01
Zeugenvernehmung
TOP
Im
Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen wird es in einer Vielzahl
von Fällen erforderlich, Zeugen zur Sache zu vernehmen.
[Persönliches Beweismittel:]
Der Zeuge ist ein persönliches Beweismittel, sowohl im Rahmen des
Strafverfahrens als auch im Zusammenhang mit der Erforschung und
Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten.
Als Tatzeugen sind diese Personen,
bei denen es sich auch um Kinder handeln kann, oftmals dazu in der Lage,
einen wesentlichen Beitrag bei der Aufklärung festgestellter
Straftaten/Ordnungswidrigkeiten zu leisten. Bei der Vernehmung von
Kindern sind besondere Regeln zu beachten. Dazu später mehr.
Für die polizeiliche Vernehmung
von Zeugen ist der
§ 163 Abs. 3 StPO (Aufgaben der Polizei im
Ermittlungsverfahren) die maßgebliche Vorschrift. Diese Befugnis
verweist auf die Normen der StPO, die entsprechend anzuwenden sind.
Im Vordergrund der »Befragung
eines Zeugen zur Sache« steht der unbestimmte Rechtsbegriff der
»Vernehmung«. Dieser Begriff ist nicht eindeutig bestimmbar.
Unbestritten ist, dass dazu in jedem Fall die »förmliche« Vernehmung
eines Zeugen gehört, die vom Vernehmungsbeamten zu protokollieren ist
und die einem bestimmten, im Gesetz selbst benannten Verfahren zu
entsprechen hat, siehe
§ 68 StPO
(Vernehmung zur Person). Solche
»formalisierten« Vernehmungen finden in der Regel in einem Dienstgebäude
der Polizei statt. Das im Rahmen einer solchen Zeugenvernehmung
erstellte Protokoll ist vom vernommenen Zeugen zu genehmigen und
eigenhändig zu unterschreiben.
[Beispiel:]
Anlässlich einer Kneipenschlägerei, bei der ein Mann schwer verletzt
wurde, wird ein Tatzeuge, der den Hergang gesehen hat, zur Vernehmung
geladen und im Büro des polizeilichen Sachbearbeiters zur Sache
vernommen. Rechtslage?
Dass es sich
bei dieser Vernehmung um eine »förmliche« Vernehmung handelt, über die
ein Protokoll zu erstellen ist, dürfte offenkundig sein.
Oftmals werden
Zeugen aber auch vor Ort von Polizeibeamten zur Sache befragt, um besser
beurteilen zu können, was geschehen ist und wer gehandelt hat. Auch für
diese »nicht förmlichen« Vernehmungen gilt, dass der Zeuge vor seiner
Anhörung zur Sache zu belehren ist.
[Beispiel:]
Anlässlich einer Schlägerei (Straftat), bei der es mehrere
schwerverletzte Personen gegeben hat, fragt ein Polizeibeamter am
Tatort, wer Angaben darüber machen kann, wie es zu der Schlägerei hat
kommen können. Ein Gast sagt dem Beamten, dass er den Hergang der
Schlägerei genau beobachtet hat. Rechtslage?
In diesem Fall
wird der einschreitende Polizeibeamte den Tatzeugen vor seiner Befragung
zur Sache etwa wie folgt belehren:
[Belehrungstext:]
»Bevor ich Sie zur Sache befrage, muss ich Sie darauf hinweisen, dass es
ihnen freisteht, Angaben zu verweigern, durch die sie sich selbst oder
nahestehende Verwandte belasten würden. Wenn Sie sich als Zeuge zur Sache äußern,
sind sie dazu verpflichtet, die Wahrheit zu sagen«.
Im Anschluss
daran wird der Polizeibeamte den Gast bitten, den Tathergang so zu
schildern, wie er ihn wahrgenommen hat und sich Notizen darüber machen,
was der Zeuge zur Sache sagt. Natürlich wird der Beamte dem Mann den
Extrakt seiner Notizen mitteilen, um sich zu vergewissern, ob er den
Zeugen richtig verstanden hat. Unabhängig davon wird der Beamte dem
Zeugen darüber in Kenntnis setzen, dass er möglicherweise zu einem
späteren Zeitpunkt von der polizeilichen Sachbearbeitung noch einmal zur
Sache angehört wird und seine Angaben dann sorgfältiger zu Protokoll
genommen werden, als das zurzeit am Tatort möglich ist.
[Identitätsfeststellung von Tatzeugen:]
Damit vor Ort zur Sache befragte Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt
»förmlich« vernommen werden können, ist die Identität von Zeugen
grundsätzlich von der Polizei festzustellen. Maßgebliche Befugnis dafür
ist der
§ 163b Abs. 2 StPO (Identitätsfeststellung). Dort heißt
es: »Wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist,
kann auch die Identität einer Person festgestellt werden, die einer
Straftat nicht verdächtig ist.«
02
Zeugenpflicht
TOP
Das
Bundesverfassungsgericht hat die Zeugenpflicht wie folgt beschrieben:
-
Die
Mitwirkungspflicht des Zeugen ergibt sich aus seiner
zeugenschaftlichen Verantwortung.
-
Zeuge ist,
wer aufgrund eigener sinnlicher Wahrnehmung zu einem tatsächlichen
Geschehen aussagen kann und nicht Beschuldigter oder Angeklagter
ist.
-
Zu den
Zeugenpflichten gehört es, zur Vernehmung zu erscheinen,
wahrheitsgemäß auszusagen und diese Aussage auf Verlagen
erforderlichenfalls zu beeiden.
-
Zeugenpflichten sind staatsbürgerliche Pflichten, die die StPO nicht
begründet, sondern voraussetzt.
In dem
Urteil heißt es: »Die Zeugenpflicht ist
nach deutscher Rechtstradition eine allgemeine Staatsbürgerpflicht, für
deren Erfüllung ein Entgelt nicht verlangt werden kann.« [En01]
1
03 Angaben
zur Person
TOP
Aus der Zeugenpflicht ergibt sich
die Verpflichtung, Angaben zur Person zu machen. Kommen Zeugen dieser
Verpflichtung nicht nach, obwohl ihre Aussage für das Straf- oder
Ordnungswidrigkeitenverfahren bedeutsam ist, kann die Identität von
Zeugen auch gegen deren Willen auf der Grundlage von
§ 163b Abs. 2
StPO (Identitätsfeststellung) festgestellt werden.
