zu starten (OLG Celle v. 15.10.1964 -
NJW 65, 63)
-
bedient einer das
Gaspedal, ein anderer die Lenkung, führen beide, weil jeder
die Fahrweise beeinflusst (BGH 2 StR 240/59 v. 09.07.1959 -
BGHSt 13, 226)
-
Führer eines
Fahrzeuges ist nicht, wer gelegentlich ins Steuer greift, um
die Fahrtrichtung zu korrigieren. (OLG Hamm v. 21.04.1969 -
NJW 69, 1976).
-
Überlässt der Halter
des Fahrzeugs das Steuer einem Fahruntüchtigen, so ist nur
der Fahrer verantwortlich (eigenhändiges Delikt - BGH 4 StR
215/62 v. 27.07.1962 - BGHSt 18,6)
[Fahrzeuge im Sinne der
Verkehrsstraftaten:] In Betracht kommen Kraftfahrzeuge wie
Pkw, Lkw, Kräder, Mofas etc. aber auch Schiffe, Flugzeuge und
Ballone. Auch Fahrräder sind Fahrzeuge im Sinne der
Verkehrsstraftaten.
[Fahrradfahrer:]
Fahrräder sind aber keine Fahrzeuge im Sinne von
§ 24a StVG (0,5-Promille-Grenze) und von
§ 24c StVG
(Alkoholverbot für Fahranfänger und Fahranfängerinnen). Die o.g.
Verkehrsordnungswidrigkeiten sanktionieren nur das Führen von
Kraftfahrzeugen unter Alkoholgenuss oder Drogeneinfluss.
01.4
Verfahrenserhebliche Tatsachen
TOP
In Anlehnung an BVerfG, 2
BvR 1596/10 vom 24.2.2011, Absatz-Nr. (10), geht es im
Zusammenhang mit der Wahrheitserforschung im Sinne von
§ 81a
Abs. 2 StPO (Körperliche Untersuchung
des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe) nicht um
eine Wahrheitserforschung »um jeden Preis«.
Eines der wesentlichen
Prinzipien des Strafverfahrensrechts besteht vielmehr darin,
(...) »die Wahrheit zu erforschen, so dass sich die
Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle hierfür bedeutsamen
Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat«. [En02]
2
Durch Blutproben oder
andere körperliche Untersuchungen bzw. Eingriffe sollen
Tatsachen festgestellt werden, die für das Verfahren von
Bedeutung sind.
Verfahrenserhebliche
Tatsachen in diesem Sinne sind:
-
bei allen Straftaten,
die das Führen von Fahrzeugen unter Alkohol, Drogen oder
Medikamenteneinfluss sanktionieren, die wahrnehmbare
Tatsache, dass der Fahrer erkennbar ein Fahrzeug unter
Alkohol-, Drogen- oder Rauschmittelbeeinflussung führt: -
wahrnehmbarer Atemalkoholgeruch - lallende Sprache -
unsicherer Gang - Fahren in Schlangenlinien etc.
-
die Messwerte von
Atemalkoholmessgeräten und die von Atemalkoholtestgeräten
-
der von einem Labor
festgestellte BKA-Wert des Blutes
-
das gilt auch für
Ordnungswidrigkeiten gemäß § 24a StVG (0,5 Promille
Regelung).
01.5
Atemalkoholtest- und Atemalkoholmessgeräte
TOP
Bestehen aufgrund
wahrnehmbarer Personeneigenschaften (Atem riecht leicht nach
Alkohol, im Pkw riecht es nach Cannabis, Person hat geweitete
Pupillen etc.) Zweifel darüber, ob die mit menschlichen
Wahrnehmungsorganen »erkennbaren Tatsachen« ausreichen werden,
einen bestehenden Tatverdacht zu begründen, dann kann dieser
Person vorgeschlagen werden, sich freiwillig einem Test zu
unterziehen, von dessen Ergebnis es dann abhängen wird, ob die
Anordnung der Entnahme einer Blutprobe erforderlich ist oder
nicht.
Solche Tests setzen
Freiwilligkeit auf Seiten der Person voraus, der diese Tests
angeboten werden.
In Betracht kommen:
-
Atemalkoholtestgeräte
-
Drogentests
(Drugwhipe)
-
Urinschnelltest.
Lehnt die aufgeforderte
Person solch einen Test ab, wird der Beamte vor Ort entscheiden
müssen, ob die Entnahme einer Blutprobe in Betracht kommt.
Gleiches gilt für
Atemalkoholmessgeräte, deren Messwerte dazu geeignet sind,
gerichtsverwertbar den Nachweis einer Verkehrsordnungswidrigkeit
im Sinne von
§ 24a StVG (0,5 Promille-Grenze) zu
erbringen.
Dazu gleich mehr.
Auch die Messung des
Atemalkoholgehalts setzt Freiwilligkeit voraus.
Im Falle der Verweigerung
einer solchen gerichtsverwertbaren Messung kann nur durch die
Entnahme einer Blutprobe der Nachweis einer
Verkehrsordnungswidrigkeit im Sinne von
§ 24a StVG erbracht werden.
Der Nachweis des Vorwurfs
von Verkehrsstraftaten unter dem Einfluss von Alkohol oder
Drogen im Sinne von
§ 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr)
oder der Nachweis einer Verkehrsgefährdung gemäß
§ 315c StGB
(Gefährdung des Straßenverkehrs), kann nur durch die Entnahme
einer Blutprobe erbracht werden.
Atemalkoholmessungen sind
als Beweismittel im Strafverfahren nicht anerkannt, wohl aber im
Ordnungswidrigkeitenverfahren.
Gleiches gilt für den
Nachweis des Drogen- und Medikamentenkonsums für alle in
Betracht kommenden Verkehrsdelikte, einschließlich
§ 24a StVG
(0,5 Promille-Grenze).
[Atemalkoholmessgeräte:] In Deutschland gibt es zwei
zugelassene Atemalkoholmessgeräte der Firma Draeger, das Draeger
7110 und das Draeger 9510. Diese eichfähigen Geräte sind dazu in
der Lage, aufgrund der gemessenen Atemluft den Nachweis eines
Verstoßes gegen
§ 24a StVG (0,5 Promille-Grenze) zu
erbringen, soweit der Fahrer Alkohol getrunken hat.
Gemessen wird die
Atemalkoholkonzentration in Milligramm pro Liter Atemluft
(mg/l). Der gesetzlich festgelegte Grenzwert liegt bei 0,25
mg/l. Ein Verstoß gegen § 24a Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz
(StVG) liegt vor, wenn der Betroffene einen Atemalkoholwert von
0,25 mg/l aufweist.
Die Messwerte eines
Atemalkoholmessgerätes sind nicht dazu geeignet, den Nachweis
einer alkoholbedingten Verkehrsstraftat zu erbringen (§§ 316 und
315c StGB).
Die Messergebnisse dieses
Geräts unterliegen zudem einem Verwertungsverbot, wenn auf die
Freiwilligkeit solcher Atemalkoholmessungen nicht ausdrücklich
hingewiesen wurde.
Folgende
Gerichtsentscheidungen machen das deutlich:
AG Frankfurt
Entscheidungsdatum: 18.01.2010 Aktenzeichen: 998 OWi 2022 -
955 Js - OWi 20697/09
Bei fehlender Belehrung
über die Freiwilligkeit des Alkoholtests (hier: Alcotest 7110
Evidential) ist die Beweisverwertung verboten.
Orientierungssatz:
»Die
Teilnahme an der Messung der Atemalkoholkonzentration mit einem
Atemalkoholmessgerät kann nicht erzwungen werden, da dies eine
aktive Betätigung des Betroffenen erfordert und er nicht
verpflichtet werden kann, aktiv an der eigenen Überführung
mitzuwirken. Über die Freiwilligkeit und die Nichterzwingbarkeit
muss der Betroffene von den Ermittlungsbehörden belehrt werden.
Die Verletzung dieser Belehrungspflicht zum Atemalkoholtest hat
ein Verwertungsverbot zur Folge«. [En03] 3
Auch andere
Verfahrensfehler beim Einsatz von Atemalkoholmessgeräten können
Verwertungsverbote auslösen. Dazu gehört auch das Nichteinhalten
vorgeschriebener Wartezeiten. [En04] 4
Merksatz:
Polizeibeamte sollten so
früh wie möglich erforderliche Belehrungen vornehmen. Fairness
ist ein wesentliches Element rechtsstaatlicher Ordnung.
Entsprechende Regelungen
enthält in NRW auch der Erlass »Feststellung von Alkohol-,
Medikamenten- und Drogeneinfluss bei Straftaten und
Ordnungswidrigkeiten; Sicherstellung und Beschlagnahme von
Führerscheinen«.
Dort heißt es in der
Ziffer 2.1.1:
[Belehrung:] Vor Durchführung der Atemalkoholmessung ist die
betroffene Person ausdrücklich darüber zu belehren, dass die
Messung nur mit ihrem Einverständnis durchgeführt wird. Der
betroffenen Person ist dabei zu eröffnen, welche Straftat oder
Ordnungswidrigkeit ihr zur Last gelegt wird. Ablauf und Zweck
der Messung sind zu erläutern, und auf die Folgen einer
Weigerung oder einer nicht vorschriftsmäßigen Beatmung des
Messgerätes ist hinzuweisen. [En05] 5
Erlassregelungen sind für
Amtswalter bindend und beschränken insoweit deren Ermessen. Jede
Polizeibeamtin und jeder Polizeibeamte sollte den
»Blutprobenerlass« seines Landes kennen und sich daran halten.
01.6
Notwendige Belehrungen
TOP
Beschuldigte einer
Verkehrsstraftat aber auch die Betroffenen von
Verkehrsordnungswidrigkeiten, die körperliche Untersuchungen im
Sinne von
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) zu dulden haben, sind entsprechend zu belehren.
Belehrungspflichten
greifen bereits dann, wenn einschreitende Polizeibeamte von
einem hinreichenden Tatverdacht ausgehen können. Das ist bereits
dann der Fall, wenn die Atemluft eines Fahrzeugführers erkennbar
nach Alkohol riecht oder aber der Fahrer erkennbar unter
Drogeneinfluss steht (große Pupillen, blasse Haut etc.).
Nach erfolgter Belehrung
können Fahrzeugführer dazu aufgefordert werden, sich
zu
unterziehen.
All diese Tests setzen
Freiwilligkeit voraus.
Personen, denen solche
Tests angeboten werden, sind – weil sie das oftmals nicht wissen
– ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es ihnen freigestellt
ist, solch einen Test zu machen.
01.7
Entnahme nur durch approbierte Ärzte
TOP
Nur approbierte Ärzte sind
dazu befugt, auf der Grundlage von
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) angeordnete körperliche Untersuchungen durchzuführen.
Approbiert ist ein Arzt
dann, wenn er auf der Grundlage der Approbationsordnung für
Ärzte die dafür erforderlichen Prüfungen abgelegt hat und ihm
die Approbationsurkunde ausgehändigt wurde (§ 40 ÄApprO).
Die Approbation berechtigt
den jeweiligen Arzt zur Ausübung des ärztlichen Berufs.
Nur ein approbierter Arzt
ist dazu in der Lage, entscheiden zu können, ob eine körperliche
Untersuchung im Sinne von § 81a StPO:
-
nach den Regeln der
ärztlichen Kunst durchgeführt und erforderlichenfalls
auch
-
ohne Einwilligung des
Beschuldigten vorgenommen werden kann,
-
wenn keine Nachteile
für seine Gesundheit zu befürchten sind. [En06] 6
Nur Amtsärzte können dazu
verpflichtet werden, körperliche Untersuchungen im Sinne von §
81a StPO durchzuführen. In der polizeilichen Praxis kommt es nur
äußerst selten vor, dass ein Arzt sich weigert, eine angeordnete
Maßnahme (meist sind es Blutproben) zu entnehmen.
[Hinweis:] Wird ein
approbierter Arzt mit der Entnahme einer Blutprobe beauftragt,
geschieht dies auf der Grundlage von
§ 163 StPO (Aufgaben
der Polizei im Ermittlungsverfahren). Bei dem Arzt handelt es
sich um einen Sachverständigen, der in dieser Eigenschaft um die
Vornahme einer Handlung ersucht wird, die besonderen
medizinischen Sachverstand voraussetzt. Die Verpflichtung für
einen Arzt, eine Blutprobe zu entnehmen, ergibt sich nicht aus
§ 81a StPO(Körperliche Untersuchung
des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe).
Nur ein Amtsarzt ist dazu
verpflichtet, eine Blutprobe zu entnehmen. Andere Ärzte können
die Entnahme verweigern. In der Praxis verweigern nur sehr
wenige Ärzte die Entnahme von Blutproben.
02
Blutprobenentnahme anlässlich von Verkehrsdelikten
TOP
Die Entnahme einer
Blutprobe zur Ermittlung des Blutalkoholgehalts oder der
Konzentration anderer berauschender Mittel zur Ermittlung der
Fahrtüchtigkeit im Straßenverkehr stellt in der Praxis den
Hauptanwendungsfall des
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) dar.
[Aufgabe der Polizei:]
Im Zusammenhang mit der Anordnung und Durchführung der
Entnahme einer Blutprobe ist festzustellen, dass es nur Aufgabe
der Polizei sein kann:
-
die Entnahme einer
Blutprobe anzuordnen, wenn die dafür erforderlichen
Voraussetzungen gegeben sind
-
die Person an die
Stelle zu verbringen, wo die Blutprobe durch einen
approbierten Arzt entnommen werden kann (Krankenhaus oder
Polizeiwache, wenn dort ein Arzt verfügbar ist)
-
erforderlichenfalls
auch die Entnahme der Blutprobe zu erzwingen, wenn der
Beschuldigte die Entnahme seines Blutes durch einen
approbierten Arzt nicht dulden will.
[Entnahme von Blut:]
Die Entnahme des Blutes ist einem approbierten Arzt vorbehalten.
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind nicht dazu befugt,
Blutproben zu entnehmen.
02.1
Blutproben bei Verkehrsstraftaten
TOP
Wie bereits erörtert,
setzt die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe einen
Beschuldigten voraus, dem tatbestandliches Handeln einer im
§ 81a StPO (Körperliche Untersuchung des
Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe) genannten
Verkehrsstraftaten vorgeworfen werden kann.
Nachfolgend aufgeführte
Verkehrsstraftaten kommen in Betracht:
Bei Personen, die auf der
Grundlage der o.g. Straftatbestände als Beschuldigte in Anspruch
genommen werden können, muss es sich um Personen handeln, die
ein Fahrzeug geführt haben, denn dieses
Tatbestandsmerkmal ist für alle o.g. Delikte wesentlich.
[Beispiel:] Im Stadthafen von Münster sind zwei Motorboote
zusammengestoßen. Als die Polizei am Unfallort eintrifft,
lamentieren die beiden Bootsführer miteinander und weisen sich
gegenseitig die Schuld zu. Grund dafür ist der hohe Sachschaden
an beiden Booten. Einer der Bootsführer steht erkennbar unter
Alkoholeinwirkung. Rechtslage?
Tatbestandlich im Sinne
von
§ 315a StGB (Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und
Luftverkehrs) handelt u.a., wer ein Schiff führt, obwohl er
infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer
berauschender Mittel oder infolge geistiger oder körperlicher
Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen und
dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde
Sachen von bedeutendem Wert gefährdet.
Bei Motorbotten handelt es
sich offensichtlich um Schiffe im Sinne von
§ 315a StGB
(Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs). Hier ist es
zu einem Zusammenstoß gekommen, der großen Sachschaden ausgelöst
hat. Einer der Bootsführer steht erkennbar unter
Alkoholeinwirkung. Diese verfahrenserhebliche Tatsache ist durch
die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe zu sichern. Die
Blutentnahme ist einem approbierten Arzt vorbehalten.
[Beispiel:] Ein Pkw-Fahrer ist mit hoher Geschwindigkeit bei
Rot in einen Kreuzungsbereich eingefahren und hat dabei einen
Unfall verursacht. Wie durch ein Wunder hat es nur geringen
Sachschaden gegeben. Beim Eintreffen am Unfallort stellt der
Beamte, der den Unfall aufnimmt, fest, dass der Fahrer des
unfallverursachenden Pkw leicht nach Alkohol riecht. Der Mann
lehnt es ab, einen Alkoholtest zu machen. Der Beamte ordnet
deshalb die Entnahme einer Blutprobe an, die durch einen
approbierten Arzt im nahegelegenen Krankenhaus entnommen wird.
Rechtslage?
Der Fahrer, der den Unfall
verursacht hat, steht leicht unter Alkoholeinwirkung. Da
anlässlich von Verkehrsunfällen ein BKA-Wert von 0.3 Promille
ausreicht, um relative Fahruntauglichkeit begründen zu können,
ist davon auszugehen, dass bereits leichter Alkoholgeruch in der
Atemluft ausreicht, verfahrensbedeutsam zu sein. Außerdem hat
der Fahrer grob verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt
nicht beachtet und dadurch Leib oder Leben eines anderen
Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Er
hat insoweit tatbestandlich im Sinne von
§ 315c Abs. 1 Nr. 1
und Nr. 2a StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs) gehandelt.
Da es zu einem Schaden gekommen ist, bleibt nur noch
festzustellen, dass ein größerer Schaden eingetreten ist, als
der, den das Gesetz fordert, denn ein eingetretener Schaden ist
im Sinne von § 315c StGB eine realisierte Gefahr, also ein
»Mehr«, als eigentlich gefordert.
[Beispiel:] Anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle
wird der Fahrer eines Pkw kontrolliert. Als der Fahrer die
Fahrertür öffnet, nimmt der Beamte starken Alkoholgeruch wahr.
Der Beamte bittet den Mann, auszusteigen. Dieser kann sich kaum
auf den Beinen halten. Rechtslage?
Hier handelt es sich
offensichtlich um eine Trunkenheitsfahrt im Sinne von
§ 316
StGB (Trunkenheit im Verkehr). Der Fahrer hat im
öffentlichen Straßenverkehr unter der Einwirkung von Alkohol ein
Fahrzeug geführt. Da der Beamte gegen den Fahrer zum Zweck der
Strafverfolgung tätig wird, wird dieser dadurch zum
Beschuldigten. Die Höhe der Blutalkoholkonzentration, die dem
Fahrer vorgeworfen werden kann, kann anlässlich der
Beweisführung im zu erwartenden Strafverfahren nur mittels
Blutprobe festgestellt werden.
[Hinweis:] Bei den
nachfolgend aufgeführten Verkehrsstraftaten handelt es sich um
Delikte, die im
§ 81a
Abs. 4 StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) nicht benannt sind.
§ 315d StGB (Verbotene
Kraftfahrzeugrennen) stellt u.a. die Teilnahme an verbotenen
Kraftfahrzeugrennen unter Strafe. Diesen Straftatbestand gibt es
erst seit dem 30.09.2017. Da diejenigen, die an einem nicht
erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnehmen, ebenfalls Fahrzeuge
führen und es sich bei dieser Straftat ebenfalls um eine
Verkehrsstraftat handelt, kann unter den vereinfachten
Anordnungsregelungen des
§ 81a
Abs. 4 StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) angeordnet werden, wenn teilnehmende Fahrzeugführer
an solch einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen unter
Alkoholeinwirkung teilnehmen bzw. nachweisbar teilgenommen
haben, denn die unter Alkoholeinwirkung stehenden Fahrer handeln
gleichzeitig auch tatbestandlich im Sinne von
§ 316 StGB
(Trunkenheit im Verkehr).
[Verkehrsunfallflucht:]
Auch bei einer Verkehrsunfallflucht im Sinne von
§ 142 StGB
(Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort)
handelt es sich um eine Verkehrsstraftat. Werden flüchtige
Fahrzeugführer von der Polizei noch im öffentlichen
Straßenverkehr angetroffen und stehen die Tatverdächtigen unter
Alkoholeinwirkung, dann kann den jeweiligen Fahrzeugführern
nicht nur Verkehrsunfallflucht im Sinne von § 142 StGB, sondern
auch eine Straftat im Sinne von
§ 316 StGB bzw.
§ 315c
StGB vorgeworfen werden, so dass die vereinfachten
Anordnungsregelungen ebenfalls greifen.
02.2
Absolute Fahruntüchtigkeit
TOP
Die absolute
Fahruntüchtigkeit wird ab einer bestimmten Menge von Alkohol im
Blut festgestellt.
-
Führer von Pkw, Lkw,
Bussen etc. sind absolut fahruntüchtig, wenn der BKA-Wert
der Blutprobe einen Wert von 1,1 Promille oder
darüber hinausgehend ergibt
-
Radfahrer sind absolut
fahruntüchtig, wenn der BKA-Wert 1,6 Promille oder
mehr beträgt
-
Gleiches gilt für
Fahrer von Elektrorollstühlen
-
Schiffsführer sind
absolut fahruntüchtig mit 1,7 Promille im Blut.
Eine alkoholbedingte
absolute Fahruntüchtigkeit hat immer zu Folge, dass es sich um
eine Verkehrsstraftat handelt. Neben einer Geldstrafe ist mit
einem Fahrverbot zu rechnen.
Das gilt auch für
Radfahrer, die im Besitz von Führerscheinen sind.
[Hinweis:] Wer ein
Fahrzeug führt, das gefährliche Güter transportiert, unterliegt
ebenfalls einem absoluten Alkoholverbot, siehe
§ 28 Nr. 13
GGVSEB (Pflichten des Fahrzeugführers im Straßenverkehr).
Missachtungen dieses absoluten Alkoholverbots sind jedoch
Ordnungswidrigkeiten im Sinne von
§ 37 Abs. 1 Nr. 20
Buchstabe m GGVSEB (Ordnungswidrigkeiten). Strafbar machen
sich Fahrer von Transporten mit gefährlichen Gütern erst dann,
wenn sie 1,1 Promille oder mehr im Blut haben.
Verursachen sie unter Alkoholeinfluss einen Unfall, dann reichen
0,3 Promille aus.
[Absolute
Fahruntüchtigkeit und Drogen:] Anders als bei Alkohol gibt
es für andere Betäubungsmittel keine wissenschaftlichen
Grenzwerte, ab denen man von einer absoluten Fahruntüchtigkeit
sprechen kann. Bei Fahrzeugführern, die unter Drogeneinfluss
stehen, wird immer von relativer Fahruntüchtigkeit ausgegangen.
Das ist aber nur dann möglich, wenn Ausfallerscheinungen als
feststellbare und zu begründende Tatsachen gegeben sind, um eine
Strafbarkeit im Sinne einer Verkehrsstraftat begründen zu
können.
02.3
Alkohol in Verbindung mit Drogen
TOP
Bei Fahrzeugführern, die
sowohl Alkohol als auch Drogen konsumiert haben, hat das nicht
zur Folge, dass dadurch der BKA-Wert im Blut herabgesetzt wird,
also absolute Fahruntüchtigkeit bereits gegeben ist, wenn der
BKA-Wert unter 1,1 Promille liegt. Werden
Betäubungsmittel zusätzlich zu Alkohol konsumiert und liegt der
BKA-Wert unter 1,1 Promille, so hat das nicht zur Folge, dass
aufgrund des Drogenkonsums nunmehr von absoluter
Fahruntüchtigkeit ausgegangen werden kann.
[LG Gießen 2013:]
In einem Beschluss des LG Gießen vom 12.09.2013, Az.: 7 Qs
141/13 heißt es in den Leitsätzen:
LG Gießen · Beschluss vom
12. September 2013 · Az. 7 Qs 141/13
-
1. Auch wenn der für
Alkohol existierende Grenzwert von 1,1 Promille nur knapp
unterschritten und andere berauschende Mittel (THC,
Amphetamin) nachgewiesen sind, ist Fahruntüchtigkeit nur bei
Feststellung konkreter Ausfallerscheinungen gegeben.
-
2. Allein der Verstoß
gegen § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG (Besitz von Haschisch während
der Fahrt) begründet nicht die Annahme charakterlicher
Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen
eines Kraftfahrzeugs (§ 69 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB).
Im Beschluss heißt es:
[Rn. 6:] Nach § 316
StGB macht sich strafbar, wer infolge des Genusses alkoholischer
Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht mehr in der
Lage ist, sein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr sicher zu
führen. Dies ist - unabhängig von der Fahrweise - stets der
Fall, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein
Blutalkoholgehalt von 1,1‰ oder mehr einwirkt. Liegt die
alkoholische Beeinflussung allerdings unter diesem Wert oder
wirken auf den Fahrer »andere berauschende Mittel« ein, müssen
weitere Tatsachen hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass die
Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge Enthemmung
sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so
erheblich herabgesetzt ist, dass er nicht mehr in der Lage ist,
sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und
zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen,
sicher zu führen (...). Dies gilt auch
dann, wenn wie im vorliegenden Fall mit 0,82 ‰ der für Alkohol
existierende Grenzwert von 1,1‰ nicht erreicht ist und auf den
Fahrer neben dem Alkohol zusätzlich andere berauschende Mittel
–vorliegend 2,6 µg/L THC und 28 µg/L Amphetamin – einwirken.
Das Zusammenwirken von Alkohol und Drogen
kann zwar das Reaktionsvermögen des Beschuldigten und seine
Fähigkeit, die Verkehrslage richtig einzuschätzen,
beeinträchtigen. Auch eine Überschätzung des eigenen
Leistungsvermögens kommt in Betracht. Dies allein genügt jedoch
nicht zum Nachweis der Fahruntüchtigkeit. Erforderlich ist
vielmehr die Feststellung konkreter Ausfallerscheinungen wie
etwa eine regelwidrige, unbesonnene, sorglose oder leichtsinnige
Fahrweise oder die Beeinträchtigung der Körperbeherrschung, die
sich beispielsweise im Stolpern oder Schwanken beim Gehen
manifestieren kann (...). Solche Ausfallerscheinungen
lagen hier jedoch nicht vor. Gemäß dem ärztlichen
Untersuchungsbericht vom 12.07.2013 war der Beschuldigte bei
klarem Bewusstsein, die Nasen-Finger-Prüfung absolvierte er
sicher. Soweit im Untersuchungsbericht und im Polizeivermerk von
undeutlicher/verwaschener Sprache sowie trüben, glänzenden und
geröteten Augen die Rede ist, reichen diese allgemeinen Merkmale
des Drogenkonsums nicht aus, um eine Fahruntüchtigkeit
anzunehmen (...). [En07] 7
02.4
Relative Fahruntüchtigkeit
TOP
Unterhalb der Schwelle zur
absoluten Fahruntüchtigkeit gibt es die relative
Fahruntüchtigkeit. Sie kann schon ab einer BAK von 0,3
Promille vorliegen. Der Betroffene muss darüber hinaus
jedoch durch rauschbedingte Ausfallerscheinungen auffällig
werden. Als Ausfallerscheinungen kommen zum Beispiel in
Betracht:
-
Fahren in
Schlangenlinien
-
Unsicherer Gang
-
Lallende Sprache
-
Unangebrachtes Lachen
-
Lethargisches
Verhalten
-
Geringe
Pupillenreaktion
-
Einschlafen während
der Kontrolle etc.
-
Alkoholempfindlichkeit, etwa bei Jugendlichen, alten
Menschen oder Antialkoholikern
-
Übermüdung
-
Schwacher körperlicher
Konstitution.
Relative Fahruntüchtigkeit
in Verbindung mit Ausfallerscheinungen ist immer als Straftat zu
bewerten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es zu einem
Verkehrsunfall gekommen ist.
Weist ein Fahrzeugführer
beispielsweise einen Blutalkoholwert von 0,5 Promille auf, zeigt
aber keinerlei Ausfallserscheinungen, und ist er auch nicht in
einen Verkehrsunfall verwickelt, ist dies nicht strafbar.
Es handelt sich dann aber um eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a
StVG bzw. (§ 24a StVG).
-
Ordnungswidrig im
Sinne von
§ 24a StVG (0,5-Promille-Grenze) handelt,
wer einen BKA-Wert von 0,5 bis 1,09 Promille im Blut hat und
keine Hinweise auf relative Fahruntüchtigkeit gegeben sind.
-
Ordnungswidrig im
Sinne von
§ 24c StVG (Alkoholverbot für Fahranfänger
und Fahranfängerinnen) handelt, wer über einen BKA-Wert von
0,2 oder mehr Promille verfügt. In einem umfangreichen
Beschluss hat das Kammergericht Berlin mit Beschluss vom
15.02.2016 – 3 Ws (B) 538/15 – 122 Ss 142/15 entschieden,
dass eine Wirkung im Sinne des § 24c Abs. 1 Alt. 2 StVG erst
ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille oder
einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l angenommen
werden kann. [En08] 8
[BGH 2008:] Was
unter relativer Fahruntüchtigkeit zu verstehen ist, hat der BGH
mit Urteil vom 15. April 2008 (BGH 4 StR 639/07) wie folgt
definiert:
1. Relative
Fahruntüchtigkeit (genauer: Fahrunsicherheit) setzt voraus, dass
die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge
geistiger und/oder körperlicher Mängel so weit herabgesetzt ist,
dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr
eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger
Verkehrslagen, sicher zu steuern (...). Es ist nicht unbedingt
erforderlich, dass sich die körperlichen bzw. geistigen Mängel
in Fahrfehlern ausgewirkt haben. Vielmehr können unter Umständen
zum Nachweis der Fahrunsicherheit auch sonstige Auffälligkeiten
im Verhalten des Fahrzeugführers genügen, sofern sie konkrete
Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung seiner
psychophysischen Leistungsfähigkeit, insbesondere seiner
Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit geben (...). [En09]
9
So auch das OLG Köln, das
im August 2010 darüber zu entscheiden hatte, was unter
Fahrfehlern zu verstehen ist, die im Zusammenhang mit Alkohol
relative Fahruntüchtigkeit auslösen können.
In dem Beschluss des OLG
Köln vom 03.08.2010, Aktenzeichen: III-1 RVs 142/10, 1 RVs
142/10 hatten die Richter darüber zu entscheiden, ob einem
alkoholisierten Kraftfahrzeugführer relative Fahruntüchtigkeit
vorgeworfen werden kann, wenn er polizeiliche Anhaltezeichen
nicht befolgt.
Bei dem Angeklagten
befanden sich zum Tatzeitpunkt 0,98 Promille Alkohol im Blut.
Im Leitsatz des
Beschlusses heißt es:
Die
Annahme relativer Fahruntüchtigkeit kann nicht allein
darauf gestützt werden, dass der Kraftfahrzeugführer den Zeichen
der Polizei zum Einfahren in eine Verkehrskontrollstelle nicht
Folge leistet und weiterfährt.