Diese Regelung
findet Anwendung zur Identitätsfeststellung von:
Bei Zeugen (zu denen auch Opfer
gehören) ergibt sich die Erforderlichkeit einer Identitätsfeststellung
daraus, dass diese Maßnahme im Sinne von § 163b Abs. 2 StPO zur
Aufklärung einer Straftat in der Regel geboten ist.
04
Auskunftsverweigerungsrecht
TOP
Jeder Zeuge kann die Auskunft auf
solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen
im
§ 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr aussetzen
würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu
werden. Der Zeuge ist über sein Recht auf Verweigerung der Auskunft zu
belehren.
05
Belehrungspflichten
TOP
Belehrungspflichten entstehen, wenn ein Zeuge zur Sache angehört wird.
Informelle Befragungen lösen noch keine Belehrungspflichten aus.
[Informelle Befragung:] Der BGH hat
sich mit Beschluss vom 27. Februar 1992 (5 StR 190/91) zur
informellen Befragung wie folgt positioniert:
[Rn.
26:] »Der Polizeibeamte, der am Tatort
oder in seiner Umgebung Personen fragt, ob sie ein bestimmtes Geschehen
beobachtet haben, vernimmt keine Beschuldigten, mag er auch hoffen, bei
seiner Tätigkeit neben geeigneten Zeugen den Täter zu finden. Er braucht
nicht den Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu geben (...).« [En02]
2
Diese Aussage
kann auch auf Zeugen übertragen werden.
[Zeugenbelehrung:] Die Belehrung des
Zeugen ist vor Beginn der Vernehmung vorzunehmen.
Belehrungspflichten greifen nicht
nur im Strafverfahren, sie sind gleichermaßen auch im
Ordnungswidrigkeitenverfahren zu beachten.
Für den Bereich des
Ordnungswidrigkeitenrechts ergibt sich diese Verpflichtung aus den o.g.
Regelungen der StPO in Verbindung mit dem
§ 46 OWiG (Anwendung
der Vorschriften über das Strafverfahren).
06 Vernehmung
zur Sache
TOP
Die Vernehmung zur Sache beginnt
damit, dass der Zeuge im Sinne von
§ 69 StPO (Vernehmung zur
Sache) über den Gegenstand des bestehenden Tatverdachts und über die
Person des Tatverdächtigen in Kenntnis gesetzt wird, falls dieser
bekannt sein sollte. Der Zeuge ist aufzufordern, einen zusammenfassenden
Bericht über die von ihm wahrgenommenen Tatumstände abzugeben.
[Ablauf
einer Zeugenvernehmung:] Diesbezüglich
ist der Wortlaut des
§ 68 StPO (Vernehmung zur Person)
einschlägig. Dass einem Zeugen Fragen nach Tatsachen, die ihn
bloßstellen würden, nur gestellt werden, wenn das unvermeidbar ist,
regelt § 68a StPO (Bloßstellen von Zeugen). Gemäß § 58a StPO
(Aufzeichnung der Vernehmung) kann die Vernehmung eines Zeugen auch auf
Bild-Ton-Trägern aufgezeichnet werden. Der Zeuge ist darauf hinzuweisen,
wenn davon Gebrauch gemacht wird. Im Anschluss daran ist er gemäß
§
58a StPO entsprechend zu belehren. Auf der Grundlage der technischen
Aufzeichnung wird dann das Zeugenvernehmungsprotokoll erstellt.
In den
Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)
heißt es zum Einsatz technischer Aufzeichnungsmittel wie folgt:
5b RiStBV
(Vorläufige Aufzeichnung von Protokollen)
Bei der
vorläufigen Aufzeichnung von Protokollen (§ 168a Abs. 2 StPO) soll vom
Einsatz technischer Hilfsmittel (insbesondere von Tonaufnahmegeräten)
möglichst weitgehend Gebrauch gemacht werden. Die Entscheidung hierüber
trifft jedoch allein der Richter, in den Fällen des § 168b StPO der
Staatsanwalt.
19b
RiStBV (Widerspruchsrecht des Zeugen im Falle der Bild-Ton-Aufzeichnung)
Wird die
Vernehmung eines Zeugen auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet (§ 58a StPO),
ist dieser darauf hinzuweisen, dass er der Überlassung einer Kopie der
Aufzeichnung seiner Vernehmung im Wege der Akteneinsicht an den
Verteidiger oder den Rechtsanwalt des Verletzten widersprechen kann.
[Hinweis:] Diese Regelungen der RiStBV
gelten im Analogverfahren auch für polizeiliche Vernehmungen. Lediglich
bei der Aufzeichnung der Vernehmung von Minderjährigen sollte die
Entscheidung einem Richter vorbehalten bleiben, siehe
§ 58a Abs. 1 Nr. 1
StPO.
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte müssen Zeugen über ihre
Beschuldigtenrechte belehren, sobald erkennbar wird, dass sie sich durch
ihre Aussagen selbst belasten.
07
Zeugnisverweigerungsrecht
TOP
Im Rechtssinne
gibt es eine Verwandtschaft in gerader Linie und eine Verwandtschaft in
der Seitenlinie. In gerader Linie sind nur Personen miteinander
verwandt, die voneinander abstammen, im ersten Grad sind die Eltern mit
den Kindern in gerader Linie verwandt, im zweiten Grad in gerader Linie
die Enkel mit den Großeltern.
In der
Seitenlinie sind im zweiten Grad die Geschwister verwandt, im dritten
Grad Onkel und Neffe und im vierten Grad die Geschwisterkinder.