Aus den Gründen:
Das Amtsgericht hat es -
ohne nähere Begründung - als Ausfallerscheinung bewertet, dass
es dem Angeklagten nicht gelungen sei, auf die Zeichen/Weisungen
des Polizeibeamten rechtzeitig zu reagieren und in die
Kontrollstelle einzufahren.
Dieser Rechtsmeinung
folgten die Richter des OLG Köln nicht.
Im Urteil heißt es
diesbezüglich:
[Rn. 19:]
Beachtlich im Sinne des Nachweises relativer Fahruntüchtigkeit
ist ein Fahrfehler nämlich nur, wenn das Gericht die Überzeugung
gewinnt, der Fahrfehler wäre dem Angeklagten ohne alkoholische
Beeinträchtigung nicht unterlaufen. Dabei kommt es nicht darauf
an, wie sich irgendein nüchterner Kraftfahrer oder der
durchschnittliche Kraftfahrer ohne Alkoholeinfluss verhalten
hätte, sondern festzustellen ist, dass der Angeklagte sich ohne
Alkohol anders verhalten hätte.
[Rn. 22:] Das
Verhalten eines durchschnittlichen nüchternen Kraftfahrers ist
nur mittelbar von Bedeutung.
Je seltener ein bestimmter
Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkommt und je häufiger er
erfahrungsgemäß von alkoholisierten Fahrern begangen wird, desto
eher wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre auch
dem Angeklagten im nüchternen Zustand nicht unterlaufen.
Andererseits haben Fehlleistungen, die erfahrungsgemäß auch
nüchternen Fahrern bisweilen unterlaufen, geringeren Indizwert.
[En10] 10
Im Ergebnis gingen die
Richter davon aus, dass es sich beim Nichtbefolgen polizeilicher
Weisungen nicht um eine Fahrweise handelt, die häufiger von
alkoholisierten, als von nüchternen Fahrzeugführern begangen
wird.
Die Folge dieser Bewertung
war, dass das Urteil der Vorinstanz aufgehoben wurde.
Im Zusammenhang mit
Fahrfehlern alkoholisierter Radfahrer müssen folglich, analog
zum Fahrverhalten von Kraftfahrzeugführern, Fahrfehler
festgestellt werden, die ausreichend stichhaltig sind, um
relative Fahruntüchtigkeit begründen zu können.
02.5
Blutproben bei Radfahrern
TOP
Gegen alkoholisierte
Radfahrer kommen Strafverfahren im Zusammenhang mit den
nachfogend aufgeführten Verkehrsstraftaten
in Betracht:
Die absolute
Fahruntüchtigkeit eines Radfahrers ist gegeben, wenn in seinem
Blut eine Alkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr
nachgewiesen wird.
Ausfallerscheinungen sind
bei solchermaßen hohen BAK-Werten für tatbestandliches Handeln
nicht erforderlich, obwohl bei solchen Werten
Ausfallerscheinungen eher die Regel als die Ausnahme sind.
Die Tat ist ein Vergehen
und wird von Amts wegen verfolgt.
Der Grenzwert der
absoluten Fahruntüchtigkeit von Radfahrern setzt sich zusammen
aus 1,5 Promille, bei dem jeder Radfahrer mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit fahruntüchtig ist und einem
Sicherheitszuschlag von 0,1 Promille (OLG Hamm vom 19.11.1991
Az.:3 Ss 1030/91).
Bei absoluter
Fahruntüchtigkeit kommt es nicht darauf an, ob der Täter
tatsächlich noch sicher fahren kann.
02.6
Keine Anwendung von § 24a StVG auf Radfahrer
TOP
Wegen einer
Ordnungswidrigkeit im Sinne von
§ 24a StVG
(0,5-Promille-Grenze) können Radfahrer nicht belangt werden.
Dieser Ordnungswidrigkeitentatbestand setzt das Führen eines
Kraftfahrzeugs voraus. Gleiches gilt für
§ 24c StVG
(Alkoholverbot für Fahranfänger und Fahranfängerinnen).
Beide bußgeldbewehrten
Tatbestände setzen voraus, dass ein Kraftfahrzeug unter
Alkohol oder Drogeneinfluss geführt wird.
03
Anordnung von Blutproben bei Beschuldigten, § 81a
Abs. 2 StPO
TOP
Durch die Neuregelung der
Anordnungsbefugnis anlässlich erforderlich werdender
Blutentnahmen im Zusammenhang mit bestimmten Verkehrsdelikten
wurde die bisher bestehende vorrangige richterliche
Anordnungskompetenz gestrichen und insoweit auf
Staatsanwaltschaft und Polizei übertragen, wenn bestimmte
Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine der im § 81a Abs. 4
StPO aufgeführten Verkehrsstraftaten gegeben ist.
In der BT-Drucks. 18/12785
vom 20.06.2017 heißt es diesbezüglich:
»Es wird [...]
hervorgehoben, dass die Ausnahme der in der Vorschrift [gemeint
ist § 81 Abs. 4 StPO = AR] genannten Straßenverkehrsdelikten von
dem Erfordernis einer vorherigen richterlichen Anordnung eine
grundsätzlich gleichrangige Anordnungskompetenz von
Staatsanwaltschaft und Polizei zur Folge hat. Die
Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft steht dem nicht
entgegen und bleibt davon unberührt. Der Staatsanwaltschaft
bleibt es unbenommen, in Ausübung ihrer Sachleitungsbefugnis
generalisierende Vorgaben zu machen, Fallgruppen zu bilden oder
sich die Entscheidung im Einzelfall gänzlich vorzubehalten. Dies
entspricht der derzeit gängigen Praxis in den Bundesländern und
ermöglicht eine ebenso flexible Handhabung in der Zukunft«
(Seite 46). [En11] 11
[Hinweis:] Es
bleibt insoweit abzuwarten, wie die Neuregelung in den
jeweiligen Zuständigkeitsbereichen im Sinne von
§ 143 Abs. 1
GVG umgesetzt werden. Für die Verfolgung von Straftaten ist
danach die Staatsanwaltschaft zuständig, die »im Bezirk des
Gerichts […], für das sie bestellt sind« begangen wurden.
Soweit keine
entsprechenden Vorgaben der zuständigen Staatsanwaltschaft
erlassen wurden, können Ermittlungspersonen der
Staatsanwaltschaft die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe
selbst anordnen.
04
Anordnung von Blutproben bei Betroffenen, § 46 OWiG
TOP
Durch die gesetzliche
Neuregelung sind Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft,
also alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten der Dienstgrade
Polizeikommissar/Kriminalkommissar bis einschließlich
Polizeioberrat/Kriminaloberrat in NRW dazu befugt, Blutproben
anzuordnen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen,
dass eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 24a und 24c des
Straßenverkehrsgesetzes begangen worden ist, siehe
§ 46 Abs.
4 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren)
[Bestimmte Tatsachen:]
Im Zusammenhang mit Verkehrsordnungswidrigkeiten dürfte die
Anordnung der Entnahme einer Blutprobe unvermeidbar sein, wenn
der Betroffene freiwillig zu seiner Entlastung sich einem
Atemalkoholtest unterzieht und dieser Test einen Wert anzeigt,
der ordnungswidriges Handeln belegt. Dann ist, wenn ein
Atemalkoholmessgerät, also ein Gerät, das den Atemalkoholwert
beweissicher und gerichtsverwertbar feststellen kann, nicht zur
Verfügung steht, die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe
unvermeidbar.
Verweigert ein erkennbar
unter Alkoholeinwirkung stehender Fahrzeugführer, einen
Alkoholtest durchzuführen, ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu
entscheiden, ob zum Beispiel die Intensität wahrnehmbarer
alkoholisierter Atemluft ausreicht, eine Blutprobe anzuordnen.
Je stärker die Atemluft nach Alkohol riecht, möglicherweise in
Verbindung mit anderen alkoholbedingten Auffälligkeiten, um so
unvermeidlicher wird die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe
durch einen approbierten Arzt.
05
Verbringen des Beschuldigten zur Blutentnahme
TOP
Der Verzicht auf eine
grundsätzlich erforderliche richterliche Anordnung, die auf der
Grundlage von § 81a alt StPO, außer bei Gefahr im Verzug
vor der Anordnung der Maßnahme einzuholen war, hat die
Frage aufgeworfen, ob dieser Verzicht verfassungsrechtlich
zulässig ist.
Allein der Hinweis, dass
ein kurzfristiger Freiheitsentzug, der unvermeidbar ist, um
einen Beschuldigten/Betroffenen zur Blutentnahme zum Krankenhaus
oder zur Polizeistation zu fahren und ihn dort dann auch noch so
lange festzuhalten, bis die Blutprobe von einem approbierten
Arzt entnommen wurde, ist keine ausreichende Begründung dafür,
dass für den damit verbundenen kurzfristigen Freiheitsentzug auf
eine vorherige richterliche Anordnung generell verzichtet werden
kann, denn in Anlehnung an
Art. 104 GG setzen
Freiheitsentziehungen grundsätzlich eine richterliche Anordnung
voraus.
Dies gilt nur dann nicht,
wenn es sich um kurzfristige Freiheitsentziehungen handelt,
deren Eingriffstiefe zudem gering ist, weil Personen zum
Beispiel nicht in eine Gewahrsamszelle eingeschlossen werden,
oder von vornherein abzusehen ist, dass der Eingriff in die
Bewegungsfreiheit so kurzfristig sein wird, dass nicht einmal im
Entferntesten der Gedanke aufkommt, die Person einem Richter
vorführen zu müssen.
Wie dem auch immer sei.
Feststellungen sind
Behauptungen, die es zu beweisen gilt. Es ist somit notwendig,
nachvollziehbar zu klären, weshalb anlässlich von Blutproben auf
eine zuvor einzuholende richterliche Anordnung verzichtet werden
kann, insbesondere auch im Hinblick auf die damit verbundene
kurzfristige Freiheitsentziehung.
05.1
Kurzfristiger Freiheitsentzug ohne richterliche Anordnung
TOP
Im Zusammenhang mit der
Durchführung angeordneter Blutproben ist es unvermeidbar, den
Beschuldigten bzw. den Betroffenen so lange festzuhalten, bis
die Maßnahme durchgeführt wurde.
[Annexkompetenz:]
Dabei handelt es sich um eine ungeschriebene Rechtsfolge einer
Befugnis, hier im Sinne von
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe), die aufgrund des Sachzusammenhangs unvermeidbar ist
(Sistierung zum Arzt, um die Blutentnahme überhaupt durchführen
zu können). Warum auch aus verfassungsrechtlich überzeugenden
Gründen auf eine zuvor einzuholende richterliche Anordnung
verzichtet werden kann, soll am nachfolgenden Beispiel
illustriert werden.
[Beispiel:] Anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle
wird ein Fahrzeugführer kontrolliert, der deutlich erkennbar
unter Alkoholeinfluss steht. Nachdem die einschreitenden Beamten
den Fahrer darüber belehrt haben, was sie ihm vorwerfen und ihn
im Anschluss daran auffordern, in den Streifenwagen zu steigen,
weigert sich der Mann beharrlich, der Aufforderung nachzukommen.
Nur unter Anwendung körperlicher Gewalt ist es den Beamten
möglich, den Mann in den Streifenwagen zu setzen. Da der Mann
sich wehrt, werden ihm Handschellen angelegt. Beim Eintreffen im
Krankenhaus hat sich der Mann wieder beruhigt, so dass die
Entnahme der Blutprobe durch den Arzt problemlos erfolgen kann.
Rechtslage?
Offensichtlich ist, dass
der unter Alkoholeinfluss stehende Fahrzeugführer unter
Anwendung von Gewalt zum Arzt verbracht werden musste. Dass es
sich dabei um eine mit unmittelbarem Zwang durchgesetzte
Freiheitsentziehung handelt, ist offenkundig.
-
Bei der Sistierung
einer Person in einem Streifenwagen gegen deren Willen
handelt es sich immer um eine Freiheitsentziehung,
denn die liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt
gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort
aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich
zugänglich ist. Wenn es Zweck des Eingriffs ist, die
körperliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen nach jeder
Richtung hin zu beschränken, indem er an einem eng
umgrenzten Ort festgehalten wird (ein Streifenwagen ist
solch ein Ort), dann ist somit von einer Freiheitsentziehung
auszugehen. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen des
unmittelbaren Zwangs zur Vollstreckung von
Verhaltensaufforderungen, wie das zum Beispiel bei einer
Vorführung zum Zweck der medizinischen Untersuchung der Fall
ist.
-
Freiheitsentziehungen
unterliegen nur dann einem grundsätzlichen Richtervorbehalt,
wenn es sich dabei um eine Maßnahme handelt, die die Polizei
zu dem Zweck trifft, um eine Person einzusperren, sie also
in Gewahrsam zu nehmen oder sie vorläufig festzunehmen.
-
Erfolgt die
Freiheitsentziehung im Rahmen des Festhaltens einer
Person z.B. auf der Grundlage von Polizeirecht zum Zweck der
ID-Feststellung oder auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Maßnahmen zur Identitätsfeststellung), dann sieht das
Gesetz für diese kurzfristigen Freiheitsentziehungen
einen Richtervorbehalt nicht vor. Wenn, wie das zum Beispiel
bei einer Blutprobe der Fall ist, die Gesamtdauer der
Maßnahme aber kaum mehr als 60 Minuten in Anspruch nimmt,
dann sieht das Gesetz für die Dauer dieser kurzen
Festhaltezeit eine grundsätzliche richterliche Anordnung
nicht vor. Nur dann, wenn im Rahmen einer längeren Dauer
des Festhaltens eine Richtervorführung notwendig
wird, ist ein richterlicher Beschluss zu erwirken, siehe
§ 163c StPO (Freiheitsentziehung zur
Identitätsfeststellung).
[Gutachten der
Expertenkommission 2015 zur gesetzlichen Neuerung:]
Bezüglich der Abschaffung des Richtervorbehalts heißt es in dem
o.g. Gutachten u.a. wie folgt:
»Auch die Eilbedürftigkeit
könne kein entscheidendes Kriterium für die Abschaffung eines
Richtervorbehaltes sein, weil es nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts Aufgabe der Gerichte sei, ihre
Erreichbarkeit im Regelfall auch außerhalb der Dienstzeiten zu
gewährleisten. Demgegenüber ist zu
berücksichtigen, dass eine vorherige richterliche Kontrolle nur
bei besonders schweren Grundrechtseingriffen im Grundgesetz
vorgeschrieben und verfassungsrechtlich geboten ist. Die
körperliche Untersuchung des Beschuldigten erreicht diese
Eingriffstiefe – anders als etwa die Freiheitsentziehung oder
die Durchsuchung von Wohnungen – regelmäßig nicht. Der
Richtervorbehalt für Blutprobenentnahmen ist folglich nach dem
Grundgesetz nicht zwingend geboten. Die sachgerecht durch einen
Arzt vorgenommene Entnahme einer Blutprobe ist weitgehend
schmerzfrei und stellt nur einen geringfügigen Eingriff dar. Mit
der durch die Einholung einer richterlichen Entscheidung
verbundenen zeitlichen Verzögerung kann häufig sogar ein
weitergehender Grundrechtseingriff als durch den eigentlichen
körperlichen Eingriff verbunden sein, weil
der Beschuldigte in diesem Zeitraum regelmäßig festgehalten
werden muss.« [En12] 12
Bei dem unbestimmten
Rechtsbegriff des »Festhaltens« handelt es sich um eine
Sprachfigur, die der Gesetzgeber im Zusammenhang mit Befugnissen
verwendet, auf deren Grundlage die Identität einer Person
festgestellt werden kann. Im
§ 163b StPO (Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung) heißt es diesbezüglich:
»Der
Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität
sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten
festgestellt werden kann.«
Es ist unbestritten, dass
eine Person, die festgehalten werden darf, auch an einen
anderen Ort verbracht werden kann, wenn dort die Identität
sowohl für die Person, deren Identität festgestellt werden soll,
als auch für die einschreitenden Polizeibeamten gefahrloser
durchgeführt werden kann.
§ 163b StPO findet auch
Anwendung, wenn zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten eine
Person zur Feststellung ihrer Identität sistiert, das heißt zur
Feststellung ihrer Personalien zur Polizeiwache gebracht werden
muss.
Mit anderen Worten:
Immer dann, wenn
Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte aufgrund gegebener Sachlage
vor Ort die Entnahme einer Blutprobe anordnen, ist von folgender
Sachlage auszugehen:
Eine Blutentnahme ohne
ID-Feststellung ist undenkbar, denn die Identität des
Beschuldigten/Betroffenen ist unverzichtbar, um die Blutprobe
überhaupt zuordnen zu können. Wird vor Ort die Entnahme einer
Blutprobe angeordnet, dann liegt es sowohl im Interesse der
davon betroffenen Person als auch im Interesse der Polizei, die
Identität des Beschuldigten/Betroffenen an einem Ort
festzustellen, in dem das weitgehend störungsfrei möglich ist.
Es wäre auch wirklichkeitsfremd, am Kontrollort all die
personenbezogenen Daten zu erheben, die für das einzuleitende
Strafverfahren zu erheben sind, zumal nicht vorausgesehen werden
kann, wie sich der Beschuldigt/Betroffene
am Kontrollort verhält, wenn ihm bewusst wird, was hier gerade
tatsächlich mit ihm geschieht.
Und da Polizeibeamte nach
pflichtgemäßem Ermessen entscheiden können, wann und wo die
Identität der Person - zur Vermeidung von Widerstandshandlungen
etc. - festgestellt wird, sollte das immer im Krankenhaus oder
an dem Ort geschehen, an dem die Blutprobe durch einen
approbierten Arzt entnommen wird.
Diese Vorgehensweise
entspricht nicht nur im vollen Umfang dem geltenden Recht, sie
entspricht auch notwendigen Aspekten der Eigensicherung, denn
nach der Entnahme der Blutprobe besteht kein Grund mehr, sich
dagegen eine Maßnahme zur Wehr zu setzen, die bereits
abgeschlossen ist.
Mit anderen Worten:
Das Verbringen einer
Person zur Entnahme der Blutprobe lässt sich über den
unbestimmten Rechtsbegriff des »Festhaltens« auch im
Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in die
Bewegungsfreiheit der Person verfassungsrechtlich sauber lösen,
denn eine Sistierung auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Maßnahmen zur Identitätsfeststellung) setzt keine
richterliche Anordnung voraus.
Die Befugnis lässt sowohl
zum Zweck der Erforschung und Verfolgung von Straftaten als auch
zum Zweck der Erforschung und Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten ein Verbringen der Person zum Zweck ihrer
Identitätsfeststellung (Sistierung) zu, wenn die Voraussetzungen
für ein »Festhalten« gegeben sind.
Wie bereits festgestellt,
ist kann ein Festhalten im Sinne von
§ 163b StPO eine
Freiheitsentziehung im Sinne von
Art. 104 Abs. 2 GG sein,
insbesondere dann, wenn die Sistierung erzwungen wird. Dabei
handelt es sich jedoch weder um eine vorläufige Festnahme noch
um eine Maßnahme, deren Ziel es ist, eine Person »einzusperren«
um sie umgehend einem Richter vorführen zu können.
Für das Festhalten einer
Person zum Zweck der Feststellung ihrer Identität sieht das
Gesetz deshalb keinen Richtervorbehalt für die Anordnung
solch einer Sistierung vor. Wie mit »festgehaltenen« Personen zu
verfahren ist, regelt
§ 163c StPO (Freiheitsentziehung
zur Identitätsfeststellung).
[Hinweis:] Da gemäß
§ 46 Abs. 3 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das
Strafverfahren) im Rahmen der Erforschung und Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten »Verhaftung und
vorläufige Festnahme« vom Gesetz nicht zugelassen sind,
auf der Grundlage von
§ 46 Abs. 4 OWiG aber zur
Erforschung und Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte ebenfalls dazu befugt sind,
die Entnahme von Blutproben anzuordnen, ist ein Verbringen zur
Entnahme der Blutprobe in ein Krankenhaus oder zur
Polizeistation ebenfalls in Anlehnung an die oben skizzierte
Vorgehensweise verfassungsrechtlich unbedenklich.
Mit anderen Worten:
Festzustellen ist, dass
auch aus verfassungsrechtlicher Sicht der Verzicht auf den
Richtervorbehalt im Zusammenhang mit der Anordnung von
Blutproben zulässig ist. In Kenntnis der oben vorgetragenen
Argumente reicht es dann aus, festzustellen, dass es sich bei
der kurzfristigen Freiheitsentziehung, die im Zusammenhang mit
der Durchführung der Entnahme einer Blutprobe unvermeidbar ist,
um eine Annexkompetenz handelt. Es reicht dann auch aus, diese
Annexkompetenz ausschließlich im Zusammenhang mit
§ 81a StPO
(Körperliche Untersuchung des
Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe) zu
verwenden.
05.2
Zwangsweise Durchsetzung der Maßnahme
TOP
Zwang ist im Strafrecht
nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen der
strafprozessualen Maßnahmen greifen, die mit Zwang durchgesetzt
werden können.
Dann muss es sich bei der
durchzusetzenden Maßnahme aber um eine sogenannte Zwangsbefugnis
handeln.
Zwangsbefugnisse der StPO
sind u.a.:
-
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung)
-
§ 94 StPO
(Beschlagnahme)
-
§ 102 StPO
(Durchsuchung)
-
§ 127 Abs. 2 StPO (Vorläufige
Festnahme)
-
§ 163b StPO (Maßnahmen
zur Identitätsfeststellung) soweit Zwang erforderlich wird,
um eine festgehaltene Person durchsuchen oder zur
Polizeiwache bringen zu können.
Die mit Zwang
durchsetzbaren Befugnisse der StPO sind von solchen
StPO-Maßnahmen zu unterscheiden, die Zwang entweder generell
verbieten (Vernehmung) oder nicht mit Zwang durchgesetzt werden
können. Das ist zum Beispiel bei den Maßnahmen der Fall, die
ohne Wissen des Beschuldigten durchgeführt werden:
-
Großer Lauschangriff
-
Kleiner Lauschangriff
-
Observation
-
Telefonüberwachung
etc.
Bei diesen Maßnahmen ist
eine zwangsweise Durchsetzung einfach nicht denkbar.
Körperliche Untersuchungen
- und somit auch Blutproben - können jedoch zwangsweise
durchgesetzt werden.
Weigert sich der
Beschuldigte, von der Polizei zur Blutentnahme in ein
nahegelegenes Krankenhaus gebracht zu werden, dann kann auch das
Verbringen der Person zum Krankenhaus mit Zwang durchgesetzt
werden, wenn der Beschuldigte trotz erfolgter Zwangsandrohung
keine Anstalten macht, in den Streifenwagen einzusteigen.
Weigert sich der
Beschuldigte, die Blutentnahme zu dulden, kann auch die Duldung
der Blutentnahme erzwungen werden.
[Wichtig:] Weigert
sich der Beschuldigte/Betroffene der Anordnung Folge zu leisten,
sollte er eindringlich darauf hingewiesen werden, dass, sollte
er sich aktiv gegen die Durchsetzung der Maßnahme wehren, er
dadurch tatbestandlich im Sinne des
§ 113 StGB
(Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) handelt.
[Beispiel:] Ein stark unter Alkoholeinfluss stehender
Fahrzeugführer weigert sich, einem Arzt die Entnahme von Blut
aus seiner Ellenbogenvene zu ermöglichen. Trotz mehrfacher
Aufforderung durch die Polizei, die Blutentnahme zu dulden,
zeigt sich der Mann weiterhin uneinsichtig. Er wird daraufhin
von den Polizeibeamten über die möglichen Konsequenzen in
Kenntnis gesetzt. Als er sich weiterhin uneinsichtig zeigt, wird
Zwang angedroht und durchgesetzt. Unter Anwendung unmittelbaren
körperlichen Zwangs wird der Mann im Rahmen des Möglichen so
weit »stillgelegt«, dass es dem Arzt möglich ist, die
Blutentnahme durchzuführen. Rechtslage?
In diesem Beispiel wird
Zwang eingesetzt, um die Entnahme von Blut durch einen Arzt zu
ermöglichen. Die Befugnis zur Zwangsanwendung ergibt sich
unmittelbar aus
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe). Es wird davon ausgegangen, dass Zwang nur in der
Intensität angewendet wurde, die erforderlich war, den
Widerstand der Person brechen zu können.
[Reaktionstests:]
»Reaktionstests im Rahmen der ärztlichen Untersuchung« können
und dürfen nicht zwangsweise durchgesetzt werden.
Durchgesetzt werden kann nur die Duldung der Entnahme einer
Blutprobe.
Über die Art und Weise der
Zwangsanwendung enthält die StPO keine Regelungen. Diesbezüglich
gelten die einschlägigen Zwangsregelungen der
Länderpolizeigesetze.
06
Blutproben und Drogen
TOP
Tatbestandlich und
vorwerfbar sowohl im Sinne der Verkehrsstraftaten als auch im
Sinne
§ 24a StVG (0,5-Promille-Grenze) handelt auch
derjenige Beschuldigte bzw. Betroffene, der unter dem Einfluss
von anderen berauschenden Mitteln (Drogen) nicht dazu in der
Lage ist, ein Fahrzeug (Verkehrsstraftat) bzw. ein Kraftfahrzeug
(Verkehrsordnungswidrigkeit) sicher zu führen.
Als einzige Möglichkeit,
den gerichtsfesten Nachweis zu erbringen, dass ein
Beschuldigter/Betroffener ein Fahrzeug/Kraftfahrzeug unter dem
Einfluss von berauschenden Mitteln geführt hat, dürfte als Folge
der gesetzlichen Neuregelung der Anordnungsbefugnis im
§ 81a StPO (Körperliche Untersuchung des
Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe) nunmehr nur
noch die Blutprobe in Betracht kommen, da das Gesetz nur für
diese Maßnahme vereinfachte Anordnungsregelungen enthält.
Wie dem auch immer sei.
[Verkehrsstraftaten:]
Da es bei Rauschmitteln (Drogen) keine verbindlichen
Grenzwerte gibt, muss bei einer Verurteilung wegen Trunkenheit
im Verkehr gemäß § 316 StGB immer der Nachweis geführt werden,
dass der Fahrzeugführer aufgrund des Genusses berauschender
Mittel fahruntüchtig gewesen ist. Erforderlich ist demnach ein
drogenbedingter Fahrfehler oder eine sonstige erkennbare
Ausfallerscheinung.
Allein auf der Grundlage
allgemeiner Merkmale, die die Vermutung nahelegen, dass Drogen
konsumiert wurden, wie das zum Beispiel der Fall ist, wenn der
Fahrer gerötete Augen hat, undeutlich oder fahrig spricht, über
erweiterte Pupillen verfügt, auffallend blass ist, oder lacht,
wenn das gar nicht angemessen ist, reicht für sich allein
gesehen nicht aus, um von einer relativen Fahruntüchtigkeit
ausgehen zu können.
Maßgebliche
Entscheidungsgrundlage für die Annahme der Anordnung der
Entnahme einer Blutprobe sind somit Feststellungen der
kontrollierenden Polizeibeamten, die solch einen Verdacht
rechtfertigen, wenn die Person im öffentlichen Straßenverkehr
angetroffen wird.
[Hinweis:] Der
einmalige oder gelegentliche Cannabiskonsum ohne Bezug zum
Straßenverkehr rechtfertigt keine Untersuchungsanordnung.
Im Zusammenhang mit der
Anordnung der Entnahme von Blutproben zur Feststellung
berauschender Mittel (Drogen) im Blut sollten in Betracht
kommende Personen außerdem immer so belehrt werden, wie das
Gesetz das vorsieht.
Es entspricht nicht dem
Willen des Gesetzgebers, wenn Personen auf eine Art und Weise
belehrt werden, die diese mehr oder weniger selbst dazu
motiviert, sich selbst zu belasten.
Es gilt immer zu bedenken,
dass der Grundsatz »nemo tenetur« zum Wesen des deutschen
Rechtsstaats gehört.
06.1
Nemo tenetur
TOP
Der Grundsatz, dass sich
niemand selbst beschuldigen und belasten muss, ist ein
elementarer Bestandteil des deutschen Strafrechts. Dieser
Grundsatz ist Bestandteil des
§ 136 Abs. 1 Satz 1 StPO (Erste
Vernehmung). Dort heißt es sinngemäß, dass der Beschuldigte
darauf hinzuweisen ist, dass es ihm nach dem Gesetz freisteht,
sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache zu
äußern.
Im Übrigen ist niemand
dazu verpflichtet, sich aktiv an der Beweisführung gegen sich
selbst zu beteiligen.
[BVerfG 1995:] Das
BVerfG hat mit Beschluss vom 07.07.1995 (2 BvR 326/92) dazu wie
folgt Position bezogen:
»In
der Literatur wird das Verbot des Selbstbezichtigungszwangs als
eine (...) gebotene Wertentscheidung zugunsten des
Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten gewürdigt, hinter dem
das Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit zurücktreten
müsse; die Menschenwürde gebiete, dass der Beschuldigte frei
darüber entscheiden könne, ob er als Werkzeug zur Überführung
seiner selbst benutzt werde«. [En13] 13
06.2
Verwertungsverbote nur bei Vorsatz
TOP
Ein Verwertungsverbot wird
durch einen Verstoß gegen
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) regelmäßig nicht begründet (BGHSt 24, 125, 128).
Beispiele:
-
Bei unterlassenen
Belehrungen über die Freiwilligkeit der Mitwirkung bei
bestimmten Untersuchungen
-
Entnahme durch einen
Assistenzarzt, eine Krankenschwester oder einen Sanitäter.
Nur bei bewusster
Täuschung bzw. immer dann, wenn gegen die Grundsätze der
»Gerechtigkeit oder Billigkeit« verstoßen wird, sind die
Beweisergebnisse unverwertbar (BGHSt 24, 125, 131).
[Beispiel:] Ein Polizeibeamter weiß, dass der Arzt, der die
Blutprobe entnimmt, ein Assistenzarzt ist. Gegenüber dem
Beschuldigten behauptet er aber, dass der Arzt zur Entnahme
befugt sei. Rechtslage?
Wer wissentlich gegen
Grundsätze der Gerechtigkeit und Billigkeit verstößt, handelt
rechtswidrig. Solchermaßen gewonnene beweiserhebliche Tatsachen
unterliegen einem Verwertungsverbot.