Die Verwandtschaft gilt in diesem
Sinne auch zwischen nichtehelichen Kindern und ihrem Vater sowie dessen
Verwandtschaft. [En03] 3
Zeugnisverweigerungsberechtigte Personen im Überblick:
-
Verlobte
und Personen, mit denen ein Versprechen eingegangen wurde, eine
Lebenspartnerschaft zu begründen
-
Ehegatten
und Lebenspartner auch dnn, wenn die Ehe oder Lebenspartnerschaft
nicht mehr besteht
-
Bei
Verwandtschaft zum Beschuldigten sind dies direkte Vor- und
Nachfahren = gerade Linie Geschwister der Eltern des
Beschuldigten (Tante/Onkel) = Seitenlinie bis zum 3. Grad
Geschwister des Beschuldigten und deren Kinder = Seitenlinie bis zum
3. Grad.
-
Bei
Schwägerschaft zum Beschuldigten sind dies nur direkte Vor- und
Nachfahren des Ehe- oder Lebenspartners = direkte Linie
Geschwister des Ehe- oder Lebenspartners = Seitenlinie bis zum 2.
Grad.
Wer mit einem
Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der
Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad
verschwägert ist, kann sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen.
Diese Regelungen gelten sowohl für
Zeugen (§ 163 StPO) als auch für Beschuldigten (§ 163a StPO).
08
Berufsgeheimnisträger
TOP
Einschlägige Regelung ist der
§
53 StPO (Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger). Die
Vorschrift dient dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen
bestimmten Berufsangehörigen und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in
Anspruch nehmen.
Berufsgeheimnisträgern steht ein Zeugnisverweigerungsrecht nur dann zu,
wenn diesen Personen in ihrer beruflichen Eigenschaft vertrauliche
Informationen anvertraut oder bekanntgeworden sind.
Berufsgeheimnisträger im o.g. Sinne sind:
-
Geistliche
-
Verteidiger des Beschuldigten
-
Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer
-
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte
-
Ärzte,
Zahnärzte, Apotheker und Hebammen
-
Beauftragte von Schwangerschaftsberatungsstellen
-
Beauftragte von anerkannten Drogenberatungsstellen
-
Mitglieder
des Bundestages und der Landtage, wenn ihnen in dieser Eigenschaft
Tatsachen anvertraut wurden sowie über diese Tatsachen selbst
-
Mitarbeiter von Presse und Rundfunk.
Das Bundesverfassungsgericht hat
bereits 1975 entschieden, dass eine Einschränkung auf die im § 53 StPO
benannten Personengruppen zulässig ist.
Die Klage eines Tierarztes wurde
aus diesem Grunde mit folgender Begründung abgewiesen: »Es ist von
Verfassungswegen nicht zu beanstanden, dass § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO dem
Tierarzt kein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht einräumt«.
(Leitsatz: BVerfGE 38, 312). [En04] 4
Anderen
Berufen mit Vertrauensverhältnissen steht dieses Recht grundsätzlich
nicht zu. Ausnahmen von dieser Regelung können von den Gerichten jedoch
im Einzelfall ausnahmsweise anerkannt werden.
Im Beschluss
vom 19. Juli 1972 - 2 BvL 7/71 - hat das BVerfG im Hinblick auf das
besondere Vertrauensverhältnis einer Sozialarbeiterin/Eheberaterin zu
der von ihr betreuten Person auf die Möglichkeit einer solchen Ausnahme
hingewiesen.
Im Beschluss
heißt es:
[Rn.
22:] ... die Auffassung (...), dass §
53 Abs. 1 Nr. 3 StPO anderen, gesetzlich nicht besonders benannten
Berufsgruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht abspreche, trifft zu. Da die
Vorschrift nur den Angehörigen bestimmter, jeweils einzeln ausdrücklich
bezeichneter Berufe in gewisser Beziehung eine Weigerungsbefugnis
verleiht, ordnet sie - nach der zugrundeliegenden Gesetzgebungstechnik -
gleichzeitig an, dass es im Übrigen bei der allgemeinen und
uneingeschränkten Zeugnispflicht des Bürgers bewenden soll.
[Rn.
23:] Das ändert allerdings nichts
daran, dass im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders
strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar
aus der Verfassung folgt, wenn unabhängig von der Berufszugehörigkeit
des Zeugen dessen Vernehmung wegen der Eigenart des Beweisthemas in den
(...) grundrechtlich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung
des Einzelnen, insbesondere seine Intimsphäre, eingreifen würde. [En05]
5
09 Entbindung
von der Pflicht zur Verschwiegenheit
TOP
Im
§ 53 Abs. 2 StPO heißt es, dass
die im Absatz 1 Nr. 2 bis 3b Genannten das Zeugnis nicht verweigern
dürfen, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden
wurden.
Folgende
Berufsgeheimnisträger können von der Schweigepflicht entbunden werden:
-
Verteidiger des Beschuldigten
-
Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer
-
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte
-
Ärzte,
Zahnärzte, Apotheker und Hebammen
-
Beauftragte von Schwangerschaftsberatungsstellen
-
Beauftragte von anerkannten Drogenberatungsstellen
[Zur
Entbindung berechtigte Personen:]
Jeder, zu dessen Gunsten die Schweigepflicht gesetzlich begründet ist.
Unter den Voraussetzungen des
§
34 StGB (Rechtfertigender Notstand) handeln Berufsgeheimnisträger
nicht rechtswidrig, wenn sie ihre Pflicht zur Verschwiegenheit brechen.
Ohne
rechtfertigende Einwilligung der Person, zu deren Gunsten die
Schweigepflicht besteht, bzw. ohne den Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB
macht sich ein Berufsgeheimnisträger strafbar, wenn er seiner Pflicht
zur Verschwiegenheit nicht nachkommt.
[Straftat:] Wer unbefugt zum Beispiel
als Berufsgeheimnisträger ein fremdes Geheimnis, das ihm anvertraut oder
bekanntgeworden ist, rechtswidrig preisgibt, begeht eine Straftat im
Sinne von
§ 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen).
10
Rechtsprechung zur Entbindung von der Schweigepflicht
TOP
Wenn es darum
geht, Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht zu entbinden, ist
Zurückhaltung geboten, zumal nur der Mandant, Patient oder Klient
rechtfertigend einen Berufsgeheimnisträger von seiner Schweigepflicht
entbinden kann.
Gerichtlichen Entbindungen z.B. von der ärztlichen
Schweigepflicht stehen sowohl das BVerwG als auch das BVerfG weitgehend
ablehnend gegenüber.
[§ 160a
StPO:] Mit dem neu in die
Strafprozessordnung eingefügten
§ 160a StPO (Maßnahmen bei
zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern) hat der
Gesetzgeber unter uneingeschränkter Beibehaltung sowohl der
Zeugnisverweigerungsrechte als auch dem mittelbaren Schutz des
Berufsgeheimnisses dienenden Sonderregelungen in
§ 97 StPO
(Beschlagnahmeverbot) und
§ 100c Absatz 6 StPO (Verbot der
akustischen Wohnraumüberwachung) eine Regelung geschaffen, wonach auch
alle anderen Ermittlungsmaßnahmen Einschränkungen unterworfen wurden,
wenn sie zu Erkenntnissen führen, die in einer Vernehmungssituation dem
Zeugnisverweigerungsrecht eines Berufsgeheimnisträgers unterfallen
würden. [En06] 6
[Position BVerwG:] Im Beschluss des
BVerwG vom 26.05.14 - 2 B 69.12 heißt es sinngemäß, dass umfassende
Entbindungen von der ärztlichen Schweigepflicht durch Gerichte nicht
angeordnet werden können.
Wörtlich heißt es im Beschluss:
»Zum einen ist
schon nicht ersichtlich, dass der Verwaltungsgerichtshof über die
erforderliche medizinische Sachkunde verfügt hätte, um beurteilen zu
können, dass eine Begutachtung des Klägers andernfalls »schlechterdings
nicht möglich« gewesen wäre«. [En07]
7
Für solch eine
Bewertung des Problems wäre nach Rechtsauffassung des BVerwG
medizinischer Sachverstand erforderlich gewesen. Erst dann wäre es Sache
des Gerichts gewesen, daraus ggf. prozessuale Konsequenzen zu ziehen.
[Urteil
BVerfG:] Mit Urteil vom 23.10.2006 - 1
BvR 2027/02 - entschied das BVerfG, dass, wenn von Beschwerdeführern
geltend gemacht wird, durch die Entbindung schweigepflichtiger Personen
in ihren Rechten verletzt worden zu sein, »deren Interesse an
wirkungsvollem informationellem Selbstschutz in erheblichem Ausmaß
beeinträchtigt« wird.
Im Urteil
heißt es:
[Rn.
43:] »Die in der formularmäßigen
Erklärung der Schweigepflichtentbindung genannten, zum Teil sehr
allgemein umschriebenen Personen und Stellen können über sensible
Informationen über die Beschwerdeführerin verfügen, die deren
Persönlichkeitsentfaltung tiefgreifend berühren. Sie sind infolgedessen
an sich gegenüber der Beschwerdeführerin zur Verschwiegenheit
verpflichtet. Mit der Erklärung muss die Beschwerdeführerin jedoch von
dieser Pflicht dispensieren. Dabei begibt sie sich auch der Möglichkeit,
die Wahrung ihrer Geheimhaltungsinteressen selbst zu kontrollieren, da
wegen der weiten Fassung der Erklärung, in der weder bestimmte
Auskunftsstellen noch bestimmte Auskunftsersuchen bezeichnet sind, für
sie praktisch nicht absehbar ist, welche Auskünfte über sie von wem
eingeholt werden können«. [En08]
8
Vorausgegangene Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts
wurden aus dem o.g. Grund vom BVerfG unter Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht aufgehoben.
11
Offenkundige Tatsachen
TOP
»Die Verschwiegenheit (und somit
die Schweigepflicht) gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder
ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Offenkundig ist auf
jeden Fall alles, was allgemeinkundig ist, siehe
§ 291 ZPO
(Offenkundige Tatsachen).
Allgemeinkundig sind Tatsachen, von denen verständige und erfahrene
Menschen in der Regel ohne Weiteres Kenntnis haben oder von denen sie
sich doch jederzeit durch Benutzung allgemein zugänglicher zuverlässiger
Kenntnisquellen unschwer überzeugen können (...). Offenkundig sind neben
Quellen wie Telefon- und Adressbüchern, Bibliotheken und allgemein
zugänglichen Internetseiten öffentliche Register, in die grundsätzlich
jedermann, sei es auch nach Anmeldung oder Entgelt oder Darlegung oder
Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses, Einblick nehmen oder aus
denen er Auskunft erlangen kann (Handelsregister; Vereinsregister;
Güterrechtsregister; Melderegister für einfache Auskünfte gemäß § 21
Abs. 1 MRRG; Denkmalbücher; nicht allerdings Fahrzeug- und Halterdaten,
die gemäß § 39 Abs. 1 StVG übermittelt werden). Da die Abgrenzung und
die Bewertung, ob eine Tatsache, »einem größeren, nicht durch
individuelle Beziehungen verbundenen Personenkreis bekannt sind oder
über die sich jeder aus unschwer zugänglichen Quellen unterrichten kann«
(...), nicht immer auf der Hand liegt, sollte der Rechtsanwalt bei der
Qualifizierung einer Tatsache als offenkundig sehr zurückhaltend sein.
Keiner Geheimhaltung bedürftige
Tatsachen können solche sein, deren Bekanntwerden eine Beeinträchtigung
weder öffentlicher Belange noch der vom Rechtsanwalt zu beachtenden und
gegebenenfalls zu schützenden Belange Dritter verursacht. Dabei ist auf
die konkrete Bedeutung der Tatsache unter dem Gesichtspunkt der durch
Geheimhaltung zu schützenden privaten Belange abzustellen. Subjektiv
sind die Vorstellungen des Mandanten entscheidend: Kann eine Tatsache,
die der Mandant für geheimhaltungswürdig ansieht, objektiv eine
Bagatelle sein, geht der Wille des Mandanten vor. Die umgekehrten Fälle
sind nur über die Befreiung von der Schweigepflicht zu lösen«. [En09]
9
12 Entbindung
von der ärztlichen Schweigepflicht
TOP
Obwohl die
ärztliche Schweigepflicht für den Regelfall steht, gibt es dennoch
zahlreiche Ausnahmevorschriften zur ärztlichen Schweigepflicht. Die
nachfolgend aufgeführten Ausnahmen sind auch im Zusammenhang mit
polizeilichen Ermittlungsverfahren bedeutsam.