Irrt ein Polizeibeamter
hingegen über die Arzteigenschaft, so steht auch die Anwendung
körperlichen Zwangs der Verwertbarkeit nicht entgegen (BGHSt 24,
125, 132).
Gleiches gilt für die
irrtümliche Annahme, dass zur Zeit der Anordnung ein
richterlicher Beschluss nicht erwirkt werden konnte. Das gilt
aufgrund der aktuellen Gesetzeslage nunmehr nur noch für die
Anordnung von Blutproben anlässlich von Straftaten, bei denen es
sich nicht um im
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) selbst benannte Verkehrsdelikte handelt.
06.3
Legal Highs und § 81a StPO
TOP
Im November 2017 wurde das
»Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG)« letztmalig
aktualisiert. Im
§ 3 Abs. 1 NpSG (Unerlaubter
Umgang mit neuen psychoaktiven Stoffen) heißt es nunmehr:
(1) Es ist verboten, mit
einem neuen psychoaktiven Stoff Handel zu treiben, ihn in den
Verkehr zu bringen, ihn herzustellen, ihn in den, aus dem oder
durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu verbringen, ihn zu
erwerben, ihn zu besitzen oder ihn einem anderen zu
verabreichen.
Strafbar macht sich im
Sinne von
§ 4 NpSG (Strafvorschriften) nur derjenige, der
mit einem solchen Stoff
Im Gegensatz zu anderen
berauschenden Mitteln wurden die High Highs bisher noch nicht in
die Anlage zu § 24a StVG Aufgenommen. Insoweit kann festgestellt
werden, dass sich hinsichtlich des Führens von Fahrzeugen unter
dem Einfluss von High Highs bisher eigentlich nichts wesentlich
geändert hat.
[Wirkung von High
Highs:] Die Wirkung dieser Substanzen beruht weitgehend auf
Berichten von Konsumenten. Je nach Zusammensetzung der
Mischungen erzeugen die frei verkäuflichen »Badesalze« oder
»Kräutermischungen« Rauschzustände, die mit dem Konsum von
Cannabis vergleichbar sind oder amphetaminähnlichen
Rauschzuständen bzw. stark belebenden Wirkungen bis hin zu
halluzinogenen Wirkungen auslösen. In Notfallstationen von
Krankenhäusern ist bekannt, dass der Konsum von »Legal Highs«
sogar lebensgefährliche Reaktionen im Körper auslösen können.
Bereits durch den zusätzlichen Konsum geringer Mengen Alkohol
kann die Wirkung dieser Mittel erheblich »gesteigert« werden.
[Beispiel:] Polizeibeamte halten einen Pkw-Fahrer an, der
ihnen durch seine Fahrweise aufgefallen ist (Schlangenlinien,
Bremsen, Beschleunigen etc.). Im Pkw befinden sich drei weitere
Personen. Alle sind »bestens gelaunt«, als die Polizei den
Fahrer anhält (lautes Kichern, Witze über die Polizei, die
nichts Besseres zu tun hat, etc.). Hinweise, dass der Fahrer
unter Alkoholeinwirkung steht, sind nicht feststellbar.
Auffällig sind hingegen die weit geöffneten Pupillen des
Fahrzeugführers, was, in Verbindung mit den anderen erkennbaren
Ausfallerscheinungen den Verdacht nahelegt, dass der Fahrer
unter dem Einfluss von anderen berauschenden Mitteln steht. Der
Fahrer ist nicht damit einverstanden, einen Drogenschnelltest zu
dulden. Lachend sagt er zu den Beamten: »Unsere gute Laune
beruht auf dem Konsum von Badesalz, und jetzt möchte ich gern
weiter fahren.« Die einschreitenden Polizeibeamten halten das
für keine gute Idee. Aufgrund des bestehenden Tatverdachts
ordnen sie die Entnahme einer Blutprobe an und beschlagnahmen
den Führerschein des Fahrers, da dieser den nicht freiwillig
herausgibt. Rechtslage?
Tatsache ist, dass
aufgrund der festgestellten Ausfallerscheinungen, die für
Fahrzeugführer typisch sind, die Alkohol oder andere
berauschende Mittel zu sich genommen haben, ein begründeter
Verdacht besteht, dass dem Fahrer eine Trunkenheitsfahrt im
Sinne von § 316 StGB vorgeworfen werden kann. Besteht ein
solcher Verdacht, sind Polizeibeamte aufgrund des
Legalitätsprinzips dazu verpflichtet, diese Straftat von Amts
wegen zu verfolgen.
[Anordnung der Entnahme
einer Blutprobe:] Aufgrund des bestehenden Tatverdachts, der
auch von einiger Bedeutung ist, ist somit auf der Grundlage von
§ 81a StPO die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen. Dafür ist
eine richterliche Anordnung nicht mehr erforderlich. Würden die
Beamten davon Abstand nehmen, könnte ihnen, nach der hier
vertretenen Rechtsauffassung »Strafvereitelung im Amte«
vorgeworfen werden (§ 258 StGB iVm § 258a StGB).
[Beispielfortschreibung:] Nachdem das Analyseprotokoll der
entnommenen Blutprobe den Beamten vorliegt, die die Blutprobe
angeordnet haben, stellen diese erstaunt fest, dass keinerlei
verbotene Substanzen im Blut des Pkw-Fahrers festgestellt werden
konnten. Rechtslage?
Nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung steht somit amtlich fest, dass es sich bei dem
festgestellten auffälligen Fahrverhalten weder um eine
Ordnungswidrigkeit, noch um eine Straftat handelt, zumal auch
der Rückgriff auf das Arzneimittelgesetz nicht in Betracht
kommen kann, weil diese Praxis vom Europäischen Gerichtshof für
unzulässig erklärt worden ist.
[Urteil des
Europäischen Gerichtshofs:] Mit Urteil vom 10.7.2014
(C-181/14) hat der EuG entschieden, dass lediglich Wirkstoffe,
die therapeutischen Zwecken dienen, unter das Arzneimittelgesetz
fallen.
Das ist bei »Legal Highs«
offensichtlich nicht der Fall.
[Pressemeldung:]
»In Deutschland gab es in den letzten Jahren immer wieder
Strafverfahren, in denen vor allem gegen die Hersteller und
Verkäufer von synthetischen Cannabinoiden wegen Verstoßes gegen
das Arzneimittelgesetz ermittelt wurde. Das war offenkundig aber
nur eine Notlösung der Strafverfolger, denn das an sich
naheliegendere Betäubungsmittelgesetz ist erst anwendbar, wenn
die Wirkstoffe ausdrücklich auf der »schwarzen Liste« stehen.
Die Entscheidung des EuG wird zahlreiche laufende Strafverfahren
in Deutschland beeinflussen, die sich teilweise auch gegen
einfache Konsumenten richten. Die Betroffenen können erhoffen,
dass sich die Vorwürfe gegen sie als gegenstandslos erweisen
werden.« [En14] 14
[Hinweis:] Die
Konsumenten von Legal Highs
bleiben weiterhin straffrei, auch wenn sie durch
Legal Highs sozusagen »zugedröhnt«
sind.
06.4
Cannabis und § 24a StVG
TOP
Gemäß
§ 24a Abs. 2 StVG
(0,5 Promille-Grenze) handelt ordnungswidrig, wer unter der
Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten
berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt.
In der
Anlage zu § 24a
StVG sind die Stoffe aufgeführt, deren Konsum eine
Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 24a StVG zur Folge hat. Danach
ist das Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr nach
vorausgegangenem Konsum von:
-
Cannabis
Tetrahydrocannabinol (THC)
-
Heroin Morphin
-
Morphin Morphin
-
Cocain Cocain
-
Cocain Benzoylecgonin
-
Amfetamin Amfetamin
-
Designer-Amfetamin
Methylendioxyamfetamin (MDA)
-
Designer-Amfetamin
Methylendioxyethylamfetamin (MDE)
-
Designer-Amfetamin
Methylendioxymetamfetamin (MDMA)
-
Metamfetamin
Metamfetamin
verboten.
Tatbestandsmäßig ist nur
das Fahren unter Wirkung eines der in der Anlage zu § 24a Abs. 2
StVG genannten berauschenden Mittel. Andere Rauschmittel, die
dort nicht aufgeführt sind, werden von
§ 24a StVG
(0,5-Promille-Grenze) nicht erfasst.
[Beispiel:] Während der Fahrer eines Zivilstreifenwagens der
Polizei auf »Ampelgrün« wartet, beobachtet sein Kollege auf dem
Beifahrersitz, wie ein rechts neben dem Streifenwagen haltender
Fahrzeugführer sich genüsslich einen Joint anzündet und den
Qualm durch das Seitenfenster in Richtung Zivilstreifenwagen
bläst, dabei den Polizeibeamten in zivil freundlich anlächelt
und erneut einen tiefen Zug aus der »Tüte« nimmt. Die gute Laune
des Fahrzeugführers vergeht jedoch schlagartig, als er von der
Polizei angehalten wird. Rechtslage?
[Hinweis:] Soweit
keine Ausfallerscheinungen festgestellt werden, kann nur vom
Verdacht einer Verkehrsordnungswidrigkeit im Sinne von
§ 24a StVG
(0,5 Promille-Grenze) ausgegangen werden.
Der Nachweis dieser
Verkehrsordnungswidrigkeit ist nur mittels Entnahme einer
Blutprobe möglich.
Ausschlaggebend für den
Nachweis der begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit ist im
Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis allein der durch
Blutanalyse ermittelte THC-Grenzwert (Cannabis-Wirkstoff
Tetrahydrocannabinol - 1 ng/ml).
[Vorgabe BVerfG:]
In Anlehnung an den Beschluss des BVerfG vom 21.12. 2004 - 1 BvR
2652/03, kommt ein Fehlverhalten nicht in Betracht, wenn der
THC-Wert weniger als 0,5 ng/ml beträgt. [En15]15
[Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts:] Mit Urteil vom 23. Oktober 2014
(BVerwG 3 C 3.13) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)
entschieden, dass die Voraussetzungen für die »Einziehung eines
Führerscheins« gegeben sind, wenn ein bestimmter Wert des
Cannabis-Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) überschritten,
wird. Das ist der Fall, wenn durch eine Blutanalyse 1,0
Nanogramm (oder mehr) pro Milliliter Blut nachgewiesen werden. [En16]
16
Der festgesetzte Wert (1,0
Nanogramm pro Milliliter Blut = 1 ng/ml) ist so gering, dass
bereits wenige Züge an einem Joint ausreichen, diesen Grenzwert
zu überschreiten.
[Hinweis:]
Anlässlich festgestellter Verkehrsordnungswidrigkeiten wird die
Fahrerlaubnis des Betroffenen von der Polizei anlässlich
festgestellter Verkehrsordnungswidrigkeiten weder
sichergestellt, noch beschlagnahmt.
Anlass des BVerwG-Urteils
war eine verfügte »Einziehung der Fahrerlaubnis« durch die
zuständige Verwaltungsbehörde (Straßenverkehrsbehörde) im
Zusammenhang mit der Verfolgung eines Verstoßes gegen § 24a
StVG.
Die Polizei beschlagnahmt
Führerscheine in der Regel nur dann, wenn der Verdacht einer
Verkehrsstraftat gegeben ist.
[Alkohol versus
Cannabis:] Vergleicht man den für Cannabis geltenden
Grenzwert von 1,0 ng/ml mit dem entsprechenden Alkoholgrenzwert
von 0,5 Promille, dann ist eine Diskrepanz offensichtlich (0,5
Promille Alkohol beeinflussen die Fahruntüchtigkeit weitaus
mehr, als das bei einem THC-Wert von 1,0 Nanogramm pro
Milliliter Blut der Fall ist).
Dazu heißt es in Urteil
des BVerwG:
»Eine unterschiedliche
Behandlung von Alkohol und (sonstigen) Drogen ist begründet. Der
Umstand, dass sich bei einzelnen Drogen - anders als beim
Alkohol - die Dosis-Wirkungs-Beziehung derzeit nicht
quantifizieren lässt, ist so gewichtig, dass er die
unterschiedliche Regelung sachlich rechtfertigt.« [En17]
17
[Entnahme einer
Blutprobe zum Zweck der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit:]
Um zum Zweck der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten die
Entnahme einer Blutprobe anordnen zu können, müssen die
Voraussetzungen des
§ 81a StPO (Körperliche Untersuchung
des Beschuldigten; Blutproben) gegeben sein. Da die Befugnisse
der StPO auch bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (§ 46 OWiG – Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren)
greifen, ist § 81a StPO entsprechend anzuwenden.
Auf das o.g.
Beispiel angewendet bedeutet das:
Der Fahrer wurde auf
frischer Tat betroffen, als er sich einen Joint anzündete. Er
ist somit Betroffener (Beschuldigter) im Sinne von § 81a StPO.
Festzustellende Tatsache ist in diesem Fall der THC-Wert, der in
Anlehnung an das Urteil des BVerwG vom 23. Oktober 2014 bereits
dann als Nachweis ordnungswidrigen Fehlverhaltens im Sinne von §
24a StVG anzusehen ist, wenn dieser Wert 1,0 Nanogramm pro
Milliliter Blut erreicht. Es kann davon ausgegangen werden, dass
bereits wenige »Züge an einem Joint« ausreichen, diesen
niedrigen Wert zu erreichen. Der Nachweis ordnungswidrigen
Verhaltens setzt die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe und
die Analyse des Blutes auf THC voraus.
[Anordnung der Entnahme
einer Blutprobe:] Die Anordnung steht nicht mehr unter
Richtervorbehalt. Sie kann von jeder Polizeibeamtin und jedem
Polizeibeamten angeordnet werden, siehe § 46 Abs. 4 OWiG
(Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren).
[Geeignet,
erforderlich, verhältnismäßig:] Eine
Verkehrsordnungswidrigkeit im Sinne von § 24a StVG kann nur
durch die Ermittlung des THC-Wertes nachgewiesen werden. Dazu
ist die Entnahme einer Blutprobe erforderlich. Diese Maßnahme
ist sowohl geeignet als auch erforderlich, da keine andere
Nachweismöglichkeit verfügbar ist. Der Eingriff ist auch
verhältnismäßig, weil es sich bei der Blutentnahme um einen
medizinisch ungefährlichen und harmlosen Eingriff handelt. [En18]18
[Beschluss des BVerfG
aus 2004:] Das oben zitierte Urteil des BVerwG basiert auf
einem Beschluss des BVerfG aus dem Jahre 2004, der anlässlich
eines Beschwerdeverfahrens (Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §
24a StVG) vom Verfassungsgericht erlassen wurde. [En19]
19
In dem Beschluss heißt es
u.a.:
§ 24 a Abs. 2 Satz 1 und 2
StVG dient, wie ausgeführt, der Erhöhung der Sicherheit im
Straßenverkehr und damit dem Schutz insbesondere von Leib, Leben
und Eigentum der Verkehrsteilnehmer. Das sind besonders
wichtige, auch verfassungsrechtlich geschützte (...)
Rechtsgüter. (...). Die mit § 24 a Abs. 2 Satz 1 und 2 StVG
verbundene Belastung ist mit Rücksicht darauf grundsätzlich
angemessen und für den, der sich ordnungswidrig verhält,
zumutbar.