Wichtige
Offenbarungspflichten des Arztes:
-
§
138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten)
Anzeige von geplanten schweren Straftaten.
-
§
182 StVollzG (Schutz besonderer Daten)
Offenbarungspflichten beziehungsweise -befugnisse. Dort heißt es
u.a.: Der Arzt ist zur Offenbarung ihm im Rahmen der allgemeinen
Gesundheitsfürsorge bekanntgewordener Geheimnisse befugt, soweit
dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde unerlässlich oder
zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des
Gefangenen oder Dritter erforderlich ist. Sonstige
Offenbarungsbefugnisse bleiben unberührt. Der Gefangene ist vor der
Erhebung über die nach den Sätzen 2 und 3 bestehenden
Offenbarungsbefugnisse zu unterrichten.
-
§
159 StPO (Anzeigepflicht bei Leichenfund und Verdacht auf
unnatürlichen Tod)
Auskunftspflicht gegenüber der StA oder an das Amtsgericht bei
unnatürlichem Tod.
-
§
9 Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen (BestG NRW)
Dort heißt es u.a.: Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet,
unverzüglich nach Erhalt der Todesanzeige die unbekleidete Leiche
oder die Totgeburt persönlich zu besichtigen und sorgfältig zu
untersuchen (Leichenschau) sowie die Todesbescheinigung auszustellen
und auszuhändigen.
-
§
8 Infektionsschutzgesetz (Zur Meldung verpflichtete Personen)
Danach müssen meldepflichtige Krankheiten durch den feststellenden
Arzt gemeldet werden.Die meldepflichtigen Krankheiten sind im § 6
IfSG aufgeführt.
-
§
18 Personenstandsgesetz (PStG)
Danach sind alle Personen, die in den §§ 19 und 20 PStG genannt
sind, dazu verpflichtet, die Geburt eines Kindes anzuzeigen.
Gleiches gilt für Totgeburten. Anzeigepflichtige Personen sind u.a.
Ärzte und Einrichtungen, in denen entbunden wurde.
-
§
7 Transplantationsgesetz (TPG)
In diesem Paragrafen ist die Auskunftpflicht des Arztes über den
Organspender geregelt.
-
§
16 Melderechtsrahmengesetz (MRRG)
Dieser Paragraph regelt die besondere Meldepflicht in
Beherbergungsstätten, Krankenhäusern, Heimen und ähnlichen
Einrichtungen. Diese Meldepflicht dient zur Abwehr von Gefahren
sowie zur Verfolgung von Straftaten bzw. zur Aufklärung des
Schicksals von Vermissten und Unfallopfern bei Auskunftsverlangen
der zuständigen Behörde.
-
§
284 iVm § 295 SGB V (Sozialgesetzbuch V)
Pflichten in Bezug auf Begutachtung und Beratung bezüglich einer
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
-
§
298 SGB V
Dieser Paragraf regelt die Übermittlung versichertenbezogener Daten.
Im Rahmen eines Prüfverfahrens ist die versichertenbezogene
Übermittlung von Angaben über ärztliche oder ärztlich verordnete
Leistungen zulässig, soweit die Wirtschaftlichkeit oder Qualität der
ärztlichen Behandlungs- oder Verordnungsweise im Einzelfall zu
beurteilen ist.
-
§
100 SGB X
Erteilung von Auskünften gegenüber Sozialversicherungsträgern auf
deren Verlangen. [En10]
10
[Offenbarung bei mutmaßlichem Interesse des Patienten:]
Der Bruch der Schweigepflicht ist außerdem
möglich, wenn dies dem ausdrücklichen und konkludenten oder mutmaßlichen
Willen des Patienten entspricht. Liegen keine Anhaltspunkte vor, kann
der Wille des verstorbenen Patienten nach objektiver Betrachtungsweise
ermittelt werden. Es reicht aus, wenn der hypothetische Wille des
Patienten mit dem übereinstimmt, was verständigerweise als der Wille
eines vernünftigen Menschen unter den gegebenen Umständen angenommen
werden kann.
[Rechtfertigender Notstand:] Unter den
Voraussetzungen des
§ 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) handelt
ein Arzt nicht rechtswidrig, wenn er seine Schweigepflicht bricht.
13
Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht
TOP
Es gehört zum
polizeilichen Berufsalltag, dass Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht
gehört werden. Unabhängig davon kommt es aber auch vor, dass
Polizeibeamte im Rahmen von Ermittlungsverfahren, die sich gegen
Polizeibeamte richten, selbst von der Polizei zeugenschaftlich vernommen
werden.
[Beispiel:]
Anlässlich einer polizeilichen Einsatzlage ist es zu einem
Schusswaffengebrauch gekommen, bei dem eine Person durch einen
Polizeibeamten getötet wurde. Gegen den Polizeibeamten, der den oder die
tödlichen Schüsse aus seiner Dienstpistole abgefeuert hat, wird
zwangsläufig ein Ermittlungsverfahren eingeleitet (§ 222 StGB -
Fahrlässige Tötung). Im Rahmen der Ermittlungen werden die Beamten als
Zeugen vernommen, die am Einsatz teilgenommen haben. Rechtslage?
Bei der
Durchführung dieser Vernehmung sind die zu vernehmenden Polizeibeamten
genauso zu behandeln, wie jeder andere Zeuge auch. Wie umfangreich ein
Strafverfahren sein kann, in dem Polizeibeamte sowohl als Beschuldigte
als auch in ihrer Eigenschaft als Zeugen vernommen werden, soll das
folgende Beispiel belegen.
[Stuttgart 21:] Am 30. September 2010
wurde anlässlich einer Demonstration gegen den Bau des Stuttgarter
Kopfbahnhofs (Stuttgart 21) ein 66-jähriger Mann durch den harten Strahl
eines Wasserwerfers schwer an den Augen verletzt. Er verlor dabei den
Großteil seiner Sehkraft. Knapp drei Jahre nach diesem Ereignis wurden
zwei Polizisten zu einer Bewährungsstrafe, ein dritter Polizist zu einer
Geldstrafe verurteilt.
Ein Kommandant
und der Staffelführer erhielten eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten
auf Bewährung.
Ein weiterer
Kommandant wurde zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt.
Spiegel Onlein meldet, dass zwei
der verurteilten Polizisten gegen dieses Urteil bereits Einspruch
erhoben haben. [En11] 11
[Hinweis:] Tatsache ist, dass in Bezug
auf diesen Polizeieinsatz umfangreiche Ermittlungen gegen beteiligte
Polizeibeamte eingeleitet wurden. Dazu gehört zwangsläufig, dass die
unmittelbar tatbeteiligten Personen als Beschuldigte und eine nicht
bekannte Anzahl von Personen, zu denen auch Polizeibeamte gehören,
bereits im Vorverfahren als Zeugen vernommen wurden.
Am 24. Juni
2014 begann der Revisionsprozess gegen die beiden Einsatzleiter, die das
Kommando über die Wasserwerferstaffel im fraglichen Abschnitt des
Einsatzgebietes hatten. Der Bericht in »Die Zeit online« ist lesenswert.
Bericht in
»Die Zeit Online«
In den weitaus
meisten Fällen werden Polizeibeamte aber als Zeugen vor Gericht zur
Sache befragt. Da Gerichtsverfahren und die damit verbundene
zeugenschaftliche Vernehmung in der Hauptverhandlung in der Regel erst
Monate, möglicherweise sogar erst Jahre nach der Tat erfolgt, ist es für
Polizeibeamte oftmals schwierig, sich im Einzelnen an die Gegebenheiten
zu erinnern, zu denen sie als Zeugen vor Gericht vernommen werden
sollen.
[Vorbereitungspflicht:] Die herrschende
Meinung geht davon aus, dass Polizeibeamte dazu verpflichtet sind, sich
durch vorheriges Aktenstudium auf eine anstehende Zeugenvernehmung
vorzubereiten.
Der
Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten Beweismittel, das die
Strafprozessordnung zur Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt.
»Der Zeuge hat in der Regel über
Vorgänge zu berichten, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen. Er
gibt aber nicht die Vorgänge selbst wieder, sondern nur die
Wahrnehmungen, die er über sie gemacht hat. Hierbei kommt es ganz
wesentlich auf das Auffassungsvermögen, das Urteil und die
Gedächtnisstärke des Zeugen an, sowie auf seine Fähigkeit, streng
sachlich zu berichten, auf seine persönliche Zuverlässigkeit und
Glaubwürdigkeit und dergleichen. Das Ergebnis der Wahrnehmungen und ihre
Wiedergabe sind m.a.W. regelmäßig durchaus persönlicher Art«. [En12]
12
Insoweit ist
es naheliegend, anzunehmen, dass Polizeibeamte aufgrund der Vielfalt von
Lebenssituationen, zu denen sie zeugenschaftlich vernommen werden
können, das Problem des Erinnerns sich dadurch vereinfachen, indem sie
sich im Wege der vorherigen Durchsicht ihrer Ermittlungsunterlagen auf
ihre Vernehmung intensiv vorbereiten, um sich dadurch möglicherweise an
weitere Einzelheiten erinnern zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai
2001 – 2 StR 111/01).
[Anlass
des Beschlusses:] In dem Beschluss ging
es um die zeugenschaftliche Vernehmung von Polizeibeamten, die u.a. zu
einem bedeutsamen Gespräch im Rahmen einer
Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme vernommen werden sollten.
Im
Beschlusses heißt:
[Rn.
8:] »Angesichts der besonderen
Bedeutung des Gesprächs (...) und des Umstands, dass die Vernehmung
(...) gerade den Inhalt dieses Gesprächs zum Gegenstand hatte, erscheint
es naheliegend anzunehmen, dass die hierzu vernommenen Polizeibeamten,
die sich erfahrungsgemäß im Wege der vorherigen Durchsicht ihrer
Ermittlungsunterlagen auf die Vernehmung intensiv vorbereiten,
sich an Einzelheiten des Gesprächs erinnerten und dass ihnen die (...)
entscheidenden Passagen auch noch wörtlich präsent waren. Hierfür
spricht auch, dass die Telefonüberwachungsmaßnahmen zum damaligen
Zeitpunkt nicht allzu lange zurücklagen und dass die vom Angeklagten in
dem genannten Gespräch benutzten Formulierungen (»Finde mir das Weiße
... davon brauche ich zwei«) besonders einprägsam waren«. [En13]
13
[Aussagepflicht:] Die Pflicht des
Zeugens, vor Gericht auszusagen, ergibt sich aus
§ 48 Abs. 1 StPO (Zeugenpflicht; Ladung), wenn
keine der im Gesetz zugelassenen Ausnahme greift. Kommt ein Zeuge seiner
Aussagepflicht nicht nach, können auf der Grundlage von
§ 70 StPO
(Folgen unberechtigter Zeugnis- oder Eidesverweigerung) gegen ihn
Sanktionen erlassen werden (Ordnungsgeld, Ordnungshaft,
Erzwingungshaft).
[Verschwiegenheitspflicht:] Im
Gegensatz zur Aussagepflicht steht die Verschwiegenheitspflicht des
Polizeibeamten, welche zu den hergebrachten Grundsätzen des
Berufsbeamtentums gehört. Durch die Verschwiegenheitspflicht des Beamten
soll Stillschweigen über dienstliche Vorgänge nach außen bewahrt werden,
um eine rechtsstaatlich einwandfreie, zuverlässige und unparteiische
Arbeit zu gewährleisten.