An anderer Stelle heißt
es:
Allerdings kann die
Regelung (...) auch zu Ergebnissen führen, die dem Einzelnen
nicht mehr zugemutet werden können und vom Gesetzgeber auch
nicht gewollt sind. Nach § 24 a Abs. 2 StVG handelt
ordnungswidrig nur, wer »unter der Wirkung« eines der in der
Anlage zu der Vorschrift genannten berauschenden Mittel wie
Cannabis im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche
Wirkung soll (...) vorliegen, wenn im Blut eine in dieser Anlage
genannte Substanz - bei Cannabis THC - nachgewiesen wird. Diese
Regelung beruht auf der Annahme, dass bei einem solchen Nachweis
die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit
des Verkehrsteilnehmers gegeben ist, der durch das Verbot des §
24 a Abs. 2 StVG entgegengewirkt werden soll (...). Dabei ist
der Gesetzgeber ausdrücklich davon ausgegangen, dass »die
Wirkungs- und Nachweisdauer bei den einzelnen Mitteln
übereinstimmt«, weil die Feststellung der in der Anlage
genannten Substanzen im Blut im Hinblick darauf, dass sie dort
nur wenige Stunden nachgewiesen werden könnten, eine Aussage
über den erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen
Einnahme des berauschenden Mittels und Blutentnahme gestatte
(vgl. BT-Drucks 13/3764, S. 5). Solange im Blut Substanzen eines
der vom Gesetzgeber genannten Rauschmittel nachweisbar sind,
sollte also nach dieser Vorstellung angenommen werden können,
dass dieses Rauschmittel auf den Kraftfahrzeugführer so
einwirkt, dass die der Ordnungswidrigkeitenvorschrift zugrunde
liegende Annahme einer abstrakten Verkehrsgefährdung
eingetroffen und eine Sanktionierung nach dieser Vorschrift
gerechtfertigt ist.
Das wird in der
Wissenschaft zum Teil erst bei Konzentrationen von über 1 ng/ml
THC angenommen (...).
[Ergebnis:]
Sinngemäß heißt es in der Rn. 28 des o.g. Beschlusses, dass für
den Nachweis einer Verkehrsordnungswidrigkeit im Sinne von § 24a
StVG ein THC-Wert von weniger als 0,5 ng/ml nicht
ausreicht. [En28] 28
Der Grenzwert beträgt 1
ng/ml THC.
07
Sonderfälle der Blutprobenentnahme
TOP
In Anlehnung an den
»Blutprobenerlass« der Polizei des Landes NRW sind die
Amtswalter dieses Bundeslandes gehalten, in folgenden Fällen auf
die Anordnung der Entnahme von Blutproben zu verzichten:
In der Ziffer 3.3.1 des
Erlasses heißt es:
Eine körperliche
Untersuchung und eine Blutentnahme sollen grundsätzlich
unterbleiben:
-
bei den
Privatklagedelikten des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB), der
Beleidigung (§§ 185 bis 189 StGB) und der einfachen
Sachbeschädigung (§ 303 StGB);
-
bei leichten Vergehen
und bei Ordnungswidrigkeiten, mit Ausnahme der unter Nr.
3.2.1 genannten Regelfälle, es sei denn, dass Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass der Täter oder die Täterin
schuldunfähig oder vermindert schuldfähig sein könnte (§§
20, 21, 323 a StGB, § 12 Abs. 2, § 122 OWiG;
-
wenn im Rahmen der
Atemalkoholprüfung bei vorschriftsmäßiger Beatmung des
elektronischen Atemalkoholprüfgerätes (Vortest- oder
Atemalkoholmessgerät) weniger als 0,25 mg/1 (oder 0,5
Promille) angezeigt werden;
-
wenn im Rahmen des
Vortests oder der entsprechend Nr. 2.1 durchgeführten
Atemalkoholmessung weniger als 0,55 mg/1 (oder 1,1 Promille)
angezeigt werden und lediglich der Verdacht einer
vorsätzlichen oder fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit
nach § 24 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StVG besteht. [En31] 31
07.1
Blutentnahme bei Schwerstverletzten
TOP
Nach dem Wortlaut von
§ 81a
Abs. 1 StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) sind Blutproben und andere zu Untersuchungszwecken
vorgenommene körperliche Eingriffe nur zulässig, wenn kein
Nachteil für die Gesundheit des Beschuldigten zu befürchten ist.
Gleiches gilt gemäß § 81c Abs. 2 StPO zu Gunsten anderer
Personen in Bezug auf Untersuchungen zur Feststellung der
Abstammung und die Entnahme von Blutproben.
Kann zum Beispiel aus
medizinischer Sicht die Entnahme einer Blutprobe von einem
Schwerverletzten nicht verantwortet werden, darf eine Blutprobe
nicht entnommen werden.
[Beispiel:] Ein Fahrzeugführer wird im Anschluss an einen
von ihm verursachten Verkehrsunfall mit lebensgefährlichen
Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Im Pkw des
Fahrzeugführers finden Beamte eine Schnapsflasche und deutliche
Hinweise darauf, dass der Fahrer während der Fahrt Alkohol
getrunken hat. Auch der behandelnde Arzt gibt an, dass der
Schwerverletzte stark nach Alkohol riecht. Der Arzt fügt aber
hinzu, dass es aus medizinischer Sicht nicht zu verantworten
sei, zum Nachweis der Alkoholeinwirkung dem Fahrer eine
Blutprobe zu entnehmen. Rechtslage?
In solchen Fällen hat die
Anordnung der Entnahme einer Blutprobe zu unterbleiben. Der Arzt
ist jedoch aufzufordern, seine Wahrnehmung als Befund
festzuhalten, so dass dieser Befund dem Vorgang beigefügt werden
kann.
07.2
Blutentnahme bei Leichen
TOP
Soweit die Personen eines
unnatürlichen Todes gestorben sind (Verkehrsunfall, Verbrechen,
ungeklärte Todesursache), befindet sich die Leiche automatisch
in einem besonderen staatlichen Gewaltverhältnis, denn die
Bestattung einer solchen Leiche ist nur mit dem Einverständnis
der örtlichen Staatsanwaltschaft zulässig (Freigabe zur
Bestattung).
Bis zur Freigabe befindet
sich die Leiche in einem amtlichen Verwahrungsverhältnis.
Im so genannten
»Blutprobenerlass« des Innenministers NRW heißt es
diesbezüglich:
»Bei Leichen sind
Blutentnahmen zur Beweissicherung nach § 94 StPO zulässig«.
An anderer Stelle heißt
es:
»Bei Leichen ist das Blut
in der Regel aus einer durch Einschnitt freigelegten
Oberschenkelvene zu entnehmen. Dabei ist darauf zu achten, dass
keine Spuren vernichtet werden. Falls bei einer Obduktion die
Blutentnahme aus der Oberschenkelvene nicht möglich ist, müssen
die Entnahmestelle und die Gründe für ihre Wahl angegeben
werden«. [En20] 20
08
Blutproben anlässlich anderer Straftaten
TOP
Anlässlich anderer
Straftaten außer Verkehrsdelikten kommt die Entnahme von
Blutproben nur in Betracht, wenn sie der Entlastung des Täters
dienen können.
Gemäß § 20 StGB
(Schuldfähigkeit wegen seelischer Störungen) handelt u.a. ohne
Schuld, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften
seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen
oder nach dieser Einsicht zu handeln. Eine krankhafte seelische
Störung kann auch in Fällen schwerer Vergiftungen durch Alkohol-
oder Drogenmissbrauch gegeben sein.
Art und Grad der Alkohol-
bzw. Rauschmittelbeeinflussung kann somit auch für die
Feststellung der Schuldfähigkeit bzw. Schuldunfähigkeit von
verfahrenserheblicher Bedeutung sein.
[Kapitaldelikte:]
Bei Tätern, die zeitnah zu Kapitaldelikten von der Polizei
ermittelt werden können, und die erkennbar unter dem Einfluss
von Alkohol oder anderer Rauschmittel stehen, ist es
erforderlich, die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen. Gleiches
gilt auch für Körperverletzungsdelikte, die mindestens als
mittelschwere Delikte eingestuft werden können, was bei einer
gefährlichen Körperverletzung mit entsprechend eingetretenen
Verletzungen anzunehmen ist.
[Delikte geringer und
mittlerer Schwere:] Beleidigungsdelikte, Sachbeschädigungen,
Eigentumsdelikte oder Körperverletzungen mit eher unbedeutenden
Folgen, die unter Alkoholeinwirkung begangen wurden, machen es
in der Regel nicht erforderlich, den jeweiligen
Alkoholisierungsgrad durch die Entnahme einer Blutprobe zu
bestimmen.
Bei solch Delikten reicht
es aus, im Vorgang zu vermerken, dass die Person erkennbar unter
Alkoholeinwirkung stand, aber noch ansprechbar war.
08.1
Bei Opfern von Sexualstraftaten iSv § 81c StPO
TOP
Bei Opfern sexueller
Straftaten kann es erforderlich werden, den Alkoholisierungsgrad
des Opfers durch die Entnahme einer Blutprobe festzustellen,
wenn das aus Gründen der Wahrheitsfindung erforderlich ist.
[Hinweis:] Bei der
Anordnung der Entnahme einer Blutprobe bei dem Opfer einer
Straftat handelt es sich immer um eine Maßnahme auf der
Grundlage von
§ 81c StPO (Untersuchung anderer Personen).
Weitere Informationen im Rahmen von »Untersuchungen anderer
Personen« stehen in einem eigenen Kapitel zur Verfügung, das
über das Inhaltsverzeichnis im Ordner StPO aufgerufen werden
kann.
Hier soll nur aufgrund des
engen Sachzusammenhangs zur Blutentnahme, die damit verbundene
Problematik kurz aufgezeigt werden.
[Beispiel:] Das Opfer einer sexuellen Gewalttat, das
erkennbar unter starker Alkoholeinwirkung steht, zeigt an, vor
einer Stunde (ca. 02.00 Uhr) in der Wohnung eines Mannes, den
sie nicht kennt, von mehreren Männern vergewaltigt worden zu
sein. Sie sei mit vorgehaltenem Messer zum Geschlechtsverkehr
gezwungen worden. Bei der Tat seien mindestens 5 Personen
zugegen gewesen. Drei hätten sie vergewaltigt. Im Rahmen der
polizeilich einzuleitenden Ermittlungen wird die Entnahme einer
Blutprobe beim Opfer durch Polizeibeamte angeordnet, weil in der
Polizeibehörde ein richterlicher Bereitschaftsdienst nicht
vorgehalten wird. Rechtslage?
Der Alkoholisierungsgrad
des Opfers ist für die Wahrheitsfindung deshalb von großer
Bedeutung, weil möglicherweise aufgrund des Alkoholgenusses von
der Verteidigung der noch zu ermittelnden Täter geltend gemacht
werden kann, dass das Opfer alkoholbedingt zum Zeitpunkt der Tat
gar nicht dazu in der Lage war, sicher erkennen zu können, von
welchem der anwesenden Männer sie tatsächlich vergewaltigt
worden ist.
Zur Wahrheitsfindung ist
es somit im geschilderten Beispiel erforderlich, den BKA-Wert im
Blut des Opfers festzustellen. Das setzt die Anordnung der
Entnahme einer Blutprobe voraus. Gefahr im Verzug besteht
grundsätzlich immer dann, wenn in einer Polizeibehörde zur
Nachtzeit kein richterlicher Bereitschaftsdienst verfügbar ist.
[Anmerkung:] Die
Entnahme von Blutproben sollte bei den Opfern sexueller
Gewalttaten nur dann angeordnet werden, wenn das für die
Beweisführung nachvollziehbar notwendig ist. Ansonsten reicht es
aus, im Vorgang zu vermerken, dass das Opfer unter
Alkoholeinwirkung stand, ansonsten aber auf alle Fragen
angemessen reagieren konnte.
Mit anderen Worten:
Die Anordnung der Entnahme
von Blutproben ist keine Standardmaßnahme im Zusammenhang mit
sexuellen Gewaltdelikten. Die Entnahme einer Blutprobe ist nur
dann anzuordnen, wenn das Opfer erkennbar unter
Alkoholeinwirkung steht.
08.2
Erhebung von DNA-Material
TOP
Auf der Grundlage von
§ 81a StPO (Körperliche Untersuchung des
Beschuldigten; Blutproben) können in einem laufenden
Strafverfahren auch Körperzellen anderer Art erhoben (entnommen
bzw. sichergestellt) werden. In der Regel wird es sich dabei um
die Entnahme einer Speichelprobe bzw. um einen
Mundschleimhaut-Abstrich handeln, der mit einem dafür geeigneten
Wattestäbchen durchgeführt wird.
[Beispiel:] Eine junge Frau zeigt an, von ihrem Onkel
vergewaltigt worden zu sein. Am Körper des Tatopfers wird
molekulargenetisches Material des Täters gesichert. Da der Täter
namentlich bekannt ist, ist es für die Beweisführung im
laufenden Strafverfahren unverzichtbar, vom Täter zu
Vergleichszwecken molekulargenetisches Material zu erheben.
Rechtslage?
Die Erhebung
molekulargenetischen Materials gegen den Willen eines
Beschuldigten in einem laufenden Strafverfahren ist nur auf der
Grundlage von § 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Blutprobe) zulässig. Die
Anordnung einer solchen Maßnahme steht unter Richtervorbehalt.
Bei einer rechtfertigenden
Einwilligung des Betroffenen ist der Nachweis einer Ermächtigung
nicht erforderlich.
[Voraussetzungen der
DNA-Analyse:] Um das erhobene molekulargenetische Material
einer DNA-Analyse unterziehen zu können, müssen die
Voraussetzungen von
§ 81e StPO (Molukulargenetische
Untersuchung) greifen.
[Anordnung:] Die
Anordnung einer DNA-Analyse ist im
§ 81f StPO (Verfahren
bei der molekulargenetischen Untersuchung) geregelt. Danach
dürfen Untersuchungen nach § 81e Abs. 1 StPO ohne schriftliche
Einwilligung der betroffenen Person nur durch das Gericht, bei
Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre
Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes)
angeordnet werden.
Hinsichtlich der
Besonderheiten des beauftragten Analyseinstitutes ist § 81f Abs.
2 StPO einschlägig.
[Hinweis:] Nähere
Einzelheiten im Hinblick auf die Anordnung und Durchführung
molekulargenetischer Untersuchungen stehen in einem eigenen
Kapitel auf dieser Website zur Verfügung.
Die Anordnung einer
molekulargenetischen Untersuchung steht unter Richtervorbehalt.
Bei Gefahr im Verzug sind auch StA und deren Ermittlungspersonen
anordnungsbefugt.
08.3
Anordnungsregelung
TOP
Hinsichtlich dieser
Delikte hat sich die Anordnungsregelung nicht geändert. Ohne
richterliche Anordnung können entsprechende körperliche
Untersuchungen ohne richterliche Anordnung nur bei Gefahr im
Verzug durch die Staatsanwaltschaft oder durch Ermittlungsbeamte
der Staatsanwaltschaft angeordnet werden.
Inwieweit diesbezüglich in
Zukunft eine richterliche Erreichbarkeit rund um die Uhr
gewährleistet sein wird (richterlicher Bereitschaftsdienst),
bleibt abzuwarten.
Diesbezüglich wird auf die
Ausführungen in der Randnummer 10 »Richterlicher
Bereitschaftsdienst oder Gefahr im Verzug« verwiesen.
09
Körperliche Untersuchungen außer Blutproben
TOP
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Blutproben) lässt körperliche
Untersuchungen beim Beschuldigten zur Feststellung von Tatsachen
zu, die verfahrensbedeutsam sein können (belastend oder
entlastend). Soweit es sich nicht um die Anordnung der Entnahme
von Blutproben auf der Grundlage von § 81a Abs. 4 StPO handelt,
hat es keine gesetzlichen Neuerungen gegeben.
Mit anderen Worten:
Andere körperliche
Eingriffe als Blutproben stehen weiterhin unter
Richtervorbehalt, so dass nur bei Gefahr im Verzug solche
körperlichen Untersuchungen neben der StA auch von
Ermittlungsbeamten der StA angeordnet und von einem Arzt
durchgeführt werden können.
Solche Eingriffe liegen
vor, wenn:
Um einen körperlichen
Eingriff handelt es sich bereits dann, wenn es zu einer auch nur
geringfügigen Verletzung des Körpers kommt, wie das zum Beispiel
bei der Entnahme einer Blutprobe der Fall ist.
Untersuchungen von
Körperöffnungen wie:
stellen
keine körperlichen Eingriffe dar. Solche Untersuchungen sind
dennoch nur approbierten Ärzten vorbehalten, weil es sich
dabei nicht nur um eine bloße Inaugenscheinnahme handelt.
[Speichelproben bei
Beschuldigten:] § 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Blutproben) ist auch
Ermächtigungsgrundlage, um von einem Beschuldigten in einem
laufenden Strafverfahren Körperzellen anderer Art entnehmen zu
können. In der Regel wird es sich dabei um Speichelproben bzw.
um einen Mundschleimhaut-Abstrich handeln, der mit einem dafür
geeigneten Wattestäbchen durchgeführt wird.
Soll dieses Material
molekulargenetisch untersucht werden, müssen die Voraussetzungen
von
§ 81e StPO (Molekulargenetische
Untersuchung) greifen.
Hinsichtlich der Anordnung
molekulargenetischer Untersuchungen ist
§ 81f StPO
(Verfahren bei molekulargenetischen Untersuchungen) einschlägig.
[Andere Personen als
Beschuldigte:] Bei anderen Personen als Beschuldigten sind
körperliche Untersuchungen nur auf der Grundlage von
§ 81c
StPO (Untersuchung anderer Personen) zulässig. Die Anordnung
einer solchen Maßnahme ist im
§ 81f StPO (Verfahren bei
der molekulargenetischen Untersuchung) geregelt.
Andere Personen sind in
der Regel Zeugen oder Opfer.
Weitergehende
Informationen zu diesem Thema stehen in dem Kapitel »§ 81c StPO
(Untersuchung anderer Personen)« zur Verfügung. Das Kapitel kann
über das Inhaltsverzeichnis StPO aufgerufen werden.
09.1
Körperliche Untersuchung - Begriffsdefinition
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Bei der Entnahme einer
Blutprobe handelt es sich um einen Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit. Körperliche Untersuchungen im Sinne von
§ 81a StPO (Körperliche Untersuchung des
Beschuldigten; Blutproben) lassen sich aber nicht auf die
Entnahme von Blutproben reduzieren, sie umfassen auch die
Inaugenscheinnahme eines Körpers (einfache körperliche
Untersuchung) als auch verhältnismäßige Eingriffe in die
Unverletzlichkeit eines Körpers.
Zweck einer einfachen
körperlichen Untersuchung ist es:
-
die Beschaffenheit der
Körperoberfläche festzustellen
-
nach Fremdkörpern in
natürlichen Körperhöhlen zu suchen
-
körperbedingte
psychische Funktionen durch Inaugenscheinnahme festzustellen
-
durch sinnliche
Wahrnehmung Feststellungen über die Beschaffenheit des
Körpers zu gewinnen
-
Messungen vorzunehmen.
[Körperliche
Eingriffe:] Körperliche Eingriffe setzen einen Eingriff in
die körperliche Integrität einer Person voraus, mag dieser auch
noch so unbedeutend sein (Blutprobe). Ein körperlicher Eingriff
liegt insbesondere dann vor, wenn:
Körperliche Eingriffe sind
dadurch gekennzeichnet, dass durch den Gebrauch medizinischer
Geräte Befunde erhoben werden.
Die Untersuchung
natürlicher Körperöffnungen (Mund, After, Scheide) sind keine
»körperlichen Eingriffe«, sondern als einfache Untersuchungen zu
klassifizieren, wenn die Befunde ohne den Gebrauch medizinischer
Geräte erhoben werden können.
[Veränderungen der
Haar- und Barttracht:] Im Zusammenhang mit der Veränderung
der Haar- und Barttracht hat das Bundesverfassungsgericht
entschieden, dass eine Veränderung der Haar- und Barttracht zum
Zweck einer Gegenüberstellung mit Zeugen auf der Grundlage von
§ 81a StPO (Körperliche Untersuchung
des Beschuldigten; Blutproben) zulässig ist.
Im Beschluss des BVerfG
vom 14. Februar 1978 - 2 BvR 406/77 - heißt es:
[Rn. 47:] »Ob die
Veränderung der Haar- und Barttracht eines Beschuldigten dem
Zwecke seiner Identifizierung als Person dient oder ob sie mit
dem Ziel vorgenommen wird, seine mutmaßliche Täterschaft
aufzuklären, ist unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots ohne
Belang. Denn die Annahme, es handele sich in beiden Fällen um
eine Maßnahme »zur Feststellung von Tatsachen ..., die für das
Verfahren von Bedeutung sind (§ 81 a Abs. 1 Satz 1 StPO), ist
vertretbar« (BVerfGE 47, 239 - Zwangsweiser Haarschnitt)«. [En21]
21
[Lügendetektor:]
Polygraphische Untersuchungen (Einsatz von Lügendetektoren) sind
als Beweismittel völlig ungeeignet (BGHSt 44, 308 -
Lügendetektor als Beweismittel) und somit nicht zulässig. [En22]
22
09.2
Abgrenzung zur Durchsuchung
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Die körperliche
Untersuchung einer Person ist von der körperlichen Durchsuchung
zu unterscheiden.
Körperlich durchsucht wird
eine Person dann, wenn nach Gegenständen oder Spuren in der
Kleidung und/oder auf der Körperoberfläche gesucht wird. Auch
die Suche nach Gegenständen in natürlichen Körperhöhlen wie
Mund, Nase, Achselhöhle, Gesäß, Fußhöhlen, Haare oder Perücke
gilt »traditionell« als Durchsuchung, soweit zur Nachschau
medizinischer Sachverstand nicht geboten ist.
Die Neufassung von
§
81d StPO (Durchführung körperlicher Untersuchungen durch
Personen gleichen Geschlechts) macht aber bereits in der
Überschrift deutlich, dass Personen (Beschuldigte aber auch
Zeugen/Opfer) von Personen gleichen Geschlechts körperlich
untersucht werden dürfen, wenn es darum geht, den unbekleideten
menschlichen Körper in Augenschein zu nehmen.
[Hinweis:] Von
einer Durchsuchung kann somit heute nur noch dann gesprochen
werden, wenn am bekleideten Körper »gesucht« (durchsucht) wird.
Zum Zweck der Strafverfolgung können solche Durchsuchungen auf
der Grundlage von
§ 102 StPO (Durchsuchung bei
Verdächtigen) durchgeführt werden. Die Durchsuchung einer Person
zum Zweck der Strafverfolgung setzt somit heute grundsätzlich
einen bekleideten Körper voraus.
Für die Inaugenscheinnahme
des unbekleideten Körpers ist
§ 81d StPO (Durchführung
körperlicher Untersuchungen durch Personen gleichen Geschlechts)
die einschlägige Befugnis.
»Kann eine körperliche
Untersuchung zur Verletzung des Schamgefühls führen, muss sie
von einer Person gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder
einem Arzt vorgenommen werden; die Regelung des Abs. 1 S. 1 ist
zwingend« (Meyer-Goßner § 81a StPO, Rn. 4).
Bei der Nachschau am
unbekleideten menschlichen Körper sind Würdeverletzungen
auszuschließen.
In einem Beschluss des
BVerfG vom 18.03.2015 - 2 BvR 1111/13 heißt es diesbezüglich:
[Rn. 30:] Die Würde
des Menschen zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller
staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 1 GG). Der öffentlichen Gewalt
ist danach jede Behandlung verboten, die die Achtung des Wertes
vermissen lässt, der jedem Menschen unabhängig von seiner
gesellschaftlichen Stellung, seinen Verdiensten oder der Schuld,
die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines Personseins
zukommt (...). Dem Recht auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1
Abs. 1 GG) kommt in der Verfassung ein Höchstwert zu; es ist als
tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte zu
betrachten (...). Für den Strafvollzug bedeutet dies, dass die
Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins dem Gefangenen
auch in der Haft erhalten bleiben müssen und der Staat zu den
dafür erforderlichen Leistungen verpflichtet ist (...). Im
Hinblick auf die Ausstrahlungswirkung des Art. 1 Abs. 1 GG auf
den Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die hieraus
resultierende besondere Wertigkeit dieses Schutzgutes (...)
berührt die Unterbringung in einem besonders gesicherten
Haftraum mit permanenter Videoüberwachung bei vollständiger
Entkleidung die durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG geschützte Intimsphäre des Betroffenen.«
Das Gericht ließ
unbeantwortet, um was für einen Eingriff es sich dabei handelt.
Das war auch nicht erforderlich, da es sich dabei um eine
»Besondere Sicherungsmaßnahme« im Sinne von § 88 Abs. 1, Abs. 3
in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 StVollzG gehandelt hatte.
[Rn. 32:] Die
Wegnahme einzelner Kleidungsstücke kann in diesem Zusammenhang
nach § 88 Abs. 1, Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 StVollzG
zur Abwendung erheblicher Gefahren für den Gefangenen,
insbesondere Suizid, zwar gerechtfertigt sein (...). Die
Erheblichkeit des Eingriffs und der verfassungsrechtlich
gebotene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordern aber
grundsätzlich, dem Gefangenen unmittelbar und gleichzeitig mit
der Entkleidung Ersatzkleidung aus schnell reißendem Material
zur Verfügung zu stellen, um ihm ein Mindestmaß an Intimsphäre
zu bewahren und ihn nicht zum bloßen Objekt des Strafvollzuges
zu degradieren (...). [En23] 23
[Hinweis:] Kommt es
im Rahmen polizeilicher Maßnahmen zu vergleichbaren Maßnahmen
(Eingriffen in die Intimsphäre bedingt durch Nachschau am
unbekleideten menschlichen Körper), wird es wegen der
Kurzfristigkeit solcher Eingriffe bei der Polizei vertretbar
sein, auf Ersatzkleidung aus schnell reißendem Material zu
verzichten. Im Übrigen dürfte solch eine Kleidung auch nicht zur
Verfügung stehen.
[Rechtswidriges
Entkleiden einer in Gewahrsam genommenen Person:] Personen,
die von der Polizei ins Polizeigewahrsam
eingeliefert werden, dürfen nicht grundsätzlich zu diesem Zweck
völlig entkleidet werden. Das entschied das VG Köln mit Urteil
vom 25.11.2015 - Az: 20 K 2624/14.
[Anlass:] Im Anschluss an eine Feier wurde eine Frau von der
Polizei wegen Ruhestörungen in Gewahrsam genommen. Im
Polizeigewahrsam wurde die Frau aufgefordert, sich zum Zweck der
Durchsuchung vollständig zu entkleiden. Als sie sich weigerte,
wurde sie während der Entkleidung von männlichen Polizisten
festgehalten. Rechtslage?
Die von den polizeilichen
Maßnahmen betroffene Frau machte vor dem VG in Köln geltend,
dass die ihr gegenüber angeordneten und auch vollzogenen
polizeilichen Maßnahmen rechtswidrig gewesen seien. Die
Anordnung, sich vollständig zu entkleiden, wie auch die
Entkleidung unter Mitwirkung von männlichen Polizisten sei
unverhältnismäßig gewesen.
Dieser Rechtsauffassung
folgte das Gericht im Wesentlichen.
Im Urteil des VG Köln vom
25.11.2015 - 20 K 2624/14 heißt es u.a.:
[Rn. 88:] Nach § 35
Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW kann die Polizei eine Person in Gewahrsam
nehmen, wenn das unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach
§ 34 PolG NRW durchzusetzen. Mangels Rechtmäßigkeit des
Platzverweises war eine Ingewahrsamnahme der Klägerin auf dieser
Grundlage hier nicht gerechtfertigt.
[Rn. 89:] Die
Ingewahrsamnahme der Klägerin war des Weiteren auch nicht
aufgrund von § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW gerechtfertigt.
Danach kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung
oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit
von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.
[Rn. 90:]
Angesichts der Intensität des mit der Ingewahrsamnahme
verbundenen Eingriffs ist es erforderlich, dass im konkreten
Fall nachvollziehbare Tatsachen vorliegen, die zu der Gewissheit
führen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit
eintritt. Daran fehlt es hier.
Entkleidung der Frau in
der Gewahrsamszelle:
[Rn. 102 ff:] Die
bei Einlieferung in den Polizeigewahrsam an die Klägerin
ergangene Anordnung, sich vollständig, einschließlich der
Unterwäsche zu entkleiden, stellt sich ebenfalls als
rechtswidrig dar.
Als Rechtsgrundlage kommt
insoweit allein
§ 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW in Betracht.
Danach kann die Polizei eine Person durchsuchen, wenn sie nach
diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten
werden kann.
Rechtswidrig war die
Anordnung an die Klägerin, sich zum Zwecke der Durchsuchung
vollständig zu entkleiden, hier bereits deshalb, weil eine
Durchsuchung auf der Grundlage von § 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW
eine rechtmäßige Ingewahrsamnahme voraussetzt.
Aber auch ungeachtet der
Frage der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme war die
Rechtmäßigkeit der Entkleidungsanordnung hier zu beanstanden.
Vor dem Hintergrund des mit der Anordnung des Entkleidens
verbundenen besonders schwerwiegenden Eingriffs in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht, (...) war die Anordnung hier
einer selbständigen Überprüfung zuzuführen.
Die Durchsuchung nach
§ 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW dient dem Schutz der festgehaltenen
Person vor Selbstverletzung bzw. Selbsttötung und zugleich auch
dem Schutz der Polizeibeamten, die eine Freiheitsentziehung
vornehmen bzw. vollziehen.
Eine Durchsuchung einer
Person ist die Suche nach Gegenständen, die eine Person in ihrer
am Körper getragenen Kleidung, am Körper selbst oder in ohne
weiteres zugänglichen Körperöffnungen (Mund, Nase, Ohren) mit
sich führt. Dementsprechend umfasst die Durchsuchung die Suche
in am Körper befindlichen Kleidungsstücken, das Abtasten des
bekleideten Körpers und gegebenenfalls auch die Nachschau am
unbekleideten Körper und in den ohne weiteres zugänglichen
Körperöffnungen. (...).
Der Umstand, dass im
Rahmen einer Durchsuchung ein Entkleiden gefordert wird,
bestimmt zwar das Gewicht des mit der umstrittenen Maßnahme
verbundenen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des in
Anspruch Genommenen, vermittelt der Maßnahme selbst aber nicht
die Qualität einer Untersuchung, da der Durchsuchungsbegriff
auch die Nachschau am unbekleideten Körper umfasst. Kommt eine
Person der polizeilichen Aufforderung, sich zu entkleiden nicht
freiwillig nach, kann zur Durchsetzung der Maßnahme auch
unmittelbarer Zwang angewendet werden.