Im Beschluss
des BVerfG vom 28. April 1970 - 1 BvR 690/65 heißt es diesbezüglich:
»Es bedarf keiner näheren
Begründung, dass die öffentliche Verwaltung nur dann rechtsstaatlich
einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeiten kann, wenn
sichergestellt ist, dass über die dienstlichen Vorgänge vonseiten der
Behördenbediensteten nach außen grundsätzlich Stillschweigen bewahrt
wird. Auf die Verschwiegenheit dieser Dienstkräfte (...) hat
insbesondere der Bürger Anspruch, der sich mit einem Anliegen an eine
Behörde wendet oder dessen Lebenssphäre sonst wie von der Tätigkeit der
Behörde betroffen wird. Er hat keinen Einfluss darauf, ob ein Beamter
oder ein Angestellter seine Angelegenheit bearbeitet; deshalb muss er
darauf vertrauen dürfen, dass im einen wie im anderen Fall
Dienstgeheimnisse nicht offenbart werden. Es versteht sich von selbst,
dass die Tätigkeit mancher Zweige der Staatsverwaltung, vor allem
derjenigen, denen die Sorge für Bestand und äußere Sicherheit des
Staates obliegt, in besonderem Maße auf die Verschwiegenheit aller ihrer
Bediensteten angewiesen ist.« [En14] 14
Deshalb dürfen Polizeibeamte vor
Gericht nur dann aussagen, wenn ihnen von ihrem Dienstvorgesetzten dazu
eine Aussagegenehmigung auf der Grundlage von
§ 54 StPO
(Verschwiegenheitspflicht öffentlich Bediensteter) erteilt wurde. Dieser
Paragraf bezieht sich auf die Pflicht des Beamten zur
Amtsverschwiegenheit. Die Amtsverschwiegenheit von Beamten ist im
§
37 BeamtStG (Verschwiegenheitspflicht) geregelt.
[Wahrheitspflicht:] Gemäß
§ 57 StPO (Belehrung)
sind Zeugen zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet. Diese Pflicht
umfasst eine umfassende und vollständige Auskunft des Zeugen über seine
Wahrnehmungen. Ihm bekannte Tatsachen darf er bewusst nicht
verschwiegen. Das gilt auch für die Fälle, in denen von der Polizei
Ermittlungsfehler begangen wurden. Verstöße gegen die Wahrheitspflicht
können strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Voraussetzungen von
§
153 StGB (Falsche uneidliche Aussage) und
§ 154 StGB
(Meineid) gegeben sind.
[Eidespflicht:] In Ausnahmefällen kann
ein Zeuge gem.
§ 59 Abs. 1 StPO vereidigt werden. Für den Fall,
dass ein Polizeibeamter einen Meineid oder eine uneidliche Falschaussage
begeht, ist das mit Folgen verbunden, die für den Polizeibeamten
gravierend sind.
Meineid ist ein Verbrechen, das
mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr geahndet wird. Eine
Verurteilung hätte zur Folge, dass das Beamtenverhältnis gem.
§ 24
BeamtStG (Verlust der Beamtenrechte) mit der Rechtskraft des
Strafrechtsurteils endet.
14 Kinder und
Jugendliche
TOP
Kinder können nur als Zeugen,
Jugendliche können darüber hinausgehend auch als Beschuldigte vernommen
werden. Anzuwenden sind in solchen Fällen die Vorschriften des
Jugendgerichtsgesetzes, insbesondere der
§ 67 JGG
(Stellung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters).
In der PDV 382 sind weitere Regelungen enthalten, die bei der Vernehmung
von Minderjährigen der Polizei bundesweit zu beachten sind.
[Anwesenheitsrecht der Erziehungsberechtigten:]
Bei der Zeugenvernehmung von Minderjährigen (Kinder und Jugendliche)
haben die Eltern als gesetzliche Vertreter ein Anwesenheitsrecht bei
polizeilichen Vernehmungen, dies gilt auch für staatsanwaltschaftliche
und gerichtliche Vernehmungen. Kinder und Jugendliche müssen auf diese
Besonderheit hingewiesen werden. Die Belehrung hat in einer Sprache zu
erfolgen, die dem Alter des Zeugen angemessen ist und von diesem
verstanden werden kann.
Zur Vermeidung
jeglicher Beeinflussung kann es dennoch geboten sein, in Absprache mit
den Personen, denen das Sorgerecht zusteht, die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, den Minderjährigen auch allein vernehmen zu können.
[Opfer/Zeugen sexueller Gewalttaten:]
Hinsichtlich der Bearbeitung sexueller Gewaltdelikte enthält der RdErl.
d. Innenministeriums v. 3.2.2004 - 42 – 6503 zu beachtende Vorgaben.
Besonderheiten bei Kindern als Opfer
7.1 Kinder, die
Opfer eines Sexualdeliktes wurden, sind in besonderem Maße schutz- und
hilfebedürftig. Sie sind durch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren
erheblichen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Es besteht bei diesen
Opfern die Gefahr, dass ohne notwendige Sensibilität vorgenommene
Ermittlungen die durch das Tatgeschehen verursachten psychischen
Verletzungen verstärken und das Aussageverhalten beeinträchtigen. Dies
gilt vor allem im Falle sexueller Missbrauchshandlungen im sozialen
Nahbereich. In diesem Fall können sich zusätzliche Belastungen durch
eine ggf. ungewisse Familienzukunft, mögliche Einflussnahmen von
Tatverdächtigen oder anderer Personen sowie die Gefahr einer
Tatwiederholung ergeben.
7.2 Soweit
erkennbar erforderlich, ist ein geeigneter Schutz von Kindern durch die
frühzeitige Einbeziehung weiterer Stellen, z. B. Jugendamt oder
Jugendhilfeorganisationen, zu gewährleisten.
7.3 Ist bei
Minderjährigen eine körperliche Untersuchung erforderlich, so ist diese
in den nach § 81 c Abs. 3 Satz 3 StPO bestimmten Fällen ausschließlich -
mithin auch bei Gefahr im Verzuge - auf besondere Anordnung des Richters
zulässig.