Die Kammer teilt
allerdings nicht die Ansicht des VG Gießen, wonach die
Aufforderung, sich zum Zwecke der Durchsuchung zu entkleiden,
anders als die auf eine Duldung gerichtete
Durchsuchungsanordnung, nicht mehr von der Regelung über die
Durchsuchung erfasst angesehen wird.
[Hinweis:] Die
Richter sahen die Entkleidung im Rahmen der Durchsuchung auch
deshalb als rechtswidrig an, »weil die Beamtin des Beklagten von
dem nach dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 PolG NRW eingeräumten
Ermessen keinen Gebrauch gemacht, sondern sich auf der Grundlage
der Dienstanweisung des PP Köln für den Polizeigewahrsamsdienst
(PGD) im Polizeipräsidium Köln und für die Polizeigewahrsame in
den Polizeiinspektionen (DirBA FüSt – 57.01.08 -) vom 17.01.2013
offenkundig generell verpflichtet sieht, das vollständige
Entkleiden zum Zwecke der Durchsuchung anzuordnen. [En24]
24
[Anmerkung:] Eines
solchen Urteils hätte es nicht bedurft, denn die offenkundige
Rechtswidrigkeit, insbesondere im Hinblick auf die gewaltsam
durchgeführte Entkleidung war evident.
Polizeibeamte müssen
wissen, dass allein auf der Grundlage innerdienstlicher
Weisungen, Personen, die in eine Gewahrsamszelle der Polizei
eingeliefert werden, nicht dazu aufgefordert werden dürfen, sich
»bis auf die nackte Haut« durchsuchen zu lassen. In einer
Polizeibehörde, in der solche innerbehördlichen Weisungen
erlassen werden, scheint geltendes Recht offensichtlich in
Vergessenheit geraten zu sein.
Bei der Gewahrsamsordnung
und den ergänzend dazu erlassenen innerbehördlichen Weisungen
handelt es sich nicht um Befugnisse, auf die Eingriffe in
Grundrechte gestützt werden können.
[Vertretbares
Entkleiden:] Das völlige Entkleiden einer Person zum Zweck
der Gefahrenabwehr auf der Grundlage von Polizeirecht ist nur
dann zulässig, wenn die dafür nachzuweisenden Befugnisse das
zulassen. Einschlägige Befugnisse in diesem Sinne sind
§ 39 PolG NRW (Durchsuchung von Personen), wenn zum Zweck der
Gefahrenabwehr das Entkleiden einer Person angemessen ist.
Zum Zweck der
Strafverfolgung kommt ein Entkleiden einer Person auf der
Grundlage von
§ 102 StPO (Durchsuchung bei Beschuldigten)
nach der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht in Betracht,
weil die Nachschau am nackten menschlichen Körper
spezialgesetzlich geregelt ist, siehe
§ 81d StPO
(Durchführung körperlicher Untersuchungen durch Personen
gleichen Geschlechts). Diese Befugnis setzt voraus, dass auf der
Grundlage von
§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) beweiserheblichen Tatsachen im Rahmen einer
körperlichen Untersuchung festgestellt werden sollen.
[Hinweis:] In jedem
Fall aber muss solch eine »Entkleidung« zur Bedeutung und zu dem
Zweck der Maßnahme, die eine Einlieferung in eine Zelle des
Polizeigewahrsams erforderlich und insbesondere verhältnismäßig
sein. Das gilt sowohl für die Inaugenscheinnahme des nackten
menschlichen Körpers zum Zweck der Strafverfolgung als auch zum
Zweck der Gefahrenabwehr.
09.3
Hinzuziehung eines Arztes
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Ein Arzt ist
hinzuzuziehen, wenn:
-
dessen spezifische
Kenntnisse gefordert sind
-
aufgrund
festgestellter Körperschäden ärztliche Diagosen zu treffen
sind
-
nur einem Arzt der
Eingriff vorbehalten ist (Sichern von Spuren sexueller
Gewalttaten am und im Körper des Opfers) etc.
Mit anderen Worten:
Körperliche Untersuchungen
sind immer dann einem Arzt vorbehalten, wenn dieser als
Sachverständiger in Anspruch zu nehmen ist.
Körperliche Untersuchungen
können aber auch von Nichtärzten durchgeführt werden, soweit sie
das gleiche Geschlecht wie die Person besitzen, die in
Augenschein genommen werden soll.
Das kann aber nur für
solche Untersuchungen gelten, in denen kein medizinischer
Sachverstand erforderlich ist. Dieser Sachverstand wird zum
Beispiel nicht benötigt, wenn durch Inaugenscheinnahme des
unbekleideten menschlichen Körpers zum Beispiel nach
mitgeführten »Drogenbriefchen« gesucht wird, die zwischen den
Schenkeln, unter den Achseln aber auch in der Gesäßspalte von
Tatverdächtigen mitgeführt werden können.
§ 81d StPO
(Durchführung körperlicher Untersuchungen durch Personen
gleichen Geschlechts) ist auch zu beachten, wenn Tatverdächtige
oder Nichtverdächtige körperlich durchsucht werden (§§ 102, 103
StPO), d. h., wenn in der Kleidung der davon betroffenen
Personen nach Spuren oder Beweismitteln gesucht wird und dabei
die Intimzone nicht ausgespart wird.
09.4
Verabreichung von Brechmitteln
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§ 81a StPO (Körperliche
Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher
Eingriffe) ist auch Rechtsgrundlage für die Verabreichung eines
Abführmittels/Brechmittels zur Ausscheidung von im Körper des
Beschuldigten befindlicher Drogen, die zum Nachteil des
Beschuldigten verwertet werden können.
»Nach OLG Frankfurt (NJW
1997, 1647) soll die Vorschrift (gemeint ist § 81a StPO = AR)
die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln, die der
Sicherstellung verschluckten Rauschgiftes dient, nicht decken.
Das ist abzulehnen« (KK (2009): Senge, S. 382, Rn. 6).
Diese Sichtweise teilt
auch das Bundesverfassungsgericht, dass mit Beschluss vom 15.
September 1999 eine Verfassungsbeschwerde zurückwies und die
sich bietende Gelegenheit dazu nutze, sich (orbiter dictum) zum
Anlass der Verfassungsbeschwerde zu äußern.
[Orbiter dictum:]
Nebenbei Gesagtes: Darunter ist die geäußerte Rechtsansicht
eines Gerichts zu verstehen, das die gefällte Entscheidung eines
anderen Gerichts nicht trägt, sich aber dennoch zur Entscheidung
äußert, weil sich die Gelegenheit dazu bietet.
Im Beschluss heißt es:
»Dem Einsatz von
Brechmitteln zur Erlangung von Beweismitteln gestützt auf § 81a
Abs. 1 Satz 2 StPO begegnen auch im Hinblick auf die durch Art.
1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde und den in Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG enthaltenen Grundsatz der
Selbstbelastungsfreiheit keine grundsätzlichen
verfassungsrechtlichen Bedenken (Obiter dictum)«. [En25]
25
Eine Entscheidung zur
Sache lehnte das Bundesverfassungsgericht wegen Vorrang der
Fachgerichte ab.
[Fazit:] Es kann
davon ausgegangen werden, dass die Verabreichung von Abführ- und
Brechmitteln auf keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen
Bedenken stößt.
[Zwangsweises
Verabreichen von Brechmitteln:] Rechtsprobleme tun sich
jedoch dann auf, wenn solche Mittel zwangsweise verabreicht
werden, denn aus gegebenem Anlass hob der BGHSt mit Urteil vom
20. Juni 2012 - 5 StR 536/11 einen Freispruch der Vorinstanz
auf, dem folgender Anlass zugrunde lag:
[Anlass:] Als Folge eines unter Gewaltanwendung
vorgenommenen Brechmitteleinsatzes war es bei einem Drogendealer
zu lebensbedrohlichen Komplikationen gekommen, die den Arzt, der
das Brechmittel zwangsweise verabreicht hatte, dazu
veranlassten, einen Notarzt hinzuzuziehen. In Anwesenheit des
Notarztes wurde weiterhin zwangsweise versucht, den Magen des
Beschuldigten zu entleeren. Der Drogendealer kam dabei zu Tode.
Im Urteil heißt:
[Rn. 14:] Die bei
der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten
vorgenommenen Maßnahmen waren (...) nicht durch § 81a StPO
gerechtfertigt und stellen demgemäß rechtswidrige
Körperverletzungshandlungen dar. [En26] 26
[Exkorporation:]
Exkorporation ist der Fachbegriff für den Brechmitteleinsatz,
also die ärztlich bei einem Tatverdächtigen vorgenommene
Einnahme von Brechmitteln, um so den Mageninhalt auszuspucken
und eventuell spezielle und gefährliche Päckchen mit Drogen
ausfindig zu machen.
[Position des deutschen
Ärztetages:] Bereits 2002 hatte sich der 105. Deutsche
Ärztetag zur Vergabe von Brechmitteln anlässlich von Todesfällen
im Anschluss an die Verabreichung von Brechmitteln geäußert:
Im Protokoll heißt es:
-
»Vor diesem
Hintergrund unterstreicht die deutsche Ärzteschaft ihre
kritische Haltung gegenüber der gewaltsamen Verabreichung
von sog. Brechmitteln oder invasiven Eingriffen an
Drogendealern.
-
Bei nicht freiwilliger
Mitwirkung des Beschuldigten ist der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die Stärke des
Tatverdachts muss die Maßnahme rechtfertigen, nicht der
mögliche Widerstand des Beschuldigten.
-
Nur wenn die
Verabreichung von Brechmitteln unerlässlich ist, kann sie
unter qualifizierter und ärztlicher Aufsicht vertretbar
sein, da ansonsten weniger gesundheitsgefährdende Maßnahmen,
wie die Verabreichung von Bittersaft oder ähnlichen
Substanzen ausreichen würden, um zum Erfolg zu gelangen.
-
Beweissicherungsmaßnahmen sind staatliche Maßnahmen, zu
deren Teilnahme Ärztinnen und Ärzte nicht gezwungen werden
können. Ärztinnen und Ärzte beteiligen sich nicht an
Maßnahmen der Gewaltanwendung«. [En27] 27
[Position des
Europäischen Gerichtshofs:] Auch der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) äußerte sich kritisch zur zwangsweisen
Verabreichung von Brechmitteln und hält sie für unzulässig, wenn
dieses Mittel auf eine in Artikel 3 der Europäische
Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950) verbotene Art
und Weise verabreicht werden. [En28] 28
Artikel 3 MRK Verbot der Folter Niemand darf der Folter
oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
unterworfen werden.
[Lesenswerte
Information:] Über den Brechmitteleinsatz bei Drogendealern
enthält auch die Internetausgabe des Hamburger Straßenmagazins
»Hinz&Kunzt lesenswerte Ausführungen.
Dort heißt es u.a.:
-
»Das Verfahren selbst
ist unter Zwang martialisch: Die Beschuldigten wurden in der
Gerichtsmedizin im UKE aufgefordert, das Brechmittel zu
schlucken. Wer sich weigerte, den Sirup aus der
mexikanischen Brechwurzel plus Wasser zu trinken, wurde mit
Gewalt dazu gebracht:
-
Unmittelbarer Zwang
heißt: Er wird von Polizeibeamten auf den Stuhl gedrückt,
der Kopf wird festgehalten, das Brechmittel wird an die
Lippen gehalten. Wenn der Beschuldigte sich weigerte zu
trinken, wurde in einigen Fällen das Mittel mit der Sonde
durch die Nase in den Magen eingeführt«. [En29] 29
Die Notwendigkeit der
Verabreichung von Brechmitteln bei Drogendealern aus
polizeilicher Sicht fasst ein Internetartikel des „Tagesspiegel
Berlin“ zusammen, der über den folgenden Link aufgerufen werden
kann.
Ipecacuanha
10
Richterlicher Bereitschaftsdienst oder Gefahr im Verzug?
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Durch die gesetzliche
Neuregelung der Anordnungsbefugnis im Zusammenhang mit
Blutproben anlässlich von drei Verkehrsstraftaten und
zwei Verkehrsordnungswidrigkeiten ist festzustellen, dass
der weitaus größte Anteil erforderlicher Anordnungen nunmehr vor
Ort direkt durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte erfolgt.
Insoweit stellt sich
zwangsläufig die Frage, ob für die eher seltenen Fälle, in denen
Anordnungen weiterhin unter Richtervorbehalt stehen, weiterhin
ein richterlicher Bereitschaftsdienst vorzuhalten sind.
Dass solch ein
richterlicher Bereitschaftsdienst rund um die Uhr nicht einmal
vor der gesetzlichen Neufassung der Anordnungsregelung
gewährleistet werden konnte, kann dem folgenden Urteil entnommen
werden:
[Urteil des LG
Düsseldorf vom 24.07.2014:] In diesem Urteil heißt es zur
Gefahr im Verzug: »Ist nachts kein Richter erreichbar, darf die
Polizei zum Nachweis einer Trunkenheitsfahrt wegen Gefahr im
Verzug auch ohne richterliche Genehmigung die Entnahme einer
Blutprobe anordnen«. [En30] 30
Dieses Urteil bestätigt
den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 21.01.2010 - IV-1 RBs 3/10,
in dem es heißt:
[Rn. 11:] »Da ein
richterlicher Eildienst bei den Amtsgerichten in
Nordrhein-Westfalen entsprechend der AV 2043-I.3 des
Justizministers vom 15. Mai 2007 (JMBlNW 2007, 165) nur in der
Zeit von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr vorgehalten wird, konnte der
Zeuge POK X bei seiner Entscheidung über die Anordnung einer
Blutprobenentnahme zu Recht davon ausgehen, dass ein
Bereitschaftsrichter erst um 6:00 Uhr morgens erreichbar sein
werde. Ein Zuwarten bis zu diesem Zeitpunkt hätte – wegen der
dann erforderlichen Rückrechnung des BAK-Werts über mehrere
Stunden – zu einer nicht hinnehmbaren Verschlechterung der
Beweislage geführt und wäre mit Rücksicht auf die Dauer der
damit verbundenen Freiheitsentziehung zum Nachteil des
Betroffenen auch nicht mehr verhältnismäßig gewesen. Angesichts
dieser Sachlage bestand bei der polizeilichen Anordnung der
Blutprobenentnahme um 23:58 Uhr Gefahr im Verzug«. [En31]
31
Prognose:
Es ist davon auszugehen,
dass in Zukunft - allein aus Kostengründen - wohl kaum noch
richterliche Bereitschaftsdienste für die wenigen richterlichen
Anordnungen von körperlichen Untersuchungen vorgehalten werden,
die nicht unter die vereinfachte Anordnungsregelung fallen, so
dass in solchen Fällen außerhalb der Geschäftszeiten
wahrscheinlich die Begründung von Gefahr im Verzug zum Regelfall
werden wird, so dass, zumindest außerhalb der normalen
Geschäftszeiten der Gerichte, auch solche körperliche
Untersuchungen auf der Grundlage von § 81a StPO durch
Ermittlungspersonen der StA, also durch Polizeibeamte angeordnet
werden können.
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