7.4 Ermittlungsverfahren mit kindlichen Opfern sind beschleunigt zu führen,
da ihr Erinnerungsvermögen rasch verblasst und sie leicht beeinflussbar
sind.
7.5 Die nach Maßgabe des
§ 58a StPO
auf Bild-Ton-Träger aufzuzeichnende Vernehmung von Kindern sollte in
einer möglichst kindgerechten Atmosphäre stattfinden. Die
Polizeibehörden regen in geeigneten Fällen gegenüber der
Staatsanwaltschaft eine entsprechende richterliche Vernehmung an. Bei
Opfern, deren Missbrauchserfahrung mit dem Einsatz von Videotechnik
verknüpft ist, kann sich eine Bildaufzeichnung jedoch als zusätzliche
Belastung darstellen, die vermieden werden sollte. [En15] 15
[Hinweis:] Opfer
sexueller Gewalttaten sollten nur von Beamtinnen/Beamten vernommen
werden, die diesbezüglich über besondere Kenntnisse verfügen.
Insbesondere aus dem Kreis von Vergewaltigungsopfern wird beklagt, dass
die im Strafverfahren erlebten Vorurteile und Behandlungen durchaus mit
den Erniedrigungen verglichen werden können, die der Täter erzwungen
hat. Mit anderen Worten: Studien belegen ganz eindeutig, dass die
Aussagen von Opfern sexueller Gewalttaten glaubwürdig sind.
[Wichtige
Regelungen der PDV 382:]
3.5.1
Kinder und
Jugendliche, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, sind nach § 52
Abs.3 StPO zu belehren. Sie sind auch über ihr
Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs.2 StPO zu belehren, wenn dafür
Anhaltspunkte vorliegen.
Die Belehrung
hat unabhängig von der Verstandesreife der Minderjährigen in jedem Fall
zu erfolgen. Die Art und Weise der Belehrung ist dem geistigen
Entwicklungsstand der minderjährigen Zeugen anzupassen.
Der
gesetzliche Vertreter ist über die Rechte des Minderjährigen und über
sein Recht nach 52 Abs. 3 StPO zu belehren.
Eine
Entscheidung über die Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts nach §
55 StPO steht dem gesetzlichen Vertreter nicht zu.
3.6.4
Bei der
Vernehmung Minderjähriger haben Erziehungsberechtigte und gesetzliche
Vertreter ein Anwesenheitsrecht. Zur Vermeidung jeglicher Beeinflussung
kann es geboten sein, in Absprache mit den Erziehungsberechtigten und
gesetzlichen Vertretern, Minderjährige auch allein zu vernehmen.
Ende des Kapitels
§ 52 ff. StPO - Zeugenrechte und -pflichten
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15 Quellen
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Endnote_01 Zeugenpflicht - BVerfGE 49, 280 -
Zeugenentschädigung - Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Oktober 1978
- 2 BvL 3/78 - http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv049280.html
Aufgerufen am 08.11.2015 Zurück
Endnote_02
Informatorische Befragung: Informatorische Befragungen lösen keine
Belehrungspflichten aus.
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/91/5-190-91.php Aufgerufen am
08.11.2015 Zurück
Endnote_03 Verwandtschaft:
Rechtslexikon.net
http://www.rechtslexikon.net/d/verwandtschaft/verwandtschaft.htm
Aufgerufen am 08.11.2015 Zurück
Endnote_04 BVerfG,
15.01.1975 - 2 BvR 65/74
https://www.jurion.de/Urteile/BVerfG/1975-01-15/2-BvR-65_74
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Endnote_05 BVerfGE
33, 367 - Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter Beschluss vom
19. Juli 1972 - 2 BvL 7/71 -
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv033367.html Aufgerufen am 08.11.2015
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Endnote_06 Vgl. LG Mannheim
Beschluß vom 3.7.2012, 24 Qs 1/12; 24 Qs 2/12
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/
document.py?Gericht=bw&nr=15848 Aufgerufen am 08.11.2015
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Endnote_07 Entbindung von
der ärztlichen Schweigepflicht grundsätzlich nicht möglich Beschluss des
BVerwG vom 26.05.14 - 2 B 69.12
http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=260514B2B69.12.0
Aufgerufen am 08.11.2015 Zurück
Endnote_08
Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20061023_1bvr202702.html
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Endnote_09 Zitiert
nach: http://rak-muenchen.de/berufsrecht/verschwiegenheitspflicht/
Aufgerufen am 08.11.2015 Zurück
Endnote_10 Die
ärztliche Schweigepflicht Deutsches Ärzteblatt, Heft 5 vom 4. Februar
2005 http://www.aerzteblatt.de/pdf/102/5/a289.pdf Aufgerufen am
08.11.2015 Zurück
Endnote_11
Wasserwerfereinsatz Stuttgart 21:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/polizisten-wegen-
wasserwerfer-einsatz-bei-stuttgart-21-verurteilt-a-918743.html
Aufgerufen am 08.11.2015 Zurück
Endnote_12
Zeugenaussagen als persönliche Wahrnehmungen: BGH (Beschluss vom
17.10.1983 - GSSt 1/83)
http://www.verkehrslexikon.de/Texte/Rspr3817.php Aufgerufen am
08.11.2015 Zurück
Endnote_13 BGH 2 StR 111/01
- Beschluß v. 9. Mai 2001 (LG Frankfurt/Main)
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/01/2-111-01.php3 Aufgerufen am
08.11.2015 Zurück
Endnote_14 BVerfGE 28, 191
- Pätsch-Fall Beschluß des Ersten Senats vom 28. April 1970 - 1 BvR
690/65 - http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv028191.html Aufgerufen
am 08.11.2015 Zurück
Endnote_15 Erlass im
Volltext
https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=1&gld_nr=2&ugl_
nr=2056&bes_id=3264&val=3264&ver=7&sg=0&aufgehoben=N&menu=1
Aufgerufen am 08.11.2015 Zurück
